Es sollte "Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment" werden. So nannte Ursula von der Leyen ihren Plan, als sie mit einem Lächeln im Gesicht im Dezember 2019 den europäischen Green Deal skizzierte. Durch diesen soll der Kontinent bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden: Hunderte Milliarden Euro wurden und werden dafür lockergemacht. Um die Nettonull zu erreichen, haben sich die einzelnen Mitgliedsstaaten zu ambitionierten Klimazielen verpflichtet.

Doch die Euphorie, die 2019, befeuert durch Fridays-for-Future-Proteste, durch Brüssel hallte, erlosch rasch wieder: Pandemie und Wirtschaftskrise drängten das Thema in den Hintergrund. Bald könnte den Klimaplänen eine nächste Barrikade im Weg stehen: ein Vormarsch rechter Parteien.

Gesamt betrachtet ist die EU auf einem guten Weg: Die Treibhausgasemissionen innerhalb der Union sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken. Zwar erreichen viele Mitgliedsstaaten ihre nationalen Klimaziele nicht, unterm Strich ist das EU-weite Minus von 29 Prozent von 1990 bis 2021 aber durchaus beträchtlich. Die bisherige Reduktion war dabei jedoch die einfache: Kohlekraftwerke wurden durch ökologischere Energieproduktionsstätten ersetzt, der öffentliche Verkehr ausgebaut. In den kommenden 15 Jahren sind die harten Brocken dran: Um die Nettonull zu erreichen, muss der Verkehr dekarbonisiert, Heizungen und Häuser ökologisiert werden. Jetzt geht es also um Veränderungen im persönlichsten Lebensbereich der Menschen.

Ein Rechtsruck in Europa könnte auch den europäischen Green Deal vor einige Herausforderungen stellen.
IMAGO/Andreas Stroh

Bloß keine Intervention im Alltag

Und gerade dieser Aspekt ist jener, der bei rechten Parteien mitunter für Zulauf sorgt. Ein Aus für Verbrenner? Ein Heizverbot für Öl, Kohle und Gas? Was angesichts der Energiewende notwendig ist, stößt vielen Bürgerinnen und Bürgern sauer auf – und befeuert damit einen von rechts erwünschten Diskurs. "In den Bereich Heizen, in den Wärmesektor und in den Verkehr reinzugehen – das ist die Achillesferse der Klimapolitik. Diese Bereiche hat man lange Zeit vermieden, obwohl man wusste, dass man ranmuss", sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik mit Sitz in Berlin. "Es gibt eine Aversion gegen Interventionen im Alltag." Geden, Mitautor des Berichts des Weltklimarats IPCC, kennt sich nicht nur in Klimafragen bestens aus, er hat auch jahrelang Diskursstrategien im Rechtspopulismus erforscht.

Die "Heizungsfrage", wie Geden die Debatte rund um einen verbindlichen Ausstieg aus fossilen Heizsystemen nennt, sei politisch voll ausgeschlachtet worden. "Das ist der Konflikt, auf den Rechts-außen-Parteien letztlich hinauswollen." Die Erzählung dabei: Grüne Parteien wollen die Bevölkerung belehren, wie sie zu leben haben. Viele rechte Parteien versuchen hingegen, den Klimawandel für ihre Wählerschaft zu banalisieren: Diesen habe es immer schon gegeben, da könne man nichts machen. Zudem werden Gegenargumente gesammelt, warum man nichts tun müsse. Das beliebteste: "Aber China!"

Unterschiedliche Rhetorik

Doch offen leugnen die Klimakrise auch rechte Parteien immer weniger, mittlerweile werden Wege gesucht, das Thema mit anderen Anliegen zu verknüpfen. "Umweltschutz ist Heimatschutz", lautet nicht nur bei der FPÖ das Motto von Rechten. Während Heinz-Christian Strache den menschgemachten Klimawandel noch infrage stellte, werden solche Aussagen heute zumindest medial vermieden. Bloß Verbote darf es nicht geben und schon gar keine Vorschriften aus Brüssel, fordert die FPÖ. Oder wie es der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider formulierte: "Der zerstörerische Green Deal ist eine Kriegserklärung der EU-Kommission an die Bürger."

Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin.
EPA/CLEMENS BILAN

Versöhnlichere Töne gibt es aus anderen Ländern Europas. Marine Le Pen etwa hat sich des Themas angenommen, wenn auch auf ihre eigene Art: Sie ist gegen Windenergie, aber für einen Ausbau des Atom- und des Wasserstoffsektors. Anders als ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der die Klimakrise stets leugnete und ins Lächerliche zog, setzte die Politikerin das Thema auf ihre Agenda, wenn auch weit hinten.

So auch Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. Die rechte Politikerin will Maßnahmen gegen die Klimakrise setzen – nicht zuletzt wohl auch, weil Italien in den vergangenen Jahren besonders stark von Dürren und Überschwemmungen betroffen war.

