Früher nannte man sie "Luci" oder "Lutschner", heute heißt es meistens "Gemma Lugner!". Seit ihrer Eröffnung im September 1990 durch Dagmar Koller, die Frau des damaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk, genießt das über die Jahre etwas abgerockte Einkaufszentrum Lugner City einen zumindest zweifelhaften Ruf.

Mitten in der Stadt direkt am Gürtel im armen Wiener Hacklerbezirk Rudolfsheim-Fünfhaus gelegen, zeichnet für sie auch ihr Gründer, Baumeister Richard Lugner, verantwortlich. Der ließ zuvor das dort gelegene, im Volksmund "Rote Fabrik" genannte Galvanowerk wegreißen und Tonnen an kontaminiertem Bauschutt und Erde wegräumen.

Mit rund 90 Geschäften, einem Kinocenter, Ärztezentrum oder diversen Gastrozonen findet man in der Lugner City im armen Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus ein Stückchen Heimat – und einen niederschwelligen Nahversorger.
Mit rund 90 Geschäften, einem Kinocenter, Ärztezentrum oder diversen Gastrozonen findet man in der Lugner City im armen Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus ein Stückchen Heimat – und einen niederschwelligen Nahversorger.
Helena Lea Manhartsberger

Vor allem Bewohner des gegenüber des Gürtels stadteinwärts gelegenen Hipsterbezirks Neubau brüsten sich gewöhnlich stolz damit, "noch nie!" in der Lugner City gewesen zu sein beziehungsweise "niemals!" einen Fuß dort hineinsetzen zu wollen. Da wäre zum einen der schlechte Leumund, den als "proletarisch" verunglimpfte Einkaufszentren generell genießen.

Man hat ja als Privileg gegenüber den ärmeren Bevölkerungsschichten in der Lugner City genügend Tagesfreizeit, um Angelegenheiten des täglichen Bedarfs höherwertig und qualitativ nachhaltiger kreuz und quer durch die Stadt in Einzelgeschäften zu erledigen.

Ein A-Promi mit D-Image

Zum anderen gilt der schillernde Namenspatron der City, Richard "Richie" Lugner, von jeher als Reibebaum. Noch heute kann man den 91-jährigen A-Promi mit dem Image einer weiter hinten im Alphabet eher auf D oder Ts-ts-ts angesiedelten Person regelmäßig zwecks Kundenbindung durch sein Reich schreitend Bonmots verteilen sehen. Zuletzt ist der rüstige Society-Löwe, der sich mit seiner medialen Präsenz laut Eigenbekunden jährlich Millionen Euro an Werbekosten spart, durch zunehmend bizarre Auftritte aufgefallen.

Verkleidet als Queen Mum im kreischroten Kostüm mit Omamahut besuchte der ehemalige Juxkandidat für die Hofburg heuer im März den diskret in einer Nische versteckten Sexshop seiner Stadt. Auf Instagram machte er Werbung für erotisches "Womanizer"-Spielzeug. Er/Sie würde das als vollwertigen Ersatz für einen gewissen "Richie" verwenden, wenn der einmal 14 Tage auf Urlaub fährt.

Eine aktuelle australische Studie besagt übri­gens, dass der regelmäßige Kontakt mit Katzen Schizophrenie begünstigen kann. Die Toxoplasmose und so. Wie wir wöchentlich aus den ORF-"Seitenblicken" oder aus Dominic Heinzls Streichelzoo auf ATV erfahren, findet sich neben diversen Mausis, Bambis oder Hasis unter den im Rotationsverfahren beschäftigten Gesellschaftsdamen des rüstigen Bonvivants regelmäßig eben auch ein Katzi. Internationaler gesehen, bezahlte heuer auch Elvis-Witwe Priscilla Presley für den zweifelhaften Ruhm unter anderem mit einer Autogrammstunde im brechend vollen Atrium der City.

Der abgelebte Charme der Lugner City macht ihren Reiz aus. Es muss ja nicht alles gut, es muss interessant sein.
Der abgelebte Charme der Lugner City macht ihren Reiz aus. Es muss ja nicht alles gut, es muss interessant sein.
Helena Lea Manhartsberger

Trotz all der Werbung und einem vor allem gegen Feierabend und am Wochenende brummenden Laden ist die Königinmutter der Lugner City allerdings wieder einmal verschuldet. Mit knapp 40 Millionen Euro sollen Richie und seine Stiftung laut "Forbes Digital News" gegenwärtig in der Kreide stehen. Zurückgeführt wird das ganze Elend vom souverän wie noch jeder Herrscher auf Schulden fröhlich pfeifenden Hausherrn auf diverse Investitions- und Renovierungskosten.

