Von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) kam am Dienstag ein Nein zu einer von Wien geforderten Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge, gepaart mit massiver Kritik. Wien zahle mehr Sozialhilfe als andere Bundesländer aus, das führe zu stärkerem Zuzug von Flüchtlingen, sagte sie. Überhaupt sollten anerkannte Flüchtlinge keine Sozialhilfe kassieren, sondern so rasch wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wie gut funktioniert der Jobzugang von anerkannten Flüchtlingen? Ist Wien bei der Sozialhilfe wirklich großzügiger als die anderen Bundesländer? Und: Könnte eine Wohnsitzauflage rechtlich halten?

Kinder in der Schule zeigen auf
Wiens Schulen sind wegen des Familienzuzugs anerkannter Flüchtlinge überlastet, jetzt wird um eine Wohnsitzauflage gestritten.
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Anerkannte Flüchtlinge vielfach nicht jobfit

Wer Arbeit sucht, weiß: Der Erfolg hängt sehr vom Beherrschen der deutschen Sprache ab. Auch hat bessere Jobchancen, wer beruflich auf der Höhe der Zeit ist. Genau diese Skills jedoch bringen viele Flüchtlinge nach der Asylanerkennung nicht mit. Weil sie während des Verfahrens nur wenig oder gar keine Deutschkurse besuchen konnten und erst recht keine Weiterbildungsmaßnahmen.

Das hängt mit Bestimmungen im Asylgesetz zusammen. Integrationshilfe, so heißt es in Artikel 68, könne Asylwerbern "nach Maßgabe vorhandener finanzieller und organisatorischer Ressourcen gewährt werden", wenn die Zuerkennung internationalen Schutzes "sehr wahrscheinlich" ist. Vor Türkis-Blau war das noch anders. Die hohe Anerkennungswahrscheinlichkeit war die einzige Bedingung für Deutsch- und andere Integrationskurse während des Asylverfahrens: "Der Passus mit der Maßgabe wurde unter Innenminister Herbert Kickl hinzugefügt", sagt Lukas Gahleitner, Sprecher der Asylkoordination.

Konkret bedeutet das: Deutschlernen und Weiterbilden startet für Flüchtlinge erst nach der Asyl-Berechtigung, wenn sie bereits vollen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Vermittelbar sind sie dann nur schwer, weshalb die meisten von ihnen Sozialhilfe beziehen. In Oberösterreich versucht Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) nun, die gesetzlich aufgetragenen Integrationsdefizite auszugleichen. In einjährigen Kursen werden Asylwerber gezielt auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.

Wien zahlt am meisten Sozialhilfe für Kinder

Ob die Höhe der Sozialhilfe einen Pulleffekt auf anerkannte Flüchtlinge hat, ist unter Fachleuten umstritten. Fakt ist, dass selbst die höchsten Sozialhilfeleistungen unterhalb der Armutsgrenze liegen. Eine Einzelperson erhält heuer monatlich 1155,84 Euro Sozialhilfe, zwölf Mal jährlich, die Armutsgrenze lag laut der Europäischen Gemeinschaftsstatistik EU-Silc im Jahr 2022 bei 1392 Euro monatlich.

Die meisten Sozialhilfebeziehenden leben nicht von dieser Leistung allein. Sie verdienen wenig, die Sozialhilfe zahlt zu. 2023 stieg ein Paar in Tirol mit zwei Kindern mit monatlich 1265 Euro in Tirol am besten aus, an zweiter Stelle rangierte die Steiermark mit 1194 Euro. Erst dann kam Wien mit 1100 Euro.

Für Kinder gibt es in allen Bundesländern Zuzahlungen, in Wien sind sie mit 27 Prozent des Erwachsenensatzes am höchsten. Auch gewähren nur Wien und Tirol neben Österreichern, Ausländern mit Arbeitsmarktzugang und anerkannten Flüchtlingen auch subsidiär schutzberechtigten Personen Sozialhilfe. In den anderen Bundesländern verharren diese in der Asylwerber-Grundversorgung.

Experte Obwexer hält Wohnsitzauflage für möglich

Doch wie sieht es nun mit den rechtlichen Möglichkeiten für eine etwaige Wohnsitzpflicht für Flüchtlinge aus? Der Vorschlag von AMS-Chef Johannes Kopf sieht vor, dass anerkannte Flüchtlinge nur in jenem Bundesland Sozialhilfe beziehen können, in dem das Asylverfahren stattfand. Wenn Personen Schutz erhalten und dann weiter nach Wien ziehen, sollen sie keine Mindestsicherung mehr erhalten. Ein sofortiger Umzug von Asylberechtigten ohne Job nach Wien wird so unattraktiv. Gleichzeitig soll die Maßnahme Flüchtlinge eher in Regionen halten, wo es bessere Chancen auf Arbeit gibt.

Eine Umsetzung dieser Wohnsitzauflage mit Sanktionen über die Sozialhilfe halten Fachleute aber für nicht realistisch. Walter Obwexer vom Institut für Europarecht und Völkerrecht der Uni Innsbruck verweist auf das EU-Recht: Dieses sehe vor, dass anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte bei der Gewährung von Sozialhilfe wie Inländer behandelt werden müssten. Sprich: Eine etwaige Wohnsitzauflage müsste dann auch für Österreicherinnen und Österreicher gelten, die Sozialhilfe beziehen. So eine Verschärfung ist politisch unwahrscheinlich.

Es könnte aber andere Möglichkeiten geben. So könne eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge rechtlich zulässig sein, wenn sie aus integrationsfördernden Gründen erfolgt. Die Maßnahme darf also nicht auf eine räumliche Verteilung der Flüchtlinge aus Kostengründen abzielen. Außerdem müssten laut Obwexer "zwei Voraussetzungen erfüllt werden": Der Nachweis, dass ein vorgeschriebener Wohnsitz für die Integration förderlich ist, müsse ebenfalls für Drittstaatsangehörige gelten, die sich in puncto Integration in der gleichen Situation befinden. Und, zweiter Punkt: Es müsse nachgewiesen werden, dass es für die Erreichung des Integrationsziels keine gelinderen Mittel, also andere gemäßigtere Maßnahmen, gibt. Hält Obwexer eine solche Wohnsitzauflage für wahrscheinlich? "Schwierig wird wohl sein, die Verhältnismäßigkeit nachzuweisen", sagte er dem STANDARD. Wenn dies gelinge, sei es "ein gangbarer Weg". (Irene Brickner, David Krutzler, 23.4.2024)