Die Videospielreihe "Fallout" hat endlich eine TV-Umsetzung bekommen, und das Werk aus dem Hause Amazon ist auch noch erstaunlich gut geworden. Das postapokalyptische Ödland des Jahres 2296 versprüht endlich seinen Charme auch außerhalb der Gaming-Szene und begeistert mit einem durchaus gelungenen Mix aus Endzeit-Dystopie, absurden Situationen, schrulligen Charakteren und einigermaßen treffsicherem Humor. Wie es sich für ein Produkt aus dem "Fallout"-Universum gehört, ist auch völlig übertriebene Gewalt ein Fixbestandteil, und das Blei regnet in Strömen.

DER STANDARD hat sich deshalb angesehen, welche Schießprügel im gesetzlosen Ödland für Ordnung, Chaos oder beides sorgen.

Der Herr mit dem Appetit auf Wackelpudding-Cremetorte stürmt den friedlichen Vault 33 mit einer Sterling-Maschinenpistole, die auch schon in "Star Wars" im Einsatz war. Der Zuckerschock hat ihn wohl die Abzugsdisziplin vergessen lassen.
Screenshot Fallout/Amazon

Die Raider-Bleispritze

Im Jahr 2296 wird Vault 33 von den brutalen Raidern überfallen. Die Banditen tun das aber nicht mit der Schrottschleuder aus dem Videospiel oder futuristischen Laserwaffen, nein, sie benutzen neben Beilen, Macheten und Äxten einen wahren Oldie, nämlich eine Sterling-Maschinenpistole aus britischer Fertigung. Diese kompakte Waffe wurde schon zu Ende des Zweiten Weltkriegs getestet, aber erst in den Fünfzigern bei der British Army eingeführt. Die Briten hatten mit der Sterling nämlich keine Eile, weil sie noch Unmengen des Vorgängers, der sehr ähnlichen Sten-Gun, in den Arsenalen hatten. Warum die Fallout-Macher die Maschinenpistole gewählt haben, liegt auf der Hand: Sie wirkt mit dem seitlich angebrachten Magazin und den Kühllöchern am Handschutz um den Lauf schon sehr eindrucksvoll und gibt die perfekte Waffen für Schurken ab. Außerdem lieben Hollywood-Regisseure Dauerfeuer, und das kann die Sterling mit 550 Schuss pro Minute recht ordentlich.

Und wer jetzt meint, diese Waffe schon in dem einen oder anderen Film gesehen zu haben, irrt sich nicht. Die imperialen Sturmtruppen in "Star Wars" nutzen die Sterling in der Variante L2A3 nämlich als ihr E-11-Blastergewehr, aber auch die Rebellen setzen eine die Sterling als DH-17-Blasterpistole ein. Moment, diese beiden Waffen in "Star Wars" sehen doch völlig unterschiedlich aus? Na ja, in der Rebellenvariante wurde einfach die Schulterstütze entfernt, während das Imperium die Variante mit ausgeklapptem Schaft verwendet, schnell einen nach Blaster oder Laser aussehenden Stoppel in den Lauf gesteckt, fertig ist die "One size fits all"-Science-Fiction-Bewaffnung für Gut und Böse gleichermaßen.

Alles 08/15

Ja was hat denn der Ritter da? Sieht verdächtig nach einem stark modifizierten MG 08/15 aus.
Screenshot Fallout/Amazon

Die Redewendung "Nullachtfünfzehn" steht in der deutschen Sprache bekanntlich dafür, wenn etwas "von der Stange" ist. Tatsächlich stammt der Begriff aus dem Ersten Weltkrieg und bezieht sich auf das Standardmaschinengewehr 08 in der Modifikation von 1915, also der "leichten" Variante der Waffe. Wobei der Begriff "leicht" bei deutschen Maschinengewehren aus dieser Ära eher ein Marketinggag war. Das 08/15 wiegt nämlich gute 20 Kilo, will man auch Munition dabei haben – was im Ödland keine schlechte Idee ist –, kommen noch einmal 9,5 Kilo dazu. Ach ja, die Waffe ist wassergekühlt, man muss also noch knapp drei Liter Flüssigkeit in den Tank füllen, will man nicht, dass der Lauf gleich zu glühen beginnt.

Kein Wunder, dass nur die Ritter der Stählernen Bruderschaft mit ihren T-60-Powerrüstungen ein solches Schwergewicht im Kampf gegen Mutanten, Ghule und widerliche Flussmonster führen können. Wobei, eigentlich sind es ja deren ungerüstete Knappen, die das Maschinengewehr in den absurd großen Ausrüstungssäcken hinter ihrem Herrn nachschleifen müssen. Tja, hätten die Ödländer bloß ein Geschichtsbuch gelesen, denn die Waffe wurde im Ersten Weltkrieg wegen ihres hohen Gewichts auf einem Schlitten bewegt, was sich als praktischer erwies als der Transport durch keuchende Untertanen. Die Requisiteure haben jedenfalls ganze Arbeit geleistet: Das Gewehr wurde silberfarben lackiert, der Munitionsgurt durch eine Trommel ersetzt (leider auf der falschen Seite) und gleich noch eine Art Seitenschweller drangepappt. Die völlig unnötige Optik und die Extra-Laufverkleidung verschleiern die Herkunft der vollautomatischen Apokalypse-Knarre ganz gut.

