Das ehemalige Essl Museum steht wieder picobello da – im Inneren reichen sich internationale und heimische Künstlerinnen und Künstler die Hand.
Das ehemalige Essl Museum steht wieder picobello da – im Inneren reichen sich internationale und heimische Künstlerinnen und Künstler die Hand.
Stefan Oláh

Es ist noch ein bisschen Wasser die nahe Donau hinabgeflossen. Von "Hängungen" und "Selektionen" sprach Klaus Albrecht Schröder noch im Jänner, von à la "Schaudepot oder Studiensaal" zugänglich gemachten Werken war die Rede. "Ausstellung" darf man jetzt aber doch sagen und Museum auch. Ach was: "Wenn Sie hineingehen, werden Sie sagen, es ist ein Weltmuseum. Wenn das kein Museum ist, dann weiß ich nicht, was ein Museum ist." Recht hat er!

Früher einmal bauten Herrscher Burgen und eroberten Landstriche, um der Nachwelt im Gedächtnis zu bleiben. Schröder, noch bis Jahresende Direktor der Albertina, macht es genauso. Mit Schenkungen über Dauerleihgaben hat er in bald 25 Jahren die Bestände der einstigen Grafiksammlung anschwellen lassen. Kunstwerke im Wert von zwei Milliarden Euro habe er gewonnen, sagt er. 1,2 Millionen Werke besitzt man heute insgesamt, 65.000 aus der Zeit nach 1945. Weil all das irgendwo gezeigt werden will, hat er dem Stammhaus 2020 mit Dank an den Industriellen Hans Peter Haselsteiner das Künstlerhaus am Karlsplatz („Modern“) angehängt und stößt diese Woche die dritte Dependance zum Imperium: die Albertina Klosterneuburg.

Jörg Immendorff und Georg Baselitz vertreten in Klosterneuburg neben Markus Lüpertz und Gerhard Richter die neue gegenständliche deutsche Malerei des 20. Jahrhunderts.
Jörg Immendorff und Georg Baselitz vertreten in Klosterneuburg neben Markus Lüpertz und Gerhard Richter die neue gegenständliche deutsche Malerei des 20. Jahrhunderts.
Rupert Steiner

Auch diese wäre ohne Haselsteiner, der 2014 nach der Pleite der Baumarktkette Baumax Teile der Sammlung sowie das Museum von deren Gründer Karlheinz Essl übernahm und beides seither der Albertina zur Verfügung stellt (siehe Chronologie unten), nicht machbar gewesen. Die Wiedereröffnung des zuletzt für Werkstätten, als Fotoatelier und Depot genutzten Baus einen Kilometer außerhalb der Wiener Stadtgrenze setzt nun den Schlussstein. Bestritten werden soll der Betrieb ganz ohne Leihgaben und ausschließlich aus den eigenen zeitgenössischen Beständen vor Ort.

Picobello mit Verzögerung

Dieses neue Reich öffnet am Mittwoch fürs Publikum. Zwischen April und November soll es fürderhin immer donnerstags bis sonntags zugänglich sein. Zumindest heuer. Über die weitere Bespielung wird ab Jänner 2025 Schröders Nachfolger Ralph Gleis entscheiden. Vorerst aber schreitet Schröder durch die 3.000 neuen Ausstellungsquadratmeter. Acht Jahre nachdem der Bau für Publikum geschlossen wurde, ist wieder alles picobello.

In den letzten Tagen wurde im Schichtbetrieb 24 Stunden durchgearbeitet, um die Renovierung abzuschließen. Die Schuld dafür gibt Schröder freimütig dem Kulturministerium, wo man letzten Juni nicht glauben konnte, dass die Albertina die zusätzlichen Betriebskosten trotz 135 Millionen Euro Bilanzsumme selbst stemmen könnte. Externe Studien wurden nötig, Schröder bestätigt. Im Eiltempo wurden nun ein neues Sicherheitszentrum geschaffen, das Café verlegt, Klimatechnik eingebaut.

Ein
Ein "Fat Car" von Erwin Wurm vor Andy Warhols "Daimler Motorkutsche" – das hat Witz.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Dass die Museumsstandards damals, als Heinz Tesar in den 1990ern den Bau errichtete, noch andere waren, davon zeugt ein Fensterband zum Innenhof, das jetzt nur noch über eine davorgesetzte Wand lugt. "Kein Museum der Welt hat Glasfenster nach Südwesten", sagt Schröder. Statt der 40.000 Lux, die dort bisher hereinkamen, herrschen hier jetzt nur mehr ideale 300 bis 400 von LED-Lampen. Sonnenlicht? Braucht man nur für die Photovoltaikanlage auf dem Dach. Angenehmer Nebeneffekt: ein Zugewinn an Wandfläche.

Die braucht es auch: Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Alex Katz, Anselm Kiefer, Georg Baselitz – da hängen richtige Kaliber. Die Genannten verteilen sich auf zwei der drei Ausstellungsfluchten. Die eine Schau widmet sich unter dem heiteren Motto The Bright Side of Life der Pop-Art, die andere fasst unter Von Hundertwasser zu Kiefer weitere Strömungen der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zusammen: Abstrakter Expressionismus, die Wiener Aktionisten, die neue deutsche gegenständliche Malerei (als Wiedereroberung des Figürlichen nach dessen Missbrauch durch die Nazis), Anselm Kiefer sowie Maria Lassnig.

