Die Debatte über die Finanzierung der Pensionen ist politisch festgefahren. Die einen reden vom schwer vorstellbaren 67-jährigen Hackler auf dem Baugerüst, die anderen von der Notwendigkeit, das reale und gesetzliche Pensionsantrittsalter zu erhöhen. Beide Seiten kommen mit Tonnen von Zahlen und Argumenten. Über tiefsitzende Mentalitäten und notwendige begleitende Reformen, etwa eine unterstützte Orientierungsphase zur Lebensmitte, einen Arbeitsmarkt innerhalb des öffentlichen Dienstes oder mehr Durchlässigkeit im Bildungs- und Arbeitsleben wird zu wenig gesprochen.

Eine Gruppe von Menschen, in legerer Kleidung
Mit Zuversicht in die Zukunft blicken – wie gelingt ein glückliches Erwerbs- und Pensionsleben?
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Zuletzt ortete der Präsident des Fiskalrats, Christoph Badelt, im STANDARD "Populismus" bei allen Parteien, der Reformen im Pensionssystem blockiere (siehe "'Jetzt sind hier schon alle hier in Österreich Populisten'"). Mit einem umfassenden Blick auf Bildung, Arbeit, Leben und Pension könnte Bewegung in die Sache kommen. 14 Thesen zu einem gesellschaftspolitischen Minenfeld.

1. Arbeit ist gut. So sollte sie auch gesehen werden! Die Arbeit ist die tragfähigste Verbindung des Einzelnen mit der Gesellschaft. Eine sinnvolle Arbeit, die der Welt nützt, die ein akzeptables Auskommen beschert und in der man sich anständig behandelt fühlt, ist Lebensglück.

2. Die verbreitet negative Sicht auf die Arbeit als leider notwendiges Fegefeuer vor dem Paradies einer möglichst frühen Pension ist fatal. Gängige Begrifflichkeiten wie "work-life-balance" suggerieren, "work" und "life" seien Gegensätze. Sie verraten die verhängnisvolle Sicht der Dinge.

3. Arbeit braucht Schutz, Rechte und eine Machtbalance. Unternehmerinnen und Unternehmer etwa, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht einmal einen Betriebsrat zugestehen, sollen in der Pensionsdebatte schweigen.

Praktische Intelligenz

4. Sozial ist, die Arbeit und das Arbeitsleben so zu gestalten, dass ein langes, gesundes und glückliches Arbeiten möglich wird. Unsozial ist, schlechte Arbeit so zu belassen, wie sie ist, und zum "Ausgleich" ein möglichst frühes Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess zu propagieren und zu ermöglichen.

5. Offene, durchlässige Bildungs- und Entwicklungswege müssen ein vornehmes Ziel allen Lernens und Arbeitens, aller Bildungspolitik werden. Wir brauchen Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter und Tischlerinnen und Tischler als Intellektuelle und umgekehrt. Handarbeit, Handwerk und praktische Intelligenz verdienen einen höheren Stellenwert, mehr Ansehen und mehr Wertschätzung.

6. Die Gesellschaft muss tun, was immer sie kann, um den sozialen Stress eines vermeintlichen "Abstiegs" durch berufliche Neuorientierungen aufzulösen. Es darf keine "Schande" sein, einmal etwas weniger "Angesehenes" zu tun.

7. Die Barbarei, dass Menschen durch strukturelle Zwänge zugemutet wird, ein ganzes Arbeitsleben lang eine schlechte, ungesunde, im Alter überfordernde Arbeit bei demütigender Behandlung und mieser Bezahlung abzudienen, muss als solche benannt und entschieden bekämpft werden.

Reflexion zur Lebensmitte

8. Es fehlt eine gezielte Reflexionsphase und Orientierungshilfe zur Lebensmitte. Es muss Standard werden, ohne sozialen Stress und ohne Angst mit jeweils benötigten Expertinnen und Experten Perspektiven für das weitere Berufsleben zu entwickeln. Ein möglicher Bedarf an Umschulungen, Veränderungen, Pausen oder Umstiegshilfen ist gemeinsam auszuloten und zu ermöglichen. Das kostet Geld. Aber mit welchem Argument stecken wir selbstverständlich Millionen in junge Studierende und verweigern Menschen, die sich in der Lebensmitte neu oder zusätzlich qualifizieren und orientieren wollen, die nötige Unterstützung?

9. Der Sozialstaat muss Armut verhindern! Dies auch bei Menschen, die wenig oder keinen bezahlten Arbeitsbeitrag zur Gesellschaft leisten oder leisten können. Aber der Sozialstaat darf nicht die Unterschiede zwischen Menschen, die arbeiten, und solchen, die nicht arbeiten, einebnen. Das halten hart und fleißig arbeitende Menschen schlicht nicht aus. Leistung und Arbeit müssen sich lohnen.

10. Die Gesellschaft hat die Wahl. Unterstützt sie, dass ihre Mitglieder von Arbeit gut leben oder leistungslos von Vermögen, Erbschaften, Spekulationen und der Preissteigerung von Immobilien? Mit Letzterem werden reale Arbeit und Leistung entwertet. Vermögensbezogene Steuern müssen hier korrigierend eingreifen.

Flexibler Arbeitsmarkt

11. Jeder versteht, wenn etwa Lehrerinnen und Lehrer nach zwanzig Jahren in der Klasse keine Kinder mehr sehen können. Aber es ist nicht zu verstehen, dass sich die Betroffenen dann weitere Jahrzehnte in eine möglichst frühe Pension schleppen. Warum kann eine Mathematikerin nicht in das Finanzamt umschulen? Warum ein Geograf nicht in die Raumordnungsabteilung des Landes? Es fehlt ein flexibler Arbeitsmarkt innerhalb des öffentlichen Dienstes, ebenso wie eine Unterstützung für den Ausstieg in die Privatwirtschaft oder in die Selbstständigkeit.

12. Die Selbstständigkeit ist eine positive Option. Dies nicht als ausbeuterisches Outsourcing oder als unrealistische Träumerei. Es geht um die selbst bestimmte Realisierung von Anliegen, Wünschen, Zielen, Wissen und Fähigkeiten. So kann selbstständiges Arbeiten eine besonders schöne Form des Erwerbslebens sein. Das Wissen um Unternehmensgründung und Selbstständigkeit muss Bildungsbestandteil werden.

Besser altern

13. Manches Böse, das der Arbeit zugerechnet wird, wie Burnout, Erkrankungen oder Stress, liegt zumindest auch an der sonstigen Lebensführung, der Umwelt, ungesunder Lebensweise, dem permanenten Standby-Modus, den fragilen Privatsphären oder dem Freizeitstress. In Österreich steigt die Lebenserwartung, aber die Zahl der gesunden, fitten und leistungsfähigen Lebensjahre stagniert. Die dramatischen Zahlen und Entwicklungen, etwa bei Übergewicht oder Alkoholmissbrauch, wirken sich auf das Leben, auf Arbeitsfähigkeit und Pensionsdruck aus.

14. Menschen im Pensionsalter, die mit Freude bezahlten oder unbezahlten (ehrenamtlichen) Tätigkeiten nachgehen, leben besser und altern langsamer als jene, die lange saturierte Jahre nur noch zwischen vermeintlichem persönlichen Wohlergehen, Golfplatz und Bildungsreise oszillieren. (Heinrich Breidenbach. 26.4.2024)