Die Frankenstein-Pistole

Lucy und die ikonische Waffe der Fallout-Spiele: die Zehn-Millimeter-Pistole.
Screenshot Fallout/Amazon

Fans der Videospiele dürfte ein Grinsen entfleucht sein, als Lucy in einem Supermarkt, der von fiesen Organhändlern bewohnt wird, eine Pistole aufhebt. Denn Kenner wissen: Es ist die legendäre Zehn-Millimeter. Mit ihr war schon der Vaultbewohner im Ur-Spiel aus dem Jahr 1997 bewaffnet, und seitdem tauchte die ikonische Waffe in sämtlichen Spielen und nun auch in der Serie auf. Die Pistole heißt eigentlich Colt 6520 und ist ein Fantasieprodukt. Na ja fast, denn tatsächlich hat der US-Waffenhersteller Colt Ende der 80er-Jahre eine Pistole im Kaliber zehn Millimeter entwickelt, die Colt Delta Elite. Später übernahm sogar das FBI die Zehn-Millimeter-Munition in Form der Patrone .40 S&W, kehrte aber bald wieder zur klassischen 9-mm-Para zurück, weil die große Munition einen heftigen Rückstoß verursacht bei nicht unbedingt besserer Leistung.

Kennern dürfte an Lucys Waffe aber noch ein Detail aufgefallen sein: Warum hat der Colt 6520 eine Revolvertrommel, wo er doch mit einem Magazin geladen wird? Nun, das geht auf ein kleines Missverständnis zwischen Spieldesignern und Autoren zurück, wie Chefdesigner Chris Taylor in der "Fallout Bible 8" erklärte. Der Beschreibungstext zur Waffe wurde nämlich geschrieben, als das Design noch nicht fertig war. Im Text war klar von einer Pistole die Rede, während die Grafiker an einem Revolver bastelten. Der Fehler wurde notdürftig kaschiert, und am Ende blieb ein Pistolen-Revolver-Frankenstein-Hybrid, was wohl zur Popularität beigetragen haben dürfte. Dieser kleine Designfehler ist mittlerweile übrigens 27 Jahre alt.

Der Ghul und seine Revolverflinte

Der Ghul räumt auf, mit einer Revolverflinte mit Explosivgeschossen.
Screenshot Fallout/Amazon

Der Cowboy-Ghul hat nicht nur keine Nase, sondern auch keine Skrupel, neue Löcher in die Bewohner des Ödlandes zu stanzen. Das tut er bevorzugt mit einer abgesägten Schrotflinte. Und weil bei "Fallout" alles ein wenig übertrieben sein muss, benutzt der Antiheld natürlich nicht irgendein Gewehr mit gekürztem Lauf, sondern eine Revolverflinte, vermutlich eine MTs255 aus russischer Fertigung. Dabei handelt es sich eigentlich um eine Jagdwaffe von eher zweifelhaftem praktischem Nutzen. Zudem gelten Revolvergewehre als notorisch unangenehm zu schießen, weil man sich meistens die linke Hand durch austretende Gase verbrennt. Aber Revolvergewehre und Schrotflintenrevolver waren Ende der 90er-Jahre voll im Trend, wohl auch deshalb, weil sie laut und gefährlich sind.

Das passt auch zum Ghul, dem ehemaligen Hollywoodstar Cooper Howard, der lädt sein Schrotgewehr nämlich mit Flintenlaufgeschoßen, sogenannten Slugs. Die sind aber auch noch explosiv und verteilen die Bestandteile die Unterweltgangster der Stadt Filly effekt- und blutreich über den Bildschirm. Völlig unrealistischer Schwachsinn, oder? Leider nicht ganz, tatsächlich gibt es derartige Explosivgeschoße. Eine britische Firma versucht seit den frühen 2000ern derartige Munition namens Frag-12 an die Streitkräfte dieser Welt zu verkaufen. Der Erfolg dürfte eher überschaubar sein, denn die Patrone gilt als zu teuer, und Armeen haben üblicherweise bessere Alternativen, wenn Bedarf an hochexplosiver Feuerkraft besteht. Na ja, vielleicht wird es in der postnuklearen Endzeit noch was mit dem kommerziellen Durchbruch.

Und was ist mit den Lasern?

Laserwaffen sind in den Spielen eher hochstufige Items und auch in der Serie erstaunlich unterrepräsentiert, nur die Raider-Anführerin verfügt über eine mit Fusionszellen geladene AER9-Laserpistole mit Titangehäuse. Eine reale Entsprechung gibt es dafür nicht, aktuelle Laserwaffen sind noch hausgroße Anlagen und werden eher zur Drohnenabwehr eingesetzt als zur Plünderung von Vaults.

Und um die wichtigste (und grauslichste) Frage zum Schluss zu klären: Kann man menschliche Zähne in eine Patronenhülse stecken und als Projektil verwenden? Schließlich wird Knappe Maximus von so einem Geschoß getroffen und an der Schulter verwundet. Die kurze Antwort: theoretisch ja. Dazu braucht man aber spezialisiertes Werkzeug wie Zündhütchensetzer, Pressen und Pulverwaagen sowie einen zurechtgeschnitzten Zahn. Viel Spaß in der postapokalyptischen Bastelstunde! (Peter Zellinger, 20.4.2024)