Smartphone Rückseite Kameras
Praktisch jedes moderne Handy verfügt mittlerweile über eine bis mehrere leistungsstarke Kameras. Diese könnten zur Erkennung von Herzerkrankungen verwendet werden.
AFP/PAU BARRENA

Tritt im höheren Alter ein schwerer Schlaganfall auf, spricht einiges dafür, dass Vorhofflimmern dafür verantwortlich ist. Diese Herzrhythmusstörung entsteht, wenn sich die elektrischen Signale, die den Takt des Herzens vorgeben, unregelmäßig ausbreiten. Die Vorhöfe beginnen dann zu zittern, Blut wird in geringerem Ausmaß in den Körper gepumpt, der Herzschlag wird unregelmäßig. Damit steigt auch das Risiko, dass sich in Ausstülpungen der Vorhofkammern Gerinnsel bilden. Gelangen diese ins Gehirn, kann eine sonst harmlose Rhythmusstörung zum Auslöser eines tödlichen Schlaganfalls werden.

Mittels eines Elektrokardiogramms (EKG), das eine Herzstromkurve aufzeichnet, lässt sich diese Arhythmie grundsätzlich leicht erkennen. Allerdings: Vorhofflimmern tritt oft nur sporadisch auf. Es braucht Glück, dass es sich genau dann zeigt, wenn man beim Arzt an einem EKG-Gerät hängt. Die Erkrankung bleibt daher oft unentdeckt.

Technik in der Hosentasche

Forschende der Medizinischen Universität Innsbruck haben sich dieser Problematik angenommen. Im Zuge des Austrian Digital Heart Program, das von der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft (LBG) gefördert wird, arbeiten Axel Bauer, Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, und sein Team daran, ein bevölkerungsweites Screening samt entsprechender Behandlungsstrategie umzusetzen. Die Basistechnologie dafür hat mittlerweile jeder in der Tasche – das Smartphone.

"Die Vision ist, dass man die Diagnostik zu den Menschen bringt und Risikopatienten das Screening selbst in die Hand nehmen lässt", erklärt Bauer. Das Selbstscreening per Handy, das nun im Rahmen einer groß angelegten Studie erprobt wird, soll dabei nur ein erster Schritt einer intensivierten Forschung an digitalen Technologien und Künstlicher Intelligenz (KI) im Dienste der Kardiologie sein. "Man darf das Feld der digitalen Gesundheitsanwendungen nicht vollständig den Technologiekonzernen mit ihren Smartwatches und Health-Apps überlassen", betont der Klinikleiter.

Smartwatch Herzschlag
Auch Smartwatches verfügen über diverse Funktionen, mit denen sich Vitalwerte überwachen lassen. Manche Messungen sind medizinisch gesehen aber mit Vorsicht zu genießen.
IMAGO/NurPhoto

Das Messprinzip, das es den Medizinern erlaubt, mittels Handy Vorhofflimmern zu erkennen, ist einfach: "Mit der Pulswelle wird sauerstoffreiches Blut durch den Körper gepumpt. Damit ändert sich die Farbe des Blutes marginal", schildert Bauer. "Für das menschliche Auge ist das nicht erkennbar. Mittels der Hochleistungskamera und LED-Licht, die in aktuellen Smartphones verbaut sind, ist diese Verfärbung aber messbar." Mit der Aufnahme über eine Zeitspanne hinweg lassen sich damit die Pulsintervalle darstellen und analysieren.

Kameralinse bedecken

Patienten müssen also lediglich eine App starten und den Finger eine Minute lang auf die Kameralinse des Handys halten, um eine Aufzeichnung der Herzfrequenz zu erhalten. "Treten Unregelmäßigkeiten auf, sind ärztliche Untersuchungen erforderlich. Handelt es sich tatsächlich um Vorhofflimmern, kann mithilfe von Blutverdünnung das Schlaganfallrisiko drastisch reduziert werden", betont der Mediziner. "Gleichzeitig sollte untersucht werden, ob die Arhythmie auf weitere Herzerkrankungen hindeutet."

