Es sieht schon auf den ersten Blick nicht aus wie ein gewöhnliches Wohnhaus. Es steht am Rande eines Kanals in Straßburg, überragt alle anderen Häuser in der Umgebung. Bewohnerinnen und Bewohner haben schon die ersten Sessel auf die Balkone gestellt, die hohen Temperaturen im März laden ein, dort ein bisschen zu verweilen. Tritt man näher, sieht man die vielen Solarpaneele, das halbe Gebäude ist voll davon. Der Tour Elithis Danube in Straßburg ist das erste "Plus-Energie-Effizienz"-Wohngebäude in Europa und, laut seinen Erbauern, sogar weltweit.

Solarpaneele sind nicht nur auf der Süd- und Ostseite der Fassade angebracht, sondern auch am Dach. Die ganze Photovoltaikanlage umfasst rund 1.300 Quadratmeter Fläche, das ist ungefähr so viel wie zwei Tennisplätze. 177.000 Kilowattstunden Strom erzeugt sie im Jahr, heißt es von der Ingenieurgruppe Elithis, die das Gebäude realisiert hat. Zur Orientierung: Schätzungen zufolge benötigt ein Zweipersonenhaushalt zwischen 2.000 und 2.400 Kilowattstunden pro Jahr.

Mit der Energie, die die Anlage hervorbringt, kochen die Menschen, die hier leben, oder beleuchten ihre Wohnungen. Was sie nicht benötigen, fließt ins Netz. Der Ertrag daraus wird an die Bewohnerinnen und Bewohner ausbezahlt.

In Straßburg, Frankreich, steht ein Wohngebäude, das mehr Energie erzeugt, als es selbst braucht. Auf der Fassade ist eine große Photovoltaikanlage angebracht.
Lisa Breit

Dass die Paneele nicht gleich ins Auge stechen, sei eine bewusste Entscheidung gewesen, sagt Steven Loiseau von Elithis: "Wir haben versucht, dass sie möglichst nicht auffallen. Tatsächlich ist gar nicht so leicht zu erkennen, wo die Solarpaneele sind und das normale Fassade ist", sagt Loiseau. Die Paneele hätten eine Doppelfunktion: Sie erzeugen Energie, gleichzeitig schützen sie vor Sonneneinstrahlung. Dafür würden auch die Jalousien sorgen, die sich digital je nach Sonnenstand umstellen ließen.

Umweltfreundliche Lösungen

Elithis habe sich von Beginn an auf umweltfreundliche Lösungen spezialisiert, das ist Loiseau wichtig zu erwähnen. Die Firma sieht sich selbst als eine Art Pionier, da sie schon 2005 ein Bürogebäude als Plus-Energie-Gebäude hervorbrachte. "Das ist fast 20 Jahre her." Das Ziel sei kein geringeres, als dazu beizutragen, die globale Erwärmung aufzuhalten. Der Bausektor sei bekanntlich für besonders viele Emissionen verantwortlich.

Der Tour Elithis Danube wurde 2018 fertiggestellt. Auf den 13 Stockwerken befinden sich insgesamt 63 Wohnungen. Die meisten bestünden aus zwei oder drei Zimmern. Die Apartments seien zumeist an Studierende vermietet – viele Universitäten befänden sich in der Nähe –, aber auch an junge Familien oder ältere Menschen. Laut Loiseau sei der Bau nicht teurer gewesen als jener von herkömmlichen Wohnhäusern, dadurch sei der Wohnraum leistbar. Elithis verkaufte nach Fertigstellung an einen Investor, der die Wohnungen nun vermietet. Büros sind ebenfalls in dem Gebäude untergebracht.

Auf dem Dach des Wohnturms befinden sich rund 300 Quadratmeter Solarpaneele.
Elithis

Im Vergleich zu einem herkömmlichen Wohngebäude sei der Tour Elithis für zwölfmal weniger CO2-Emissionen verantwortlich, sagt Loiseau. "Unsere Elektrizität produzieren wir selbst, das warme Wasser wird mittels Fernwärme erzeugt." Zwei Jahre nach Einzug seien den Bewohnerinnen durchschnittlich 14 Euro pro Monat an Energiekosten für ihre Wohnungen angefallen. Daran zeige sich, dass Umweltverträglichkeit kein Selbstzweck sei – "es ist auch ein Gewinn für jeden Einzelnen, finanziell gesehen".

