Hainburg / St. Pölten – Für die niederösterreichische Landesregierung und das östliche Wiener Umland war es eine Hiobsbotschaft: Der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim verkündete im Herbst, sein Werk für die Herstellung von Medikamenten mit rund 800 Arbeitsplätzen doch nicht in Bruck an der Leitha zu bauen. Der Jubel in der Region war bei der Vorstellung des Projekts groß gewesen – Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sah das Werk in Bruck gemeinsam mit einem geplanten Bildungscampus für Biotechnologie in Hainburg an der Donau als eine große "Aufwertung der Region".

Nun ist das Brucker Pharmawerk schon länger vom Tisch – umso mehr hält die schwarz-blaue Landesspitze an dem Projekt der Errichtung eines Bildungscampus in Hainburg fest. Doch in der Gemeinde unweit der slowakischen Grenze regt sich Widerstand. Unter anderem, weil an das geplante Bebauungsgebiet ein Natura-2000-Gebiet grenzt – also ein Gebiet, das zum Schutz von Flora und Fauna ausgewiesen wurde. Das rief auch die niederösterreichischen Grünen auf den Plan, die im Landtag eine Anfrage an die Landeshauptfrau richteten. Denn Hainburg ist aktuell nicht das einzige Projekt in Niederösterreich, bei dem Kritikerinnen und Kritiker die Zerstörung eines Natura-2000-Gebiets befürchten. Was ist genau geplant?

In Untersiebenbrunn gibt es Proteste gegen eine Deponie (im Bild zu sehen das Natura-2000-Gebiet, das an das Grundstück grenzt, das bebaut werden soll).
Christian Fischer

Ein großer Wurf

Ein Campus mit über 400 Studienplätzen und zusätzlich ein Gymnasium, das die überfüllten Schulen im Bezirk entlasten soll: Die Landes- und Ortspolitik sieht im geplanten Bildungscampus in Hainburg einen großen Wurf. Es handle sich um "hochwertige Bildungseinrichtungen", die auf dem Gelände entstehen sollen, sagt Hainburgs Bürgermeister Helmut Schmid (ÖVP). Man werde sich auch trotz der Absage Boehringers weiterhin auf die "prosperierenden Region" rund um Bruck konzentrieren, versprach wiederum Mikl-Leitner.

Das Problem für Kritikerinnen und Kritiker ist die Lage, denn der Campus grenzt an das Natura-2000-Gebiet am Rande des sogenannten Hainburger Schlossbergs, der bislang kaum bebaut ist und vom gesamten Stadtgebiet aus gut zu sehen ist. Am "Gipfel" ragt bloß eine mittelalterliche Ruine in die Höhe, am Fuße des Hügels stehen nur vereinzelt Bauten der ehemaligen Kaserne.

"Großflächige Bodenversiegelung" befürchtet

Besorgt ist man im Fall einer Umsetzung über großflächige Bodenversiegelung sowie die "Zerstörung des Stadtbilds", betont Annika Waldhaus, die mit einer Onlinepetition mehrere Hundert Stimmen gegen das Projekt sammeln konnte. "Eigentlich war seit vielen Jahren der Konsens, das Gelände der alten Kaserne als grüne Lunge Hainburgs zu erhalten. Doch kritische Stimmen werden von der Politik nicht gehört", sagt Waldhaus zum STANDARD. Zudem würden die Hainburgerinnen und Hainburger kaum etwas von dem Projekt erfahren.

Das Argument der "grünen Lunge" lässt Bürgermeister Schmid allerdings nicht gelten. Denn hierbei handle es sich bereits um ein versiegeltes ehemaliges Kasernengelände, "das zu neuem Leben erweckt werden soll", betont Schmid auf STANDARD-Anfrage. Ganz so einfach dürfte das aber alles nicht gehen. Schon alleine die Umwidmung dürfte nicht ganz friktionsfrei verlaufen, da der Schlossberg als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen ist und der geplante Campus direkt daran grenzt.