Österreicher stark vertreten

Dass Letztere einen eigenen Raum hat, wirkt konzeptuell inkonsistent, ist aber ein Beispiel dafür, wie stark in Klosterneuburg österreichische Künstler gezeigt werden. Heimische "Bahnbrecher" sollen hier immer zu sehen sein, sagt Schröder. Und sie – Arnulf Rainer Rücken an Rücken mit Morris Louis oder Wolfgang Hollegha neben einem Sam Francis – machen sich wirklich gut. Auch bei den Poppern: Einem kleinen Fat Car von Erwin Wurm steht Andy Warhols Daimler Motorkutsche als farbenfroher Hintergrund parat, haha! Qualitativ 1a fügen sich Christian Ludwig Attersees Schinkenfinger und Kiki Kogelniks Kochkurs zu einem kleinen spontanen lukullischen Schwerpunkt und zu internationalen großen Namen wie Julian Schnabel und Fang Lijun (der mit den breit lachenden rosa Gesichtern). Auch Peter Pongratz und Hubert Schmalix machen gute Laune und Figur.

Es müsse das gezeigt werden, was man sich von der Albertina erwarte, und "dieses Vertrauen kann man dann ausbeuten", wie Schröder sagt, um auch "Überraschungen" zu zeigen. Ernst Zdrahals bunt bemalte Holzplatten sind so eine, Isolde Maria Joham mit einer hyperrealistisch glänzenden Harley auch.

Blick in die Pop-Art-Schau in der Albertina Klosterneuburg. Unter anderem mit Gemälden von Kiki Kogelnik (hinten links) und Robert Klemmer (rechts).
Blick in die Pop-Art-Schau in der Albertina Klosterneuburg, unter anderem mit Gemälden von Kiki Kogelnik (hinten links) und Robert Klemmer (rechts).
Rupert Steiner

Nicht lange im Depot, sondern recht neu im Haus ist Dem Sturm trotzen der erst 1988 geborenen Amerikanerin Kennedy Yanko. Die drei Metallteile, die aussehen, als wären sie in eine Karambolage geraten, hängen in der dritten Eröffnungsschau Die lädierte Welt unter dem 70 Meter langen wellenförmigen Dach im zweiten Obergeschoß. Wenn von der Albertina Klosterneuburg die Rede ist, ist immer auch die Rede davon, dass hier endlich Werke gezeigt werden könnten, die wegen ihrer Größe oder ihres Gewichts an keinem der bisherigen Standorte gezeigt werden konnten: Der Mittelteil von Yankos Skulptur belastet die Decke mit 600 Kilogramm.

Ab August wird sich hier eine acht mal fünf Meter große Videoninstallation breitmachen. Derweil sind es aber sehr assoziativ zum Thema Krisen, Kriege, Grausamkeiten arrangiert kopulierende Skelette von Marc Quinn, nach Bösewichten aussehende Büsten von Jonathan Meese, ein Kommentar des Duos Gilbert & George zum Verdrängen von Aids in den 1990ern, ein Sisyphos von Franz West.

Es ginge noch lockerer

Von letzteren Pappmaché-Steinen sollte ursprünglich noch ein zweiter gezeigt werden. Er stellte sich aber doch als zu viel heraus. Damit ist man bei einem weiteren Vorteil dieses Standorts: Man hat ihn – ohne ihn aufwendig verpacken, klimatisieren und versichern zu müssen, was bei einem Ausflug vom Depot hier ins Haupthaus nach Wien schon einmal 5.000 Euro kosten kann, wie Schröder vorrechnet – einfach wieder in den Lift und zurück ins Erdgeschoß gekarrt. Nicht mehr als 60.000 Euro für Installationskosten und Ausmalen veranschlagt er dank dieser Vorgehensweise für eine Schau in Klosterneuburg.

Ein bisschen bedauert man, dass dieser intuitive, legere Zugang sich in den Präsentationen nicht stärker niederschlägt. Natürlich ist es fantastisch, welche Werke die Albertina hier aus dem Ärmel schüttelt. Aber ein experimentelles Äquivalent zum Spezifischen, Unverwechselbaren des Baus mit seinen Winkeln und der Rotunde, vermisst man in der Programmierung doch. Alles hier könnte so auch am Albertinaplatz hängen. Warum nicht etwas abseitiger sein? An Besucherzahlen (mit bis zu 100.000 Besuchern rechnet er) will Schröder hier ja den Erfolg nicht messen.

Werke von Gilbert & George (rechts) und Ofer Lellouche (Kopf-Skulptur im Vordergrund) in der Schau
Werke von Gilbert & George (rechts) und Ofer Lellouche (Kopfskulptur im Vordergrund) in der Schau "Die lädierte Welt" in der Albertina Klosterneuburg.
Rupert Steiner

"Ich glaube, dass dieser Standort für Niederösterreich noch wichtiger ist als für die Wiener", sagt Schröder mit Blick auf seine Jugend in Linz und das "Tor zur Welt", das ihm Kunst damals geboten habe. "Wenn das ein Stück weit auch die Albertina Klosterneuburg schafft, ist sie eine Erfolgsgeschichte. Dasselbe Werk hat hier eine andere Bedeutung als im ersten Bezirk. Ich bin tief in meiner Seele ein Missionar.“

Aber werden tatsächlich Ausflügler, die bisher nicht 15 Minuten weiter bis in die Albertina in Wien gefahren sind, die Albertina Klosterneuburg besuchen, nur weil es vorm Haus Parkplätze gibt? "Nichts Schöneres als Udo Landbauer als Besucher könnte uns passieren", sagt Schröder. Vielleicht wird dieser Start sogar mehr Helden- denn Herrschergeschichte: "Ein geschlossenes Museum müsste jedem, der für Kunst zuständig ist, ein Stich ins Herz sein. Diesen Dolch habe ich herausgezogen." (Michael Wurmitzer, 9.4.2024)