Digitaler Berater

Eine Art digitaler Berater soll die Bewohnerinnen und Bewohner zu einem möglichst ökologischen Verhalten motivieren. Mit einem Tool namens Alad'Hun können sie ihren Energieverbrauch auf einem Bildschirm überwachen, und zwar in Echtzeit. "Wenn sie eine zu lange Dusche nehmen, sehen sie live den Einfluss auf ihre Energiekosten", sagt Loiseau. Das Tool erinnere sie auch daran, an einem heißen Sonnentag ihre Jalousien herunterzufahren. Das funktioniert übrigens auch aus der Ferne, ganz im Sinne eines Smart Home. "Wir können natürlich niemanden zwingen, irgendetwas zu tun, es sind bloß Vorschläge."

Ihm zufolge funktioniere die Intervention allerdings. Die Bewohnerinnen und Bewohner würden sich regelmäßig im Gemeinschaftsbereich am Dach treffen, um ihre Ergebnisse zu vergleichen. Sie würden es als eine Art Wettbewerb sehen. Was außerdem zur Disziplin beitrage: "Wir geben jenen, die besonders wenig verbraucht haben, einen Bonus." Er belaufe sich auf 120 Euro pro Jahr. Das sei nicht so viel, dass jene, die nicht mitmachen, einen großen Nachteil haben, aber gerade genug, um andere zu motivieren. Im Wohnturm werde um 30 Prozent weniger Energie verbraucht als in anderen Häusern, sagt Loiseau nicht ohne Stolz. Er führt das auf die Anwendung zurück.

Die Simulation einer Wohnung im Tour Elithis Danube.
Elithis

Das Wohngebäude befindet sich im Viertel Le Danube, einem relativ neuen Viertel, das als besonders ökologisch gilt, wegen der vielen Radwege und großzügigen Grünflächen, aber auch aufgrund innovativer Neubauten. "Der Wohnturm passte da wohl gut dazu", sagt Loiseau. Der Bürgermeister von Straßburg sei sehr aufgeschlossen, wenn es um umweltfreundliche Projekte gehe.

Erste Probleme

Laut der französischen Zeitung "Le Monde" sei der Wohnturm inzwischen "ikonisch" für die Stadt, gleichauf mit der berühmten Kathedrale oder dem Europäischen Parlament. Für sie repräsentiere er die "Welt von morgen", sagt eine Straßburgerin in einem Fernsehbeitrag. Aber nicht alles in dem Vorzeigehaus funktioniert reibungslos. So berichtete "Le Monde" im April des Vorjahres über erste Probleme. Fünf Jahre nach Fertigstellung würden sich nun die ersten "Dysfunktionalitäten" zeigen. Bewohnerinnen und Bewohner bemängelten die teils billige Ausstattung. Im Winter des Vorjahres sei die Heizung in einigen Wohnungen ausgefallen – und in den Wohnungen sei es im Sommer drückend heiß.

Die Fassade des Wohngebäudes besteht aus Solarpaneelen, die Strom für die Bewohnerinnen und Bewohner erzeugen. Alles, was sie nicht brauchen, wird in das System eingespeist.
Elithis

Für den Ausfall der Heizung sei laut Loiseau nicht Elithis verantwortlich, der der Wohnturm ja nicht mehr gehöre, sondern das Gebäudemanagement. Die Heizung sei nicht ausreichend gewartet worden. "Wir haben alles getan, um zu helfen, das Problem zu lösen, doch es war nicht unsere Schuld." Dennoch sei der Imageschaden passiert.

Die Hitze im Sommer wiederum entstehe dann, wenn die Jalousien an heißen Tagen nicht heruntergefahren würden. Bei Messungen habe man große Unterschiede in vergleichbaren Wohnungen festgestellt: Während die Temperaturen in einer Wohnung sehr hoch gewesen seien, waren sie in der anderen angeblich erträglich. Loiseau erklärt sich das damit, dass die einen Bewohner den Empfehlungen des digitalen Beraters gefolgt waren und die anderen nicht. "Es hat also nichts mit dem Gebäude selbst zu tun, sondern mehr mit dem Verhalten der Bewohnerinnen und Bewohner." Es zeige, wie wichtig es sei, das Bewusstsein dafür zu schärfen. (Lisa Breit, 19.4.2024)