Ein blauer Planet (Thomas Schmauser) watet durch Plastikmüll - er war schon mal besser in Schuss.
Asche / Münchner Kammerspiele
Kammerspiele/Korbel

Wie man halt so daherkommt beim Weltuntergang: zerfetzte Schwimmwesten hängen am Leib, die Funktionskleidung ist verdreckt, und der Anzug überall zerrissen. Drei ramponierte Gestalten stehen an der Bühne der Münchner Kammerspiele, nachdem sie über einen Felsklumpen (Bühne: Katrin Hoffmann) geklettert kamen. Und dann geht es los mit Elfriede Jelineks Asche, einem Text über den Abschied von der Erde – in mehrerlei Hinsicht.

Asche ist kein reines Klimastück, das die Nobelpreisträgerin den Vorgängertexten Sonne/Luft (2022) hinterherschickt, sondern ein auch die eigene Sterblichkeit sowie die Trauer über einen geliebten Menschen einschließendes Selbstgespräch. Jelinek weicht einen weiteren Schritt zurück vom konkreten Leben und betrachtet es mit entsprechend elementarem Vokabular von einem kosmischen Standpunkt aus.

Pixel-Schaden

Regisseur Falk Richter illustriert die sich in aufsehenerregenden Spurwechseln vollziehende Trauerrede der Autorin mit einer XL-Ladung Apokalypse-Bilder auf der rückwärtigen Halbrundleinwand. Es sind KI-Bilder von schönen Naturlandschaften, die im nächsten Moment zerfallen; Belege zivilisatorischer Höhepunkte wie antike Baudenkmäler, die dann einen hässlichen Pixel-Schaden erleiden (Video: Lion Bischof). Von einem schmalen hochformatigen Bildschirm wendet sich auch ein KI-Mensch zu uns, der oder die oder they (alles bleibt möglich) mit unheimlicher KI-Stimme auch seinen Teil von Jelineks Sätzen übernimmt.

Gustav Mahlers Zyklus Lieder eines fahrenden Gesellen bildet neben Hesiod und Platon die literarische Hauptquelle, die Jelinek in ihre eigene, geerdete Sprechweise überführt. Die Lieder erzählen vom Liebesschmerz eines abgewiesenen Gesellen auf Wanderschaft („Ich hab' ein glühend Messer,/ Ein Messer in meiner Brust,/ O weh! Das schneid't so tief/ in jede Freud' und jede Lust“). Bei Jelinek heißt das dann: "Mein Schatz, wir werden keinen Boden mehr unter den Füßen haben, wir werden selber Boden sein, ist das nicht fein! Ja, nicht nur dich, mein Liebster, gibt es nicht mehr, es gibt, da es dich nicht mehr gibt, keine Menschen mehr auf der Welt".

Jelinek als Wall-E

Da plumpst ein kleiner Planet in Würfelform aus dem Schnürboden, damit können die Götter jetzt Fußball spielen. Plakative Bildideen haben bei Jelinek immer Saison – da lässt sich auch Falk Richter nicht lumpen. In Überlagerung mit den Liveszenen ergeben sich schöne meditative Tableaus, verstärkt nicht zuletzt durch die Musik. Auch Mahlers Lieder wirken KI-behandelt, als hätte sich Scott Walker mit seiner irisierenden Kopfstimme an ihnen versucht.

Regisseur Richter hat 2017 das Trump-Theaterstück der Autorin, "Am Königsweg", mit Bravour als Assoziationsgewitter erstinszeniert. Bei "Asche" ist alles auf eine "Zeit danach" eingestellt, die Erde ist bereits verbrannt, die Macht liegt längst nicht mehr bei den Menschen. Sie illustrieren ihr Ende noch bei einem letzten Badeurlaub am Ufer des Plastikmüllmeeres. Unweigerlich kommen "Wall-E"-Gefühle auf, Erinnerungen an den berühmten Müllroboter aus dem gleichnamigen Pixarfilm. Mit ihm ist Jelinek unbedingt verwandt: 700 Jahre Müll verarbeiten, und dann ist immer noch nicht Schluss.

Reißfeste Luft

In der Strandszene bietet Thomas Schmauser, ein in seinem Bei-sich-Sein hervorragender Jelinek-Performer, eine denkwürdige Ausführung zum Thema Luft. Er erhebt sich unter gleißender Sonne vom Klappstuhl und doziert wie ein verrückte Professor von einer alternativen Luft, sie solle am besten aus Kunststoff sein, dann wäre sie auch reißfest!

Solche Momente gibt es einige. Der Abend enthält aber viel Zynismus, den der Witz nicht immer abzufangen im Stande ist, etwa wenn die Krankenbetten aufgefahren werden oder es ans Probeliegen im Sarg geht. Das ist durchaus deprimierend. In der Tonlage erinnert die Inszenierung an Susanne Kennedys elegische Zukunftsvisionen, bleibt aber weniger technikbasiert. Denn hier treiben alles die charaktervollen Darstellerinnen und Darsteller an.

Neben Schmauser: Bernardo Arias, Katharina Bach, Svetlana Belesova, Johanna Kappauf, Ulrike Willenbacher. Letztere ist mit ihren langen Haaren und ihrem stilvollen Outfit am allermeisten als Jelinek-Redefigur zu erkennen. Dem verschlissenen Planeten, der einmal durch die Szene wankt, ohne dass ihm jemand helfen würde, ruft sie hinterher: "Ich könnte Ihnen was schreiben!". Im Sich-auf-die-Schaufel-Nehmen läuft niemand Jelinek den Rang ab. Der Planet war da natürlich schon weggerollt. (Margarete Affenzeller aus München, 27.4.2024)