Bis zur Nationalratswahl hat Babler noch fünf Monate Zeit, um die Skeptiker Lügen zu strafen. Am Parteirat der SPÖ in Wieselburg bestätigten ihn knapp 90 Prozent der Delegierten als Spitzenkandidaten.
Reiner Riedler

Andreas Babler tänzelt herum wie ein Boxer vor dem Sparring. Rasch noch ein paar Handshakes und Schulterklopfer an spät eintrudelnde Gäste verteilt, dann postiert sich der SPÖ-Chef neben seiner Frau Karin Blum vor dem Eingang. Anspannung macht sich in der Miene breit, als die Lichter im Saal aus- und jene der Kameras vor seinem Gesicht angehen. Das Signal zum Einmarsch gibt das Riff jenes Red Hot Chili Pepper-Hits, der zur Begleithymne Babler`scher Auftritte wurde: "Can't Stop."

Tatsächlich? Ist Babler nicht zu stoppen? Die SPÖ wäre keine von Flügelkämpfen gebeutelte Partei, kursierten da nicht gehörige Zweifel. Selbst deklarierte Babler-Anhänger sind enttäuscht, dass die Sozialdemokraten in den Umfragen kaum vom Fleck kommen. Fast uneinholbar weit scheint Herbert Kickls FPÖ davon gezogen zu sein.

Sehnsucht nach Gänsehaut

Bis zur Nationalratswahl hat Babler noch ziemlich genau fünf Monate Zeit, um die Skeptiker Lügen zu strafen. Erste Station der Aufholjagd soll Wieselburg in Niederösterreich sein, wo die SPÖ zu einem Parteirat geladen hat. Offizieller Anlass ist der Beschluss der in den letzten Tagen mit einigem internen Gezerre zusammengestellten Kandidatenlisten – inklusive der Bestätigung des Chefs als Spitzenkandidaten, die am Ende des Events mit knapp 90 Prozent der Delegiertenstimmen erfolgen sollte.

Doch tatsächlich geht es an diesem strahlenden Samstag um mehr. Babler soll unter den Genossinnen und Genossen neues Feuer entfachen – und dem großen Rest der Bevölkerung erklären, warum sich eine Stimme für die aktuell größte Oppositionspartei lohnt.

An Willen und Hoffnung scheint es im Saal, zumindest auf Reporternachfrage, nicht zu mangeln. So mancher Besucher zeigt sich "tief" überzeugt, dass Platz eins noch in Reichweite sei. "Gänsehaut" erwartet sich ein Wiener Bezirksfunktionär vom Aufbruchssignal des Vorsitzenden, eine oberösterreichische Delegierte sagt beschwörend: "Wir müssen es schaffen. Sonst ist das Land verloren."

Dekadenz der Anderen

Diese Botschaft bringt auch der von der Moderatorin als "künftiger Bundeskanzler" angekündigte Babler ausgiebig an. "Eine historische Weichenstellung" stehe an, sagt der Parteichef, eine "Richtungsentscheidung" , um eine "autoritäre Wende" zu verhindern. Die FPÖ präsentiere sich "in neuer Radikalität" – doch die ÖVP mache mit, indem sie der "Orbanisation" hofiere.

Andreas Babler beim Parteirat in Wieselburg
Andreas Babler, hier neben seiner Frau, will nach Eigenaussage lieber nicht über andere Parteien sprechen. Ein bisschen tat er es dann doch.
Reiner Riedler

Abgehobenheit, Dekadenz, Arroganz, Empathielosigkeit, Herzlosigkeit: Babler fällt zur Konkurrenz im Allgemeinen und zur Kanzlerpartei im Besonderen noch so Einiges mehr ein, um ein paar Augenblicke später