Es ist ein weiterer Schritt zur Zuspitzung im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo: Die von der serbischen Regierung unterstützte größte Partei im Norden des Kosovo, die Srpska Lista, hat diese Woche angekündigt, jene Abstimmung am 21. April zu boykottieren, die dazu führen soll, dass die umstrittenen vier Bürgermeister in den Gemeinden im Norden entlassen werden und Neuwahlen stattfinden können.

Ein Wahlboykott vom vergangenen April sorgt bis heute für Spannungen.
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Die Bürgermeister, vier Albaner, waren im März 2023 nur deshalb gewählt worden, weil die Serben, die Mehrheitsbevölkerung im Norden des Kosovo, die Wahl auf Geheiß von Belgrad boykottiert hatten. Die Wahl der vier albanischen Bürgermeister führte in der Folge zu einer Krise. Militante serbische Gruppen griffen die Nato-Truppe Kfor an und verletzten einige Soldaten schwer.

Rücktritt auf Zuruf

Die Vertreter der Srpska Lista reichten nun ihren Rücktritt bei der Wahlkommission ein. Vor drei Monaten noch hatte dieselbe Partei Unterschriften gesammelt, um die Abstimmung zu ermöglichen. Damit die vier albanischen Bürgermeister endgültig abgesetzt werden können, müssen mehr als 50 Prozent der Wähler dafür stimmen. Durch den Aufruf zum Boykott der Abstimmung wird man nun wohl nicht über 50 Prozent erreichen, und die albanischen Bürgermeister werden weiter im Amt bleiben.

Die Krise begann ursprünglich damit, dass die Bürgermeister – gemeinsam mit serbischen Polizeibeamten – im Norden des Kosovo im November 2022 auf Geheiß von Belgrad zurücktraten. Das führte zu einem gefährlichen Sicherheits- und Machtvakuum. Dieses kann nur beendet werden, wenn Serben und Serbinnen im Norden des Kosovo Bürgermeister wählen und serbische Polizisten wieder in die kosovarische Polizei integriert werden. Doch das will die serbische Regierung ganz offensichtlich nicht.

Der Leiter des Thinktanks European Stability Initiative, Gerald Knaus, twitterte angesichts der jüngsten Entwicklungen, dass damit der EU-geführte Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien gescheitert sei. Im Vorjahr hatten Deutschland und Frankreich ein Rahmenabkommen zwischen dem Kosovo und Serbien vorgeschlagen, doch der serbische Präsident Aleksandar Vučić verweigerte immer wieder die Unterschrift, während der kosovarische Premier Albin Kurti wiederholt anbot zu unterschreiben. Trotzdem tat man in der EU weiterhin so, als sei das Abkommen gültig.

Die Lage im Norden des Kosovo bleibt angespannt.
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"Es gibt keine Einigung. Es gab sie nie", schrieb Knaus nun zu dem Abkommens und sprach von einem "katastrophalen Scheitern der EU". Ein Grund sei, dass es keine glaubwürdige EU-Beitrittspolitik in der Region gebe. "All dies macht dies zum gefährlichsten Moment auf dem Balkan seit 2001. Zu viele Menschen in der EU tun dies immer noch nicht oder tun so, als ob sie das nicht sehen würden. Stattdessen erwarten wichtige Akteure in der Region neue Gewalt und bereiten sich darauf vor. Wenn wir nicht aufwachen, wird es neue Kriege geben", warnt Knaus.

Kfor aufgestockt

Vergangenen September führte eine militante serbische Gruppe bereits einen Terroranschlag auf die kosovarische Polizei im Norden des Kosovo durch. Die serbische Polizei entführte zudem drei kosovarische Grenzbeamte. Vučić droht auch immer wieder einzumarschieren. In aufhetzenden Reden behauptet er, dass die Serben im Kosovo schwer bedroht seien. Das führt zu Verunsicherung. Zuletzt wurde die Kfor aufgestockt.

Ein Zeichen dafür, dass das von Deutschland und Frankreich vorgeschlagene Abkommen für Belgrad keinerlei Gültigkeit hat, ist auch, dass Serbien gegen den Beitritt des Kosovo zum Europarat ist, obwohl in dem Abkommen steht, dass beide Seiten sich nicht wechselseitig daran hindern werden, internationalen Organisationen beizutreten.

Ganz offensichtlich ist auch, dass die EU nicht zugeben will, dass sie in der Causa keinerlei Erfolge aufzuweisen hat. Der EU-Sprecher Peter Stano wurde kürzlich von Journalisten gefragt, welche Konsequenzen Serbien erwarten müsse angesichts dessen, dass es das Abkommen nicht einhalte. Stano antwortete einfach nicht auf die Fragen. Der gescheiterte EU-Vermittler Miroslav Lajčák wird sein Amt im August zurücklegen. Deutschland möchte als Nachfolge eine deutsche Diplomatin entsenden, allerdings wird diese Personalie wohl Teil eines größeren Personalpakets nach der EU-Wahl sein, bei dem es um Spitzenposten geht.

Eine Demonstration von Serben im Kosovo gegen den Plan der kosovarischen Zentralbank, Überweisungen nur in Euro zu erlauben.
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Die Analystin Ivana Stradner warnte kürzlich, dass Serbien die EU und den Westen insgesamt erfolgreich täusche. In Belgrad verstehe man das "große Ego" westlicher Beamter und benutze sie als "nützliche Idioten". Stradner meinte auch, dass der derzeitige Versuch, mit Geld von Serbien die Zustimmung zur EU zu erkaufen, nicht funktionieren werde. Die EU-Kommission hat zuletzt angekündigt, im Rahmen eines Wachstumsplans sechs Milliarden Euro in die Region zu pumpen.

"Serbische Welt" ausrufen?

Stradner warnte zudem davor, dass Vučić und der bosnisch-serbische Politiker und Kreml-Freund Milorad Dodik am 5. Mai die "serbische Welt" – eine Abwandlung der Idee von Großserbien – ausrufen könnten. Vučić und Dodik haben für den 5. und 6. Mai jedenfalls eine "Große Osterversammlung Serbiens und der Republika Srpska" angekündigt, bei der es eine "Erklärung" und möglicherweise weitere Rechtsakte geben werde. Vučić und Dodik arbeiten seit Jahren sehr eng zusammen und nehmen dem Westen gegenüber verschiedene Rollen ein, verfolgen aber dasselbe Projekt. Vučić spielt gegenüber dem Westen oft den moderaten Part, Dodik den Scharfmacher. Gegenüber der eigenen Bevölkerung ist die Rhetorik ähnlich.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und der bosnisch-serbische Politiker Milorad Dodik laden für den 5. Mai zu einer großen Versammlung.
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Die Idee von Großserbien führte zu drei Kriegen in den 1990er-Jahren – gegen Kroatien und Bosnien- Herzegowina sowie im Kosovo. Sowohl politische Vertreter von Serbien als auch vom bosnischen Landesteil Republika Srpsk pflegen sehr enge Beziehungen zum Kreml. Dodik und seine Entourage in der Republika Srpska stehen unter US-Sanktionen. Das hat zur Folge, dass die Banken in Bosnien-Herzegowina aus Angst, ebenfalls auf der US-Sanktionsliste zu landen, die Konten von Dodik und seiner Entourage gesperrt haben. Die Politiker können deshalb keine Gehälter mehr beziehen. (Adelheid Wölfl, 11.4.2024)