Anders sieht es in Deutschland aus: Die AfD forderte im Vorjahr etwa die Aufkündigung aller Klimavereinbarungen. In dem entsprechenden Antrag, den die Partei im Bundestag eingebracht hat, heißt es, der menschliche Einfluss auf das Klima sei umstritten: "Klimaschutz ist ein politischer Kampfbegriff, das Klima lässt sich nicht schützen."

Siegeszug quer durch Europa

Die Rhetorik der Rechtsparteien ist in Klimafragen unterschiedlich, aber nirgendwo sind sie ein Fokus ihrer Politik. Dieser liegt quer durch Europa auf anderen Themen wie Migration oder Teuerung. Prognosen für die EU-Wahl deuten einen Rechtsruck an, was zu einem neuen Kräftemessen in Brüssel führen würde. Auch rechte nationale Regierungen könnten im EU-Rat für Blockaden sorgen. Aber nicht nur ein Siegeszug der Rechten könnte Klimafragen auf EU-Ebene maßgeblich mitentscheiden. Auch viele Konservative haben wenig Freude mit den ambitionierten Klimaplänen der Union, etwa wenn sie die Landwirtschaft berühren.

Was aber würde eine rechtskonservative Mehrheit im EU-Parlament für den Green Deal bedeuten? An den bestehenden Klimazielen würde nicht gerüttelt werden, meint Geden. "Ich kann mir eher vorstellen, dass sie versuchen werden auszuhöhlen, was die Zahl bedeutet." So könnten etwa die strengen Emissionsreduktionsmaßnahmen durch Zukäufe von CO₂-Zertifikaten aus dem Ausland aufgelockert werden. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass Österreich, sollte es sein Klimaziel nicht erreichen, Zertifikate aus Drittstaaten zukaufen könnte. Klimaschutzmaßnahmen würden dann also nicht im EU-Inland geschehen, sondern in Afrika oder Asien.

Spannend wird aus Sicht des Klimaexperten sein, auf welche Zwischenziele man sich nach 2030 einigen wird. "Das Rad wird nicht zurückgedreht werden", sagt Geden, aber das Tempo wird verlangsamt werden. Wichtiger als abstrakte Klimaziele seien für Rechtsparteien symbolische Siege, die sie zu Hause verkaufen können: etwa ein Rückabwickeln des Verbrenner-Aus – das jedoch so oder so schon aufgeweicht wurde.

Mögliche Entlastungen

Wie schnell es auf EU-Ebene zu einer Abkehr von bisherigen Plänen kommen kann, haben unlängst Bauernproteste überall auf dem Kontinent gezeigt. Das Aufbäumen der Landwirte wurde im EU-Parlament genau verfolgt, über mögliche Entlastungen wird zumindest nachgedacht. "Die Mitgliedsstaaten werden empfindlicher, was europäische Vorgaben angeht", sagt Geden. "Künftig könnten kleinerer Verschiebungen im Parlament daher eine große Rolle spielen."

In den einzelnen Staaten rege sich der Widerstand gegen Richtlinien aus Brüssel, sagt Geden, die Bereitschaft zum Abweichen vom EU-Kurs nehme zu. "Weil es jetzt ums Eingemachte geht", erklärt er. "Die Anstrengungen, die in einzelnen Ländern erforderlich sind, werden größer."

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnte eine Aufweichung künftig jedoch erschweren: Das Gericht entschied am Dienstag, dass die Schweiz aufgrund mangelnder Klimaschutzmaßnahmen gegen die Menschenrechtskonvention verstoße. Das Urteil könnte für Nachahmung sorgen und Regierungen dazu zwingen, ihre Emissionen stärker zu reduzieren. Gerade in Österreich könnte das Urteil ein starker Hebel sein, immerhin ist die Menschenrechtskonvention hierzulande in der Verfassung verankert.

Abwarten und schauen

Doch die Mühlen der Gerichte mahlen langsam. Nicht nur deshalb werden viele rechte Parteien auf ein Wartespiel setzen: also zurücklehnen und beobachten, was andere EU- und Drittstaaten unternehmen. "Das wäre der einfachste Ausweg: Wenn wir kollektiv scheitern, zeigt niemand mit dem Finger auf den anderen", erklärt Geden. Europa wird dabei vor allem Richtung USA blicken, die durch die Präsidentschaftswahl selbst vor einer klimapolitischen Richtungsentscheidung stehen.

Doch auch die Wartetaktik wird nicht ewig funktionieren: Zunehmende Hitzeperioden, Dürren und Überschwemmungen werden auch rechte Parteien früher oder später keine Wahl lassen, als der Realität ins Auge zu schauen. Wie sich das mit nationalistischen Agenden und Wissenschaftsskepsis vereinbaren lässt, wird jedoch noch eine spannende Frage sein. (Nora Laufer, 13.4.2024)