Zentralfriedhof burgtheater fritsch
Leichenbestatter düsen variantenreich um einen vielsagenden (und real existierenden) Würstelstand beim Zentralfriedhof.
Matthias Horn

Dem nicht tot zu kriegenden Ruf vom morbiden Wien trägt die kommunale Bestattung in Werbeangeboten am allermeisten Rechnung. Um 5 Euro 90 ist im Museumsshop beispielsweise ein trauerschwarzer Eisschaber zu haben - Aufschrift: "Mit uns kratzen Sie besser ab". Das gefiel auch dem Burgtheater, das anlässlich der letzten Premiere der Intendanz Martin Kušejs - Zentralfriedhof in der Regie von Herbert Fritsch - in Kooperation mit dem Bestattungsmuseum nun Merchandise anbietet: Einkaufstaschen und Trinkbecher mit dem Slogan "Als Leich is jeder gleich".

So knackig wie diese Sprüche geriet die Uraufführung allerdings nicht immer. Zentralfriedhof ist eine 90-minütige, beinahe wortlose Choreografie von knapp einem Dutzend Leichenbestatter, die auf der weitgehend leeren Bühne pantomimisch ihre Profession zelebrieren. Auf ein schönes, filigranes Vorspiel von Hans Dieter Knebel (schelmisch) folgt bald - Thema: Pompfüneberer-Uniform - ein Sakko-Slapstick von Gunter Eckes und Hubert Wild (auch Musikeinstudierung) und darauf eine Hosenträgerverkettung aller Darstellerinnen und Darsteller (weiters: Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Arthur Klemt, Elisa Plüss, Dunja Sowinetz, Tilman Tuppy und Paul Wolff-Plottegg.

Aus dem Grab hüpfen

Unter ihnen auch Tänzer Yahya Micah James, der die sportlichen Trampolinnummern verantwortet und die anspruchsvollsten davon auch absolviert. Kaum je hat eines der in der Bühnenversenkung versteckten Sprunggeräte mehr Sinn ergeben denn hier als Grab, aus dem man stets zurückschnellt. Boing!

Es geht in den Gruppennummern mit Schaufeln oder auf Fahrrädern auch immer um das allzu Menschliche eines Sozialgefüges: um Wettbewerb und Überheblichkeit, um Missgunst, Diffamierung, Ausgrenzung. Einer hat einen unpassenden roten Schaufelgriff und wird sofort gedisst. Lustig ist jene Szene, in der sie alle beim Schaufeln Schwerstarbeit vortäuschen und um die Wette ächzen, was sich zu einem chorischen Gestöhne ausbildet.

Manche dieser Übergänge gelingen gut, etwa wie sich aus einer Art Fahrradkonzert (am Kopf stehende Räder, die zum Laufen gebracht werden) die deformierte Melodie des Donauwalzers herausschält, die sich dann mehr und mehr verfremdet und schließlich in ein Angstgeschrei mündet, das mit einem aus dem Schnürboden fallenden Skelett-Hampelmann quittiert wird.

Hallo Wien & Halloween

Herbert Fritsch, der Befürworter des Bad Acting und der Blödelei, arrangiert um das Thema Zentralfriedhof (der übrigens heuer vor 150 Jahren eröffnet wurde) Themen des Todes und des Grusels. In einer der am besten performten Sequenzen des Abends versucht ein Leichenbestatter (Yahya Micah James) die aus den frischen Gräbern unerwartet wieder herausdrängenden Gliedmaßen retour zu stopfen. Edgar Allan Poe lässt grüßen! Ist ein Schädel einmal sachte und mit Distanz höflich zurückgedrückt, so schnellt verlässlich derjenige vom Nachbargrab empor.

Geisterbahngefühle und Kalauer mit Halloween bzw. Hallo, Wien! gehören ebenso dazu wie die Wiedergängerinnen aus der Kapuzinergruft, die mit üppigem Trauerflor die Bühne bevölkern. Die Zeit zwischen den Nummern hängt auch durch. Nicht immer sind die Momente, in denen sich allmählich etwas zusammenbraut, so spannend wie man hofft. Übrigens: Die einzige direkte Verbindung zum Titelhelden, dem Zentralfriedhof, ist ein mittig der Bühne platzierter Würstelstand mit der Aufschrift "eh scho wuascht". Da hat Herbert Fritsch Feldforschung betrieben, denn das Standl gibt es wirklich, beim zweiten Tor.

An Fritschs Einstandsarbeit in Wien, Molières Der eingebildete Kranke im Jahr 2015, reicht Zentralfriedhof nicht heran. Dem Abend mangelt es an Fleisch, sodass das Thema trotz einiger schöner Manöver oberflächlich bleibt und wenig Witz zeigt. - Apropos, die Bestattung Wien führt auch ein ansprechendes Badeset - mit einer schwarzen Luftmatratze in Sargform. (Margarete Affenzeller, 20.4.2024)