Baustelle Südbahnhof
Baustelle in Wien: Dass sich die Arbeiterkammer für ausnahmslos alle Beschäftigten ins Zeug lege, sagt Direktorin Hruška-Frank, sorge für gute Bedingungen.
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Die linke Dominanz war überwältigend: Locker hatten die Sozialdemokraten die Hürde zur absoluten Mehrheit übersprungen. Gleich 60 Prozent der Stimmen standen am Wahltag zu Buche.

Szene aus einem süßen Traum von Oppositionsführer Andreas Babler? Nein. Ergebnisse wie diese sind Realität – allerdings nicht auf der ganz großen Bühne. Üppige Siege fährt die SPÖ bis heute bei den Arbeiterkammer-Wahlen ein, wie sie in diesen Wochen stattfinden.

Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Kärnten und Oberösterreich waren bereits dran, nun sind das Burgenland, Niederösterreich, die Steiermark und der Primus inter Pares an der Reihe: Die AK Wien führt auch die Geschäfte der Bundesarbeiterkammer. Von 10. bis 23. April können die Mitglieder darüber bestimmen, wer in der Vollsammlung der jeweiligen Länderkammer das Sagen hat.

Eine politisch nebensächliche Entscheidung? Oder hängt an dem Urnengang mehr, als es die verhältnismäßig niedrige Wahlbeteiligung – in Wien lag sie vor fünf Jahren bei 42,3 Prozent – vermuten lässt?

Blödsinn verhindern

Es gab Zeiten, da gingen Einfluss und Macht weit über das Maß einer gewöhnlichen Interessenvertretung hinaus: Als "Nebenregierung" galt die heimische Spielart der Sozialpartnerschaft, in der die AK gemeinsam mit dem mit ihr verbundenen Gewerkschaftsbund (ÖGB) die Arbeitnehmerseite repräsentiert. Doch die Jahre, als man noch direkt an künftigen Gesetzen mitarbeiten konnte, seien vorbei, sagt Direktorin Silvia Hruška-Frank. Seit Türkis-Blau 2017 die bislang letzte SPÖ-geführte große Koalition abgelöst hat, bestehe die Rolle darin, "den größten Blödsinn zu verhindern. Wir sind es, die politische Prozesse mit Sachverstand füllen."

Das gelingt aus eigener Sicht keinesfalls immer – siehe etwa die Einführung des Zwölfstundenarbeitstages. Dennoch bleibt der rot dominierte Thinktank auch unter feindlich gesinnten Regierungen nicht ohne Einfluss. Das Pensionssystem etwa sähe heute wohl anders aus, würden die mit Daten, Berechnungen und Expertise aufgerüsteten Kämmerer der Erzählung von der angeblichen Unleistbarkeit in der öffentlichen Debatte nicht konsequent kontern. Als aktuellen Erfolg wertet die AK etwa die Durchsetzung jener Schutzklausel, die Neopensionisten vor inflationsbedingten Werteverlusten schützt. Nun kämpft sie für eine Wiederauflage 2025.

Als Wege der Mitsprache stehen nicht nur die mediale Meinungsschlacht und Lobbying bei den Entscheidungsträgern offen. Hochoffiziell darf die Kammer auch Vertreter in die Gremien einer schier unüberblickbaren Zahl von Institutionen entsenden. Das beginnt bei den Sozialversicherungen: Welche politische Farbe die dortigen Dienstnehmervertreter haben, leitet sich aus dem Ergebnis der AK-Wahl ab.

Überall mitreden

Die Liste lässt sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit lange fortsetzen. Die Interessenvertreter stellen Laienrichter im Arbeits- und Sozialgericht, am Obersten Gerichtshof und an den Oberlandesgerichten. Im Verwaltungsrat des Arbeitsmarktservice (AMS) reden sie ebenso mit wie in der Agrarmarkt Austria, der Wettbewerbskommission, dem Bundeseinigungsamt oder der Preiskommission. Auch die Alterssicherungskommission, der Fiskalrat und sogar die Blutkommission zur Fachberatung in Sachen Blutprodukte kommen nicht ohne AK-Beteiligung aus.

