Bücher, Bikes und Bubble-Tea gibt es schon. Andere Geschäfte fehlen in der Seestadt Aspern in Wien noch – sehr zum Missfallen mancher Bewohnerinnen und Bewohner. In dem in Bau befindlichen Stadtentwicklungsgebiet im 22. Bezirk leben bereits mehr als 11.000 Menschen, Tendenz steigend.

Doch ob ein Stadtviertel wirklich funktioniert, zeigt sich am Erdgeschoß. Ihm dauerhaft Leben einzuhauchen und den Bewohnerinnen und Bewohnern durch einen Shopmix Wege zu ersparen ist die große Kunst der Stadtentwicklung.

Was die Frequenz angeht, gibt es in der Einkaufsstraße noch Luft nach oben.
Franziska Zoidl

In der Seestadt hat man deshalb vor rund zehn Jahren vollmundig die erste gemanagte Einkaufsstraße des Landes angekündigt. Das heißt, dass die Shops nicht von den Gebäudeeigentümerinnen an beliebige Mieterinnen vergeben werden, sondern ein Unternehmen alles übernimmt und dann weitervermietet.

Dieses Joint Venture von Spar SES und der Wien 3420 trat an mit dem hehren Ziel, Leerstände und die immer gleichen Geschäfte, die sich gegenseitig das Wasser abgraben, zu verhindern. 8000 Quadratmeter werden so derzeit gemanagt. Aber lassen sich lebendige Erdgeschoße am Reißbrett planen?

Wahnsinnig viel ist an einem Nachmittag unter der Woche nicht los. Eine junge Frau mit Kapuzenweste und Kinderwagen ist mit dem Leben hier zwar grundsätzlich zufrieden. Aber sie findet es schade, dass vielversprechende Konzepte – zum Beispiel ein Kindercafé und ein Secondhandladen – wieder zusperren mussten, weil die Kundschaft fehlte.

Langer Atem nötig

Woran es oft scheitert: Am Anfang braucht es einen langen Atem. Und den muss man sich leisten können. Das weiß man auch im Radgeschäft United in Cycling, das sich in der Fußgängerzone nur wenige Minuten von der U-Bahn-Station befindet. 2015 war der Laden noch ein Pionier in der Seestadt. Aus Platzgründen – einmal war die Fläche zu klein, einmal zu groß – sind Geschäftsführer Julian Walkowiak und sein Shop mittlerweile an ihrem dritten Standort angekommen.

Patrick Bischoff und Julian Walkowiak waren mit ihrem Radgeschäft Pioniere.
Patrick Bischoff und Julian Walkowiak waren mit ihrem Radgeschäft Pioniere.
Franziska Zoidl

Mit der Entwicklung hier ist er zufrieden: "Die Frage ist immer, womit man die Seestadt vergleicht", sagt er. "Wenn man sie mit einem Ort mit 12.000 Einwohnern vergleicht, haben wir hier ein bombastisches Angebot. Wenn man sie mit der Innenstadt vergleicht, ist es wenig." Da bimmelt die Glocke an der Eingangstür, und jemand schiebt sein Rad herein, während hinten in der Werkstatt ein Reifen aufgepumpt wird. Mittlerweile, erzählt Walkowiak, würden Menschen aus ganz Wien und Umgebung zum Radkaufen kommen.

Auch Agnieszka Beata Hierzer ist zufrieden mit ihrer Boutique Symbiose 3, in der sie Damenmode aus Italien, Polen, der Türkei und Frankreich anbietet – alles handverlesen, wie sie betont. Auch sie hat mittlerweile Kundinnen von außerhalb. Das sei viel Arbeit gewesen – etwa auf Facebook. "Aber von nichts kommt nichts."

Agnieszka Beata Hierzer verkauft derzeit nur Damenmode - bald kommt aber auch Herrenmode dazu.
Franziska Zoidl

Hierzer zeigt, wie es gehen kann: Wer Erfolg haben will, muss sich eine Nische suchen, mit der auch Menschen von auswärts angelockt werden. Nur mit Kundinnen und Kunden aus der Seestadt über die Runden zu kommen ist schwierig. Demnächst wird die Unternehmerin ein Eck in ihrem Geschäft freiräumen und dann auch Männermode anbieten – bisher eine Lücke in der Seestadt.

Johannes Kößler in seiner Buchhandlung Seeseiten, mit der er sich mittlerweile vergrößert hat.
STANDARD

Auch die Buchhandlung Seeseiten von Johannes Kößler und Bettina Wagner, die außerhalb der gemanagten Einkaufsstraße liegt, zieht ein Publikum von außerhalb an. Vor eineinhalb Jahren haben die beiden ihr Geschäft sogar vergrößert, mittlerweile kann man hier bei Kaffee und Kuchen schmökern. "Die Seestadt ist kein Donauzentrum, aber das soll sie auch nicht sein", sagt Kößler. Viele gute Ideen würden hier wachsen, manches fehle noch. "Aber das Ding hier ist neun Jahre alt. Man muss schon realistisch bleiben." Dann entschuldigt er sich, ein Kunde ist auf der Suche nach einem Buch für dessen Sohn, einem Erstklässler. "So viel Zeit muss sein."

Bloß kein Würstelstand

Besonders beim kulinarischen Angebot sehen viele Bewohnerinnen und Bewohner aber noch ordentlich Luft nach oben. Zwei Bäckereien und fünf Lokale gibt es bisher. Das Habibi & Hawara ist vor einem Jahr in die Insolvenz geschlittert. Seither steht der Standort in bester Seestädter Lage leer, seit Monaten wird auf dem verklebten Schaufenster ein Dönerista angekündigt. Im März soll es so weit sein. Die Eröffnung wird von vielen hier mit Spannung erwartet.

Was zwei jungen Frauen fehlt, ist ein Würstelstand, der zwar Teil der Wiener Esskultur sein mag – im Konzept der Errichtungsgesellschaft Wien 3420 aber nicht vorgesehen ist. Fix ist aber eine "Gastro- und Flaniermeile" an der nördlichen Seestadtpromenade, heißt es auf Anfrage.

Bei der SES verweist man auch darauf, dass es für Lokale eine größere Investition als für Shops brauche – und der Schritt daher "Fingerspitzengefühl" erfordere. Mehr Gastronomie werde es künftig aber jedenfalls geben, sagt CEO Christoph Andexlinger, der mit der Entwicklung zufrieden ist. Eine gewisse Fluktuation sei in Einkaufsstraßen normal.

Vieles wird erst mit der Zeit entstehen, sagt auch Hannes Lindner von Standort + Markt, der die heimischen Geschäftsflächen regelmäßig unter die Lupe nimmt. Es gebe in Österreich so gut wie nichts Vergleichbares zur Asperner Einkaufsstraße. Diese sei ein "Experiment, das bisher immerhin nicht schiefgegangen ist".

Peggys ist seit einigen Monaten geöffnet - hier gibt es unter anderem Bubbletea.
Franziska Zoidl

Damit diese so richtig ins Laufen kommt, bräuchte es hier aber wohl noch mehr Arbeitsplätze, damit mehr Menschen untertags herkommen. Und vielleicht auch wärmere Temperaturen: Bei Peggys, einem kleinen taiwanischen Café, interessieren sich zwei Burschen gerade für Bubble-Tea, den es hier in allerlei Varianten gibt. Das große Geschäft machen die Betreiber hier aber im Sommer, wenn die Menschen aus der ganzen Stadt zur Abkühlung an den See kommen und bummeln gehen.

Die Zukunft der Seestadt ist ungewiss – nur der Sommer kommt bestimmt. (Franziska Zoidl, 14.2.2024)