Ministerin Susanne Raab
Es könne nicht sein, dass Syrer in Wien zu drei Vierteln von der Sozialhilfe leben, während im Westen händeringend nach Arbeitskräften gesucht werde: Integrationsministerin Susanne Raab.
APA/GEORG HOCHMUTH

Als Themenverfehlung: So interpretiert Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) einen Wunsch der Wiener Stadtregierung. Wie berichtet wollen SPÖ und Neos mit einer Wohnsitzauflage verhindern, dass so wie bisher der größte Teil der Flüchtlinge in die Metropole zieht: Nicht berufstätige Menschen sollen nach abgeschlossenem Asylverfahren drei Jahre lang in jenem Bundesland leben müssen, in dem ihr Verfahren absolviert wurde.

Der Vorschlag gehe am Kern der wirklich wichtigen Debatten vorbei, reagierte Raab nun im Interview mit dem Ö1-Morgenjournal. Statt Flüchtlinge anderswo mit Sozialleistungen über Wasser zu halten, müsse das Ziel sein, sie rascher in den Arbeitsmarkt zu integrieren: Niemand verstehe, dass Syrer in Wien – wie dem Integrationsbericht zu entnehmen ist – zu drei Vierteln von der Mindestsicherung, vulgo Sozialhilfe, leben, aber Wirtshäuser und Hotels im Westen "händeringend" nach Personal suchten: Da müsse es möglich sein, eine überregionale Vermittlung zu machen.

Allerdings spricht sich jene Person, die genau dafür zuständig ist, aus ebendiesem Grund für eine Wohnsitzauflage in einer bestimmten Spielart aus: Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice, befürwortet die Idee unter anderem deshalb, weil in Wien die Arbeitslosigkeit deutlich höher ist als in den anderen Bundesländern. Den Hebel sieht er in der Sozialhilfe. Diese solle nur in jenem Land bezogen werden, in dem auch das Asylverfahren stattgefunden hat.

Sozialhilfe als Pull-Faktor?

Umstritten ist auch ein anderes Argument Raabs. Es stelle sich die Frage, warum denn alle Flüchtlinge nach Wien wollten. So wie von der ÖVP ständig verbreitet, führt auch sie diesen Umstand auf das dortige, ihrer Meinung nach zu hohe Niveau der Sozialhilfe zurück. Schließlich hat die Stadtregierung die einst von der schwarz-blauen Bundesregierung verfügten Kürzungen nicht mitgemacht.

Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) wehrt sich gegen diese Behauptung. In seinem Büro verweist man auf die jährliche Analyse der Statistik Austria. Demnach waren die durchschnittlichen Leistungen für Familien nicht in Wien am höchsten. Mit monatlich 1265 Euro stieg ein Paar mit zwei Kindern vielmehr in Tirol am besten aus, an zweiter Stelle rangiert die Steiermark mit 1194 Euro. Erst dann kommt Wien mit 1100 Euro.

Allerdings bedarf diese Aufstellung einer Erklärung. Die durchschnittliche Höhe der Sozialhilfe hängt auch davon ab, wie viele Bezieher diese vollständig oder nur teilweise erhalten. Gibt es in einem Land einen größeren Anteil von Menschen, die mit dieser Leistung lediglich ein anderes kleines Einkommen aufstocken, statt den vollen Betrag zu beanspruchen, senkt das naturgemäß den Schnitt.

Faktum ist, dass die gewährten Familienzuschläge in Wien mit 312 Euro pro Kind grundsätzlich höher liegen als in Tirol (286 Euro für das erste und zweite Kind, ab dem dritten weniger) und als in der Steiermark (243 Euro). Welche Beträge an welchem Ort für ein würdiges Leben reichen, ist dann allerdings eine ganz andere Frage.

Dem Geld hinterher

Vor einigen Jahren haben sich bereits zwei österreichische Ökonomen dieser Frage gewidmet. Fanny Dellinger von der Universität Innsbruck und Peter Huber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) kamen zum Schluss, dass die Höhe der Sozialhilfe sehr wohl eine Auswirkung auf die Wohnortentscheidung von Flüchtlingen innerhalb Österreichs hat. Beleg: Als Niederösterreich 2017 die Mindestsicherung massiv kürzte, zog laut der Studie daraufhin fast ein Fünftel mehr an Flüchtlingen nach Wien um. Auch der Umstand, dass die Bundeshauptstadt im Gegensatz zu anderen Ländern subsidiär Schutzberechtigten die volle Leistung gewährt, entfaltet demnach eine gewisse Sogwirkung.

Die Experten kamen anhand von Vorarlberg und Tirol jedoch noch zu einem anderen Schluss: Wo es gute Integrationsangebote gibt, rückt die Bedeutung der womöglich anderswo höheren Sozialhilfe in den Hintergrund. (Gerald John, 23.4.2024)