Bauer und Kollegen konnten bereits bestätigen, dass der Ansatz grundsätzlich funktioniert. In einer Münchner Studie gemeinsam mit einem Versicherungsinstitut und etwa 5.500 Probanden wurde Vorhofflimmern mit dieser Methode doppelt so oft erkannt wie in einer Kontrollgruppe, die lediglich gewohnte Gesundheitschecks absolvierte. In der klinischen Studie, die nun vorbereitet wird, soll untersucht werden, ob sich damit auch tatsächlich die Zahl der Schlaganfälle bevölkerungsweit reduzieren lässt. "Dazu sind wesentlich mehr Probanden und eine deutlich längere, strukturierte Nachsorge notwendig", sagt Bauer.

Schlaganfall Gehirn
Schlaganfälle hängen in vielen Fällen mit Unregelmäßigkeiten der Herzfunktionen zusammen.
Science Photo Library via www.im

Sind die Vorbereitungen abgeschlossen, sollen 80.000 Probanden dafür via Gesundheitsversicherungen oder Medienkampagnen rekrutiert werden. Die App, deren technische Entwicklung das Austrian Institute of Technology (AIT) durchführt, verfügt über maßgeschneiderte, datenschutzkonforme Schnittstellen, um sie etwa an die elektronische Gesundheitsakte Elga anzubinden. Wird in der Studie eine Reduktion der Schlaganfälle nachgewiesen, könnte das Selbstscreening per App zum fixen Bestandteil des heimischen Gesundheitssystems werden. Zudem besteht Potenzial, die Technologie auch auf andere Anwendungsbereiche, etwa die Nachsorge bei Herzschwäche, zu übertragen.

Tragbare Elektronik

Ziel von Anwendungen wie dieser ist es für Bauer auch, Smartphones und Wearables künftig besser im Sinne des Gesundheitssystems zu nutzen. "Viele Menschen nutzen digitale Helfer großer Tech-Konzerne, um den Körper zu vermessen. Doch die hier genutzten Marker und Grenzwerte sind gewöhnlich nicht standardisiert und werden nicht zielgerichtet eingesetzt. Das Gesundheitssystem weiß mit den Messungen dadurch oft wenig anzufangen", sagt Bauer. "Die akademische Forschung muss mit Eigenentwicklungen und qualitativ hochwertigen Studien versuchen, die digitale Medizin in evidenzbasierte Bahnen zu lenken."

Das bedeutet nicht, dass die in den Smartwatches genutzten Metriken nicht gewinnbringend sein können. Sie motivieren zur Bewegung und helfen Sportlern, Aktivität und Entspannung zu dosieren. Eine zentrale Messgröße ist dabei die Herzfrequenzvariabilität (HFV), also kleinste Abweichungen in der Regelmäßigkeit des Herzschlags. "Der Marker beinhaltet interessante physiologische Information, wird jedoch in der medizinischen Entscheidungsfindung wenig verwendet. Auch seine Nutzung in Smartwatches erfolgt oft abseits etablierter Normen", erklärt Bauer, der selbst zur Herzinfarkt-Risikoabschätzung auf Basis der HFV forschte. Letztendlich hilft das Biofeedback, das die Uhren geben, vor allem jenen, die sich eingehend mit ihren persönlichen Trainingserfahrungen auseinandersetzen.

Professur für digitale Medizin

Neben der Vorbereitung auf die neue Studie machen sich Bauer und Team indes Gedanken, wie die Kardiologie auch mit neuen KI-Methoden besser unterstützt werden kann. Seit Februar gibt es eine neue Professur für Digitale Medizin in der Kardiologie, die mit dem Physiker und KI-Experten Clemens Dlaska besetzt wurde. "Mittels KI kann man aus dem EKG-Signal alle möglichen Informationen rausholen, die den menschlichen Augen verborgen bleiben. Alter, Größe, Geschlecht, sogar künftige Herzschwächen bilden sich in kleinsten Aspekten des Signals ab", veranschaulicht Bauer.

Was im Zusammenhang mit dem Vorhofflimmern bereits möglich ist, zeigt eine Studie der Mayo Clinic in den USA, die Bauer hervorhebt: "Dort wurde ein KI-Modell trainiert, anhand eines EKGs jene Patienten zu identifizieren, die irgendwann in der Vergangenheit Vorhofflimmern hatten. Die KI fand also in EKGs, die aktuell kein Flimmern zeigten, Spuren einer zurückliegenden Arhythmie – für Menschen wäre das unmöglich." (Alois Pumhösel, 26.4.2024)