Lorenzo Villoresi Parfumeur
Vom Philosophiestudenten zum erfolg­reichen Parfümeur: Lorenzo Villoresi.
Villoresi

Die Hausnummer 12 in der Via de Bardi wirkt ebenso unprätentiös und fast anonym wie der Rest der engen Gasse in Florenz. Hinter dem Tor würde man jedenfalls nicht das dreistöckige Palazzo der Familie Villoresi vermuten, mit Pflanzengarten und Blick auf den Arno und das Zentrum der Stadt. Es ist zugleich Firmensitz, Verkaufsraum, Wohnung, Museum und Labor des Gründers.

Lorenzo Villoresi gehört zu der wachsenden Nische der "profumieri artigianali". Damit sind unabhängige Parfümeure abseits des Massenmarktes gemeint, die ihre hochwertigen Düfte in kleinen Chargen produzieren und ihr Handwerk als Kunstform verstehen. Als Villoresi 2006 als erster unabhängiger Produzent den Prix François Coty erhielt, eine Art Oscar der Parfumbranche, lautete die Begründung, seine Produkte seien "eine Begegnung zwischen den Gewürzen des Orients und italienischer Sophistication". Sie hätten "Intensität und Tiefe", sagt Georg Gaugusch, "und man spürt sie lange, im Unterschied zu den vielen flachen Düften modischer Brands in den Supermärkten". Gauguschs traditionsreiches Stoffgeschäft Jungmann & Neffe neben dem Sacher war der erste Importeur von Villoresis Produkten in Österreich, mittlerweile führen sie auch die Läden von Nägele & Strubell und einiger Spezialisten wie etwa Maison Colloredo in Salzburg.

Lorenzo Villoresi flagship store in Florence, Italy
Lorenzo Villoresi`s Flagship Store in Florenz.
Villoresi

Der Nase nach

Als Student konnte der Italiener Lorenzo Villoresi noch nicht wissen, dass er eines Tages ein international renommierter Parfümeur sein würde. Schließlich studierte er Philosophie. Doch das Fach lässt sich gut mit der Welt der Düfte vereinen – wie sich im Werdegang Villoresis noch zeigen sollte. Den Anstoß zu dieser Entwicklung gab einer seiner Professoren, Francesco Adorno, Philosoph an der Universität Florenz, der auf antike Ideengeschichte spezialisiert war. Ermutigt durch den Namensvetter des deutschen Philosophen Theodor W. Adorno, tauchte Villoresi in die Religionen und Mythen in Mesopotamien und Ägypten ein. Dabei fiel ihm auf, wie oft exotische Duft- und Würzstoffe in den Erzählungen vorkamen, in Salomons Hohelied etwa mehr als dreißig Mal. Er las über Weihrauch und Rosenblüten, Amber und Myrrhe und darüber, wie Lebende in Wohlgerüche getaucht und Tote einbalsamiert wurden.

Forschungsreisen führten Villoresi in Bibliotheken der erwähnten Länder, zunächst mit der Aufgabe, Texte etwa aus dem Sumerischen zu übersetzen. Zugleich erkundete er, wo und wie die Dufttraditionen jener Kulturen weiterlebten. Von den Eindrücken inspiriert und wieder zurück in der Toskana, stellte er gelegentlich für Gäste, die er bekochte – auch da ließ er sich von orientalischen Gewürzen leiten – das eine oder andere Duftwasser zusammen. Das positive Feedback, sagt er, habe ihn ermutigt, weiterzumachen.

Vielleicht gab es auch so etwas wie einen Genius loci, einen Schutzgeist des Ortes Florenz: Die toskanische Hauptstadt gehörte zu den ersten Städten, in denen nach dem an Wohlgerüchen wenig interessierten Mittelalter die Kunst des Würzens und Duftens wieder gepflegt wurde. Im Kloster Santa Maria Novella etwa gab es bereits im 13. Jahrhundert erste entsprechende Rezepte – die Araber hatten mit der Eroberung Siziliens und Spaniens ihr Wissen nach Europa gebracht. Italien wurde zum frühen Zentrum der Parfumkunst, von hier wurde sie später nach Frankreich exportiert.

Quereinsteiger im Palazzo

1990 jedenfalls eröffnete der Quereinsteiger Lorenzo Villoresi, gerade 34-jährig, sein Parfumunternehmen in der Via de Bardi. Seine ersten Produkte hatten einen schweren, orientalischen Touch, da mischte sich Vanille mit Kardamom oder Myrrhe, Patchouli, Weihrauch. Heute bietet er eine viel breitere Palette an, Teint de Neige etwa soll an Puder aus der Belle Epoque erinnern, Iperborea andererseits, weniger leicht nachvollziehbar, an Frühling und ewige Jugend. Zu den Parfums kamen Seifen und Duschgels, Raumdüfte und Kerzen. Produziert wird auf dem Land unweit Florenz.

Lorenzo Villoresi, Firenze
Das Palazzo der Familie Villoresi ist Wohnraum, Geschäft, Labor und Museum zugleich.
Villoresi

"Er kann sich eine Situation vergegenwärtigen, eine Landschaft, die Atmosphäre in einem Ort, und dann sucht er so lange unter seinen Essenzen, bis er diese Vorstellung für sich realisiert hat", sagt seine Ehefrau Ludovica Passi. Sie könne das nicht, sie komme vom Visuellen, könne sich Farben ausdenken, was ihm wiederum fehle, sagt Passi. Sie ist verantwortlich für Presse, Marketing und das Duft-Museum, das die Villoresis vor fünf Jahren im Keller eingerichtet haben. Sympathischerweise ist es nicht als Werbung gedacht und in keiner Weise auf die hauseigenen Produkte konzentriert. Vielmehr führt es in Texten, auf Schautafeln, mit Pflanzen, Gewürzen und interaktiven Videos die Geschichte dieses ältesten und oft unterdrückten Sinnes, des Geruchssinnes vor. Eine große runde Tafel, nach dem Vorbild des "Wheel of fragrances" des Parfumspezialisten Michael Edwards, verortet es unzählige Parfums nach ihren Charakteristiken.

Wir besuchen Lorenzo Villoresi in seinem Büro, einem Dachkammerl im obersten Stock, das wie das Labor eines Zauberers aus einem Märchenfilm aussieht. In Regalen an der Wand stehen hunderte winzige Fläschchen mit Pipetten, fein säuberlich beschriftet – die Ingredienzien seiner bereits produzierten oder geplanten Kreationen.

In dem Kammerl, mit den praktisch unendlichen Kombinationsmöglichkeiten an der Hand, hat sich Villoresi einen Ruf als genialer Schöpfer nicht nur marktfähiger Produkte erarbeitet, sondern auch solcher "su misura", maßgeschneidert. Dabei setzt der Experte auf intensive Gespräche, um herauszufinden, was am besten zur Kundschaft passen würde. Teil der Klientel sind auch Prominente. Die Namen Tony und Cherie Blair fallen im Gespräch; die New York Times nannte Nicole Kidman, Brad Pitt, Ridley Scott, Billy Joel – sie alle waren schon in der Via de Bardi.

Mit den Marken großer Konzerne könne und wolle er nicht konkurrieren, sagt Lorenzo Villoresi, aber in Europa und Nordamerika seien die Produkte aus seinem Haus über die Jahre bekannter geworden. Und auch in Vorderasien sei man gut vertreten, sagt der Parfümeur. Was nur als folgerichtig bezeichnet werden kann, bedenkt man die Anfänge seiner Arbeit. (Michael Freund, 25.4.2024)