Gegen einen 3100 Mitarbeiter starken Apparat sei schwer anzukommen, sagt der Neos-Abgeordnete Gerald Loacker. Jede x-beliebige Abteilung einer Länderkammer habe mehr Mitarbeiter als der eigene Parlamentsklub. In der Arbeiterkammer auf der einen und der Wirtschaftskammer auf der anderen Seite sieht er eine Lebensversicherung für SPÖ und ÖVP: "In Italien, Frankreich oder den Niederlanden sind die alten Parteien untergegangen. Bei uns wird das angesichts dieses Rückhalts nie passieren."

Den wirtschaftsliberal gepolten Politiker ärgert etwa der "Doppelpass", den die AK mit der SPÖ spiele: Versuche die Partei ein bestimmtes Thema medial hochzuziehen, forciere die Kammer "ganz zufällig" das gleiche Anliegen. Auch die Praxis der Fraktionsförderungen hält Loacker für unsauber. Alljährlich schüttet die Institution "Unterstützung für wahlwerbende Gruppen" aus, 2022 waren es acht Millionen Euro. Der Löwenanteil geht gemäß den Wahlergebnissen an die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG). Natürlich fließe dieses Geld dann auch in Aktivitäten, die der SPÖ zugutekämen, moniert der Neos-Mandatar.

Jeder muss mitzahlen

Die Krux aus Kritikersicht: Die AK finanziert sich aus Mitgliederbeiträgen, um die sie nicht werben muss. Von Gesetzes wegen werden Arbeitnehmern 0,5 Prozent des Bruttolohnes als Kammerumlage abgezwackt – im Vorjahr waren es 572 Millionen. Wie eine solche "Bevormundung", wie die Gegner sagen, zu vertreten ist? Nur mit allen vier Millionen Beschäftigten im Rücken lasse sich eine starke "Gegenmacht" zu den finanziell potenteren Arbeitgeberverbänden aufbauen, argumentiert Hruška-Frank. Außerdem wären bei einem Ende der Pflichtmitgliedschaft die flächendeckenden Kollektivverträge Geschichte, weil die Wirtschaftskammer als allein zuständige Partnerin wegfiele.

Vor allem aber wisse jeder Arbeitgeber im Land, dass wirklich jeder Arbeitnehmer auf die Beratung und notfalls juristische Hilfe der AK zählen könne: "Diese implizite Klagsdrohung sorgt dafür, dass die Arbeitsbedingungen in Österreich im Großen und Ganzen in Ordnung und rechtskonform sind." 2,3 Millionen Beratungen hat die AK im Vorjahr laut eigener Zählung durchgeführt.

Imagekrise überwunden

Dass sich in der politischen Ausrichtung die AK-Wahlergebnisse niederschlagen, "liegt in der Natur der Sache", ergänzt Hruška-Frank, von einem "Doppelpass" mit der SPÖ könne dennoch keine Rede sein. Die Fraktionsförderung sei vergleichbar mit der Rückerstattung für Wahlkampfkosten, wie es sie für Parlamentsparteien gibt.

Ernsthafte Demontageversuche muss die AK aktuell nicht fürchten, nur die Neos und die FPÖ sind für ein Ende der Pflichtmitgliedschaft. Seit die Sozialpartner in der Verfassung verankert wurden, wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig.

Vor gut 30 Jahren sah die Lage trister aus, als Jörg Haider angebliche Privilegienritter in den Kammern vor sich hertrieb. Doch als Reaktion habe die AK geschickt ihre Serviceleistungen modernisiert, konstatiert der Politologe Ferdinand Karlhofer. Solange die Wahlbeteiligung nicht unter 30 Prozent rutsche, müsse sie keine neue Legitimationskrise fürchten, denn die Imagewerte sind formidabel: Unter den Institutionen genießen nur Volksanwaltschaft und Polizei mehr Vertrauen.

Nicht nur die aus dem Parlament bekannten Kräfte sind bei der Wahl in Wien vertreten, 16 Listen treten an. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten kann direkt im Betrieb wählen, für alle anderen gibt es Wahlkarten und öffentliche Wahllokale. Und: Im Gegensatz zur Nationalratswahl dürfen auch Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft mitmachen. (Gerald John, 10.4.2024)