Allerdings macht für einen alten Trash-Liebhaber wie mich gerade auch der abgelebte Charme der Lugner City ihren Reiz aus. Es muss ja nicht alles gut, es muss interessant sein. Der tägliche Gang zu Lugner beziehungsweise auch mitunter die Anreise mit dem Auto – ja, ich weiß – machen mich froh. Dort weiß ich, dass ich nicht alleine bin. In protzigen Hütten wie der Shopping City Süd stellt sich dieses Gefühl nie ein. Es ist zu clean. Auf Lugner aber bin ich zu Hause: Die Lifte und Rolltreppen versagen regelmäßig ihren Dienst. Es könnte auch wieder einmal frisch gestrichen werden. Teilweise befinden sich die Bodenfliesen in einem desolaten Zustand. Und auch in der Tiefgarage, in die die schwarzen BMWs einfahren, um dort neben meinem alten Kübel rührend umständlich rückwärts einzuparken, fällt der Putz von den Wänden.

Blood, Sweat and Tears

Ganz abgesehen vom Staub und Dreck in der City erfüllt der Shabby-Chic-Koloss als niederschwelliger Nahversorger mit einem Merkur minus als größtem der knapp 90 hier beheimateten Geschäfte seinen Zweck: der Handyshop, ein Nagelstudio, Drogerien, Hip-Hop-Gangsterbedarf, diverse Schuh- und Gewanddiskonter, ein Tiergeschäft, eine Elek­trogroßhandelskette, ein Hanfshop, ein Bähbäcker, eine weit unter Kühlschranktemperatur gefahrene Wurstico-Filiale, die man im Sommer zum Gefrieren von Blood, Sweat and Tears nutzen kann, während die Angestellten in ihren Anoraks frösteln. Und, und, und.

In der Lugner City kann man der großen weiten Welt im Kleinen zusehen. Es gibt auf der Welt nichts Interessanteres als andere Menschen.
In der Lugner City kann man der großen weiten Welt im Kleinen zusehen. Es gibt auf der Welt nichts Interessanteres als andere Menschen.
Helena Lea Manhartsberger

Dazu gesellen sich ein Ärztezentrum, ein Hotel, ein Kinocenter abseits von Arthousefilmen, ein Fitnesscenter, eine Apotheke, zwei Trafiken und ein Geschäft, das völkerverbindend vor allem eine Kundschaft aus den ehemaligen Ostblockstaaten bedient. Die schätzt das Angebot von sauer eingelegtem Gemüse und meterlangen Wodkaregalen. Sie nutzt auch gern die diversen Gastrozonen zwischen Running Sushi, Kuchen-, Eis- und Biercafés, labbriger Warmhaltepizza, Fleischpflanzerln vom Balkan, Fritteusenschnitzel und All-you-can-eat-Buffets. Hier spielt das pralle Leben!

Wunderschön, aber auch traurig

Dass speziell in der Gastro die Lokale oft wechseln, mag nicht nur an den hohen Mieten liegen. Vielleicht war es zuletzt auch keine so gute Idee, in einem Bezirk, in dem es längst mehr türkische Kebab-Lokale als Wiener Wirte gibt, es ausgerechnet mit einer griechischen Gyros-Bude oder gar einem nordischen Fischimbiss zu versuchen. Fisch, Brudis und Schwestas! Alles bleibt im Fluss. Auch in der Lugner City herrschen volatile Zustände. Hier kann man der großen weiten Welt im Kleinen zusehen. Es gibt auf der Welt nichts Interessanteres als andere Menschen.

Während draußen gegenüber dem Haupteingang vor dem Wettlokal nach Feierabend die Schwarzarbeiter vom Arbeitsstrich eine Gasse weiter ihre Biere und Wodkaflaschen gegen das Heimweh stemmen und ihren Unmut bezüglich der vor Ort aktiven Kleindealer äußern, was oft zu interessanten Polizeieinsätzen führt, wurde man speziell während der Pandemie auch Zeuge der wirtschaftlichen Probleme der Anrainer. Vor der Pfandhausfiliale in der City bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die ihren als Lebensversicherung getragenen Goldschmuck belehnen mussten, damit sich das Leben noch irgendwie ausgeht. Auch das kann man in der "Luci" erleben: Das Leben ist wunderschön – und sehr oft sehr, sehr traurig. (Christian Schachinger, 19.4.2024)