ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker hat bei einer Pressekonferenz am Freitag angekündigt, dass sich der U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch" weiter mit FPÖ-Chef Herbert Kickl beschäftigen werde.
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Freitag um kurz nach elf Uhr tritt Christian Stocker mit betroffener Miene ans Rednerpult. Er rückt wieder einmal gegen die FPÖ aus. Seit Aufkommen des Spionageskandals sind die Volkspartei und ihr Generalsekretär Stocker im Kampfmodus. Seit Anfang April hat die ÖVP acht Aussendungen zur FPÖ oder ihrem Parteichef Herbert Kickl verfasst, hinzu kommen mehrere Pressekonferenzen und Wortspenden einzelner ÖVP-Politiker in Medien. Es ist schon länger die erkennbare Wahlkampfstrategie der Volkspartei, Kickl öffentlich zum Staatsfeind zu stilisieren, seit einigen Tagen lautet das Motto offenbar: Und jetzt erst recht.

Stocker hatte am Freitag bei seiner Pressekonferenz nicht viel Neues zu sagen, außer, dass sich die ÖVP im U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch" weiter mit Kickl beschäftigen werde. Seine Vorwürfe wiederholte Stocker aber mit Vehemenz: Es sei nicht auszuschließen, dass Kickl Österreich an Russland verraten habe, erklärte er. Und spulte noch einmal die Fakten runter: Dem österreichischen Ex-Polizisten und Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott wird bekanntlich vorgeworfen, im Dienste Russlands spioniert zu haben. Für den ÖVP-Mann Stocker handelt es sich um einen "Spionageskandal der FPÖ": Kickl habe als Innenminister versucht, den Verfassungsschutz zu zerschlagen und einen Russland-freundlichen Nachrichtendienst im Außenministerium aufzubauen.

Kickl "entzaubern"?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass zwei Parteien versuchen, einander die Schuld für Skandale oder staatliches Versagen in die Schuhe zu schieben. Doch selbst innerhalb der ÖVP sind manche verwundert, mit welchem Nachdruck die eigene Partei derzeit versucht, in die Offensive zu gehen. Manche sind auch skeptisch, ob die Taktik überhaupt aufgehen kann. "Natürlich ist es wichtig, dass über diese Spionageaffäre gesprochen wird, und logischerweise adressieren wir sie an die FPÖ", sagt ein türkiser Funktionär. "Ich bin allerdings nicht überzeugt, wie gut es uns damit vor der Wahl gelingen wird, Kickl zu entzaubern." Die ÖVP beschäftige sich derzeit "vor allem" mit Kickl. "Wir müssen aufpassen, dabei nicht zu vergessen, auch klarzustellen, was wir eigentlich vorhaben und was unsere Versprechen sind fürs Land", sagt er.

Tatsächlich liegen Chats vor, die zeigen, dass der Kickl-Vertraute Hans Jörg Jenewein mit Ott in Kontakt stand – dabei ging es etwa auch um einen Spitzenjob für Ott im neu geplanten "Mini-Geheimdienst" im Außenministerium. Der FPÖ-Chef selbst beteuerte bei seiner Befragung im U-Ausschuss am Mittwoch, er kenne Ott gar nicht, und spielte den Ball zurück: Für ihn ist die Causa Ott ein "Vollversagen der Volkspartei".

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer Sondersitzung des Nationalrats vergangenes Jahr.
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Drei inhaltliche Haken

Die Kommunikationsstrategie der ÖVP hat jedenfalls inhaltlich mehrere Haken:

1. Das Innenministerium wird seit dem Jahr 2000 mit kurzer Unterbrechung von der ÖVP selbst geführt. Herbert Kickl war von Dezember 2017 bis Mitte 2019 Innenminister, nach Aufkommen der Ibiza-Affäre war für einige Monate die Beamtenregierung unter Brigitte Bierlein im Amt. Danach – ab Jänner 2020 – übernahm der heutige ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer das Innenressort. Der mutmaßliche Russland-Spion Egisto wurde endgültig erst 2021 suspendiert, davor war er selbst noch im Innenministerium tätig gewesen. Zu jener Zeit, als Ott im Verfassungsschutz und dem Innenressort tätig war, hat also auch die ÖVP Ressortverantwortung getragen.

Eine erste deutliche Warnung vor Ott kam schon im Jänner 2017, im Herbst konkretisierte die CIA ihren Verdacht, daraufhin zeigte ihn der damalige Verfassungsschutz-Chef Peter Gridling an. Zwischen Jänner und Herbst 2017 führte Ott illegale Abfragen durch, jagte etwa einem früheren Agenten des russischen Geheimdiensts FSB hinterher. Bemerkt hat das im Verfassungsschutz niemand.

2. Die ÖVP betont derzeit immer wieder die – unbestrittene – Nähe der FPÖ zu Russland. Im Jahr 2016 – also einige Jahre vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine – hatten die Freiheitlichen sogar einen Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei "Einiges Russland" geschlossen, blaue Vertreter pflegten regen Kontakt zu Moskau, heute stellt sich die FPÖ gegen die EU-Sanktionen gegen Russland. Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine fiel allerdings auch die ÖVP aufgrund wirtschaftlicher Interessen mit Nähe zu Russland auf.

Sebastian Kurz hatte als Kanzler beispielsweise noch ein ausgezeichnetes Verhältnis zu dem Putin-Freund und Unternehmer Siegfried Wolf gepflegt. Und auch zu Wirecard gab es Verbindungen: Der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka saß in Moskau bei einem Abendessen mit dem Botschafter neben Jan Marsalek, jenem Mann, der später nach Auffliegen des Wirecard-Betrugs nach Russland geflohen sein soll. Der frühere ÖVP-Obmann Michael Spindelegger taucht rund um das Wirecard-Projekt zu einer elektronischen Flüchtlingskarte in E-Mails mit Marsalek auf. Und Wirecard-Chef Markus Braun war einst in einem Thinktank des türkisen Bundeskanzleramts vertreten.

3. Nachdem unter Innenminister Kickl die Hausdurchsuchung im Verfassungsschutz stattgefunden hatte, verteidigte ihn die ÖVP noch. Nehammer, damals ÖVP-Generalsekretär, stellte im Mai 2018 in einer Aussendung klar: "Das Vorgehen von Innenminister Herbert Kickl war selbstverständlich mit der neuen Volkspartei abgestimmt und akkordiert. Die Volkspartei übt daher hier keine Kritik am Innenminister."

Die türkise Parteitaktik

Die parteipolitische Überlegung hinter den türkisen Angriffen auf Kickl? Die ÖVP versucht seit mehreren Monaten, den Sprung in ein "Kanzlerduell" gegen den FPÖ-Chef zu schaffen. Die Taktik lautet: FPÖ-Inhalte übernehmen, aber freundlicher und staatsmännischer verkaufen. Unter Kurz hatte diese Strategie zum Erfolg geführt. Derzeit scheint sie nicht – oder jedenfalls noch nicht – aufzugehen. In allen seit vergangenem Herbst veröffentlichten Umfragen liegt die ÖVP auf Platz drei hinter SPÖ und FPÖ. Auch für die im Juni anstehende EU-Wahl wird mit einem Absturz der ÖVP gerechnet.

Stocker hat am Freitag auch angekündigt, dass Kickl erneut im U-Ausschuss befragt werden soll. Dass eine "Schlammschlacht" zwischen ÖVP und FPÖ im Gang sei, wies er zurück. (Katharina Mittelstaedt, 12.4.2024)