Bärtierchen werden gerne als die unzerstörbaren "Superhelden" der Tierwelt bezeichnet – und ganz unrecht hat man damit nicht: Die nur Bruchteile eines Millimeters großen achtbeinigen, tonnenförmigen Kreaturen haben es geschafft, in praktisch allen Biotopen der Erde zu gedeihen. Fachleute entdeckten sie in tropischen Dschungeln ebenso wie in Regenpfützen der gemäßigten Zonen, in den lichtlosen Regionen der Tiefsee oder in eisigen Einöden der Antarktis. Selbst in den Todeszonen des Himalaja in mehr als 6.000 Meter Seehöhe können die winzigen Tausendsassas ihr Auskommen finden.

Bärtierchen
Bärtierchen halten eine Menge aus, vor allem wenn sie sich in in einem Zustand des Scheintods befinden.
Illustr.: University of Wyoming

In der Biostase unkaputtbar

Experimente haben zudem gezeigt, dass Bärtierchen in einem Zustand des Scheintods wesentlich mehr aushalten können, als irgendeine Umgebung auf der Erde zu bieten hat. Diese Wesen verkraften während dieser Biostase den sechsfachen Druck, der am tiefsten Punkt der Erde im 11.000 Meter tiefen Marianengraben herrscht.

Sie sind in der Lage, bis zu 30 Jahre lang ohne Nahrung und Wasser zu überleben, und selbst der lebensfeindlichsten Umgebung, die man sich vorstellen kann, sind die Bärtierchen gewachsen: 2007 wurden Tausende von ihnen in den Orbit geschossen und der tödlichen Strahlung im Vakuum des Weltraums ausgesetzt. Nicht nur dass die meisten unversehrt zurückgekehrt sind, viele Weibchen unter ihnen legten Eier, aus denen gesunde Nachkommen schlüpften.

Wie es den Bärtierchen gelingt, während der Biostase diese extremsten Bedingungen zu überstehen, ist nach wie vor nicht in allen Details geklärt – weshalb es der eine oder andere Forscher für möglich hält, dass diese Wesen sogar außerirdischen Ursprungs sein könnten. Ihr Argument: Eine Lebensform, die selbst die harte Strahlung des Alls und Temperaturen von minus 270 Grad Celsius schadlos übersteht, muss diese Fähigkeit evolutionär erworben haben, also unter Bedingungen, die nur im All zu finden sind.

Nicht immun gegen harte Strahlung

Einer Forschungsgruppe der University of North Carolina (UNC) ist es nun gelungen, das Geheimnis einer ihrer Superkräfte zu lüften, nämlich warum ihre Körper so gut mit harter Strahlung fertig werden: Das Team um Bob Goldstein vom Labor des UNC Chapel Hill konnte feststellen, dass Strahlung die DNA der Bärtierchenspezies Hypsibius exemplaris zwar durchaus schädigt, ein potenter Reparaturmechanismus schafft es jedoch, die entstandenen Fehler wieder zu korrigieren.

"Was wir beobachtet konnten, hat uns sehr verblüfft", sagt Goldstein. "Denn die Bärtierchen tun etwas, was wir nicht erwartet hatten." Goldsteins Labor hat sich in den letzten 25 Jahren ausgiebig mit den Fähigkeiten von Bärtierchen auseinandergesetzt. Dabei stellten sie unter anderem fest, dass die Tiere das Tausendfache der Strahlungsintensität überleben können, die der Mensch gerade noch aushält.

Bärtierchen der Spezies Echiniscus insularis
Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Bärtierchens der Spezies Echiniscus insularis. Die Maßstableiste unten rechts ist 20 Mikrometer lang.
Foto: Kiosya Y et al.

DNA-Reparatur

Immun sind Bärtierchen gegen die Folgen der Strahlung dabei freilich nicht, wie Goldstein und seine Kollegin Courtney Clark-Hachtel erkannten. Ihr Erbgut trug unter solchen Umständen erhebliche Schäden davon. Doch bevor sich diese auswirken konnten, setzte ein Wiederherstellungsprozess ein, der die Auswirkungen der Radioaktivität rückgängig machte.

"Wir waren überrascht, als wir feststellten, dass Bärtierchen die Aktivierung von DNA-Reparaturgenen erheblich steigern können", sagen Clark-Hachtel und Goldstein. Im Vergleich zum Menschen können Bärtierchen demnach die Menge der Produkte von DNA-Reparaturgenen so stark erhöhen, dass diese zu den am häufigsten vorkommenden Genprodukten der Tiere wurden.

"Diese Tiere zeigen eine unglaubliche Reaktion auf Strahlung, und das scheint ein Geheimnis ihrer extremen Überlebensfähigkeit zu sein", sagt Clark-Hachtel. Die im Fachjournal "Current Biology" vorgestellten Ergebnisse könnten nach Ansicht der Forschenden zu neuen Möglichkeiten führen, wie man Mikroorganismen, andere Tiere und auch den Menschen vor schädlicher Strahlung schützen kann.

Übertragene "Superkraft"

Was die Übertragung von "Superkräften" der Bärtierchen auf den Menschen betrifft, ist eine andere Forschungsgruppe bereits einen Schritt weiter. Die Wissenschafter von der University of Wyoming, Laramie, haben sich dafür den Zustand der Biostase bei Bärtierchen genauer angesehen. Dabei erkannte das Team um Silvia Sanchez-Martinez, dass bestimmte Proteine zum Einsatz kommen, die im Inneren der Zellen eine Art Gel bilden, um so Lebensprozesse der Zellen deutlich zu verlangsamen.

"Erstaunlicherweise gelieren diese Proteine auch, wenn wir sie in andere Zellen einführen, und verlangsamen so den Stoffwechsel, genau wie bei den Bärtierchen", sagt Sanchez-Martinez. "Wenn man menschliche Zellen, die diese Proteine enthalten, in Biostase versetzt, werden sie widerstandsfähiger gegen Stress. Einige der Fähigkeiten der Bärtierchen ließen sich also auch auf die menschlichen Zellen übertragen."

Journey to the Microcosmos

Blick in die Zukunft

Der gesamte Prozess ist reversibel. Wenn also der Stress nachlässt, lösen sich die Bärtierchen-Gele wieder auf, und die menschlichen Zellen kehren zu ihrem normalen Stoffwechsel zurück. Die im Fachjournal "Protein Science" veröffentlichten Resultate könnten nach Ansicht der Forschenden neue Wege in der Medizin ebnen.

"Unsere Erkenntnisse ermöglichen die Entwicklung von Technologien, die auf die Induktion von Biostase in Zellen und sogar ganzen Organismen abzielen", so Sanchez-Martinez. "Man könnte damit die Alterung verlangsamen, aber auch in Zukunft lebensrettende Behandlungen für Menschen verfügbar machen, bei denen eine Kühlung nicht möglich ist." (Thomas Bergmayr, 20.4.2024)