Mit einem Smartphone kann man die tollsten Dinge anstellen. Telefonieren gehört definitiv nicht dazu.
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Am Donnerstag vermeldete die Krone Erstaunliches: SPÖ-Chef Andreas Babler wird in seiner "Herz und Hirn" getauften Rede beim Bundesparteirat am Samstag in Wieselburg (Niederösterreich) ein Recht auf ein Leben ohne Internet fordern. Als Begründung, warum ein analoges Leben gesetzlich festgeschrieben werden sollte, werden vor allem ältere Menschen genannt, die angeblich mit der Digitalisierung in allen Bereichen überfordert seien. Deshalb sollen Behördenwege auch an einem Schalter möglich sein. Und: In Servicestellen in Gemeinden sollen diese abgewickelt werden können.

Telefonierverbot jetzt!

Dass es ein solches Gesetz bereits gibt, dürfte für die Planung eines Parteitages natürlich keine Rolle spielen. Da will man bei der eigenen Wählerschaft punkten. Und wenn man gerade nichts über Pensionen zu sagen hat, dann regt man sich eben über "Wischhandys" auf, will man die vermeintlich digital-averse Zielgruppe ansprechen. Allzu groß dürfte diese Wählergruppe aber gar nicht sein, weil 88 Prozent der Menschen zwischen 60 und 69 Jahren in Österreich sehr wohl ein Smartphone nutzen und wohl auch bedienen können. Das wirkt ein bisschen wie die SPÖ-Variante der Bankomaten- und Bargeldpflicht der Volkspartei.

In der Kommunikation mit Behörden herrscht seit jeher Wahlfreiheit, man darf darauf bestehen, sämtliche Amtswege auch analog abzuwickeln. Um diese Information zu finden, muss man nicht einmal besonders weit lesen: Sie steht in Absatz 1 des E-Government-Gesetzes. Wenn die SPÖ wirklich sinnvoll am Gesetz schrauben und eine weitere Zielgruppe erschließen will, dann sollte sie kein Recht auf ein Leben ohne Internet fordern, sondern Telefonanrufe gesetzlich verbieten. Bis auf Notrufe ausnahmslos. Am besten im Verfassungsrang.

Unhöflich, invasiv, übergriffig

Telefonanrufe sind nämlich nicht nur meist unnötig, sie sind auch grob unhöflich. Wir leben in einer Welt, in der sich Nachrichten in Form von Mails und DMs via Whatsapp, Signal und Telegram stapeln. Diese zu beantworten kostet viel Zeit, aber ich bin Herrscher darüber, ob und wann ich antworte. Ich kann selbst priorisieren, ich kann in meinem Workflow bleiben, meine Antworten ausformulieren und vielleicht noch einmal darüber nachdenken – das soll ja manchmal ganz sinnvoll sein, habe ich gehört.

Außerdem habe ich die schriftlich übermittelte Information protokolliert. Ich kann später nachschauen, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, was genau ausgemacht wurde. Ein Telefonanruf ist etwas anderes: Er muss sofort beantwortet werden, alles bleibt stehen und liegen, ein Telefonat erfordert vollen Fokus. Nach einem zehnminütigen Gespräch habe ich meist Informationen, die in eine zweizeilige E-Mail gepasst hätten. Diese Lebenszeit kommt nie wieder.

Umso schlimmer sind Anrufe, wenn sie mir die Freizeit stehlen. Da gibt es diese eine Freundin, die oft weite Strecken mit dem Auto fährt. Und weil sie auch als ein Modell für Babler'sche Analogfantasien herhalten könnte, hat sie noch nicht herausgefunden, wie man über ein Smartphone Podcasts abspielen kann. Ihre Alternative zum Zeitvertreib am Steuer sind ausgiebige Telefonate mit der Hälfte ihres Adressbuches. Auch ich stehe da drinnen.

Ein typisches Gespräch über die billigste, je in einem Fahrzeug verbaute, Bluetooth-Freisprecheinrichtung besteht aus minutenlangem Nachfragen, was das Gegenüber eigentlich im vorigen Satz gesagt hat. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich selbst so tue, als wäre die Verbindung mieser, als sie tatsächlich ist. Ich mache das nur, um der Situation zu entkommen. Meistens fühle ich mich deshalb nachher schlecht.

"Ich verbinde Sie zum Chef"

Ein anderes Beispiel: Ich hatte vor kurzem privat mit mehreren Bauunternehmen zu tun. Nichts Außergewöhnliches, Kostenvoranschläge einholen, Termine vereinbaren, das Übliche, wenn ein Bad saniert werden muss. Ich schicke also eine Mail mit der Bitte um eine schriftliche Antwort. Erstens bin ich beschäftigt, zweitens möchte ich Angebote dann studieren, wenn ich dafür Zeit habe. Was passiert? Eine Dame ruft an. Sie stellt sich als die Sekretärin ihres Arbeitgebers vor. Gefolgt von den Worten: "Ich verbinde Sie zum Chef." Wieder dieselbe Szene: Er sitzt im Auto, das Telefonat ist kaum zu verstehen, ich glaube, der "Chef" will mit mir einen Termin vereinbaren. Ich weiß es bis heute nicht. Besser wäre gewesen, es hätten die 70er-Jahre angerufen und ihre Rollenverteilung zurückverlangt. Das wäre tatsächlich einmal ein sinnvolles Telefonat geworden.

Meinem Kollegen Alexander Amon geht es übrigens ähnlich. Er hat nachgezählt: 112 Mal am Tag greift er zum Smartphone. Telefonieren kommt trotzdem nicht infrage. Glaubt man einer Geschichte von Forbes, sind wir mit unserem Leid nicht allein, und tatsächlich scheint meine Generation Telefonanrufe als das zu empfinden, was sie sind: rücksichtslos, invasiv und übergriffig. Also, Herr Babler, machen wir uns nichts vor: Ein Leben ohne Internet ist doch gar nicht möglich. Ein Leben ohne Telefonanrufe sehr wohl. Und es wäre ein schöneres Leben. (Peter Zellinger, 26.4.2024)