Fälle häufen sich in Niederösterreich

Solche Bedenken gibt es nicht nur in Hainburg. In der Marchfelder Gemeinde Untersiebenbrunn steigen schon länger Einwohnerinnen und Einwohner auf die Barrikaden und protestieren gegen eine Deponie, die direkt neben ein Natura-2000-Gebiet gebaut werden soll, DER STANDARD berichtete. In Ebenfurth gibt es wiederum Diskussionen über eine Eisenbahnstrecke, die durch ein Schutzgebiet führen soll. Auch in Klosterneuburg stemmen sich seit längerem Teile der Bevölkerung und auch die Politik gegen eine Erdaushubdeponie, die auf dem Gebiet eines Schutzgebiets geplant ist. Und auch gegen die sogenannte Ostumfahrung von Wiener Neustadt wird protestiert, denn dort soll die geplante Straße mitten durch das dortige Natura-2000-Gebiet führen. Doch warum häufen sich die Bauprojekte, die in Natura-2000-Gebieten geplant sind? Bietet Natura 2000 überhaupt einen Schutz?

Bei Natura 2000 handelt es sich um ein EU-weites Netz, mit dem die Union das Ziel verfolgt, natürliche Landschaftsformen sowie deren Pflanzen- und Tierwelt zu erhalten. Die Mitgliedsstaaten müssen schützenswerte Gebiete nach Brüssel melden. Dort, wo das nicht oder nicht ausreichend geschieht oder geschah, wurden Vertragsverletzungsverfahren gestartet.

Falls nun ein Grundstück, welches sich im oder im Nahbereich eines Natura-2000-Gebiets befindet, in Bauland umgewidmet werden soll, muss die zuständige Gemeinde im Rahmen der Umwidmung eine Naturverträglichkeitsprüfung durchführen. "Die Beeinträchtigung eines Natura-2000-Gebiets hängt maßgeblich von der geplanten Widmungskategorie beziehungsweise Nutzung ab. Eine Umwidmung eines Grundstücks in Bauland Industriegebiet hätte beispielsweise eine große Auswirkung auf Natura 2000", erklärt Raumplaner Hans Emrich im Gespräch mit dem STANDARD.

Gemeinde braucht Umweltbericht

Sind erhebliche Auswirkungen auf das Natura-2000-Gebiet zu erwarten, muss zudem laut Emrich eine Strategische Umweltprüfung durchgeführt werden. Die Kommune muss in Zuge dessen einen Umweltbericht vorlegen, in dem die Auswirkungen auf das Natura 2000-Gebiet festgehalten werden. Nur wenn die Naturverträglichkeit und keine maßgebliche Beeinträchtigung des Natura 2000-Gebietes gegeben ist, kann die Umwidmung durchgeführt werden. Österreich habe im Europavergleich relativ viele Natura 2000-Gebiete, betont Emrich.

Dass gerade in besonders vielen Schutzgebieten gebaut wird, kann Emrich zwar nicht beobachten, aber: "Wir kommen langsam an unsere Grenzen und können nicht ewig weiter expandieren. In Zukunft müssen wir besonders sorgsam mit dem Boden umgehen und den Bodenverbrauch massiv reduzieren." Für den Gemeindebund-Präsidenten Johannes Pressl ist es vor allem wichtig, dass in den genannten Einzelfällen die Bevölkerung in den Planungsprozess eingebunden wird und die Politik ihre Entscheidungen begründet. "Die Politik darf nicht einfach über die Leute drüberfahren, sondern soll auch den Hintergrund ihrer Entscheidungen darlegen", meint Pressl. Im Fall Hainburgs fehlen jedenfalls noch die entsprechenden Umwidmungen für den Bildungscampus. Wann das Projekt tatsächlich umgesetzt wird, bleibt von der Gemeinde auf Anfrage des STANDARD unbeantwortet. (Max Stepan, 16.4.2024)