Benjamin Button kommt in F. Scott Fitzgeralds Novelle als Greis zur Welt und verjüngt sich hin zum Baby.
Benjamin Button kommt in F. Scott Fitzgeralds Novelle als Greis zur Welt und verjüngt sich hin zum Baby.
Reinhard Winkler

Wahrscheinlich wäre es andersrum wirklich angenehmer: Man kommt als Tattergreis zur Welt und gewinnt mit den Jahren fortlaufend an Kraft und Elastizität. Als Jugendlicher trinkt und geschlechtsverkehrt man sorgenfrei und wird dann zunehmend infantiler. Die letzten Monate verbringt man an der weiblichen Brust nuckelnd und kann sich ankacken, so viel man will.

F. Scott Fitzgerald hat eine solche Verjüngungsvita in seiner Novelle Der seltsame Fall des Benjamin Button ersonnen. Die Verfilmung mit Brad Pitt und Cate Blanchett machte die Geschichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Für das Landestheater Linz hat Reinhard Febel das Leben im Rückwärtsgang zur Oper umgeformt, Benjamin Button feierte am Wochenende als achte Musiktheaterpremiere der Saison seine Uraufführung.

Benjamin mit Pappmachékopf

In der Inszenierung von Hausherr Hermann Schneider verjüngt sich der Protagonist – er trägt im hohen Alter noch eine Art Pappmachékopf – vor einer verwitterten weißen Holzfassade, Vater Buttons Firma (Nägel und Schrauben) scheint nicht viel abzuwerfen (Kostüme: Meentje Nielsen, Bühne: Dieter Richter). Vier XL-Plüschtiere werden nach der Geburt des Greises von diesem ignoriert, er will lieber Zeitung lesen und einen Whisky. Mit den Jahren entspinnt sich ein Verhältnis mit dem Nachbarsmädchen Hildegarde; sobald es beider Alter zulässt, wird geheiratet. Die Jahrzehnte und die Kriege ziehen dahin, nun wird der junge Fabrikbesitzer Benjamin verlacht, weil er eine alte Schachtel zur Frau hat. Bald kommen die Plüschtiere zu ihrem Einsatz.

Febels dialog- und komiklastiges Libretto ist straff gebaut und an kontemplativen oder amourösen Ruhepausen eher desinteressiert, in 110 Minuten ist man mit der Sache durch. Das ist gut so, verweigert sich die Musik des emeritierten Mozarteum-Kompositionsprofessors doch weitgehend sowohl sinnlicher Schönheit als auch avancierter Klangflächen- und Geräuschproduktion. Das Bruckner Orchester Linz bietet unter der Leitung von Ingmar Beck reichlich sprödes, perforiertes Tonmaterial vom Charme von Raufaserplatten dar. Über fahlen Streicherflächen sticheln Holzbläser grotesk-komisch herum.

Zickzackartige Gesangslinien

Die Sänger haben reichlich Kantilenen zu singen oder zickzackartige Gesangslinien zu bewältigen. Selbst beim zentralen Duett zwischen Benjamin und Hildegarde gönnt Febel den Liebenden nur karges Streichermaterial als Unterlage. Im weiten Möglichkeitsraum zwischen Arnold Schönberg und dem in Linz geschätzten Philip Glass hat der 71-jährige Deutsche ein besonders uninteressantes, karges Eck besetzt. Immerhin: Selbstironie, verfremdete Fragmente von Hymnen, Kinderlieder, eine saftige Jazz-Episode und ein Rosenkavalier-Zitat lassen kurz schmunzeln.

Als Benjamin Button und Hildegarde bewältigen Martin Achrainer und Carina Tybjerg Madsen ihre Partien souverän. Michael Wagner und Matthäus Schmidlechner lassen als Vater Button und Doktor Keene mit Stimmstärke aufhorchen. Ein Ereignis: Gabriel Federspieler als junger Benji. Der Chor (Leitung: Elena Pierini) darf während der Prohibition so richtig auf die Pauke hauen. Brave Begeisterung in Linz, an die Popularität von David Finchers Verfilmung wird Reinhard Febels Oper möglicherweise nicht heranreichen. (Stefan Ender, 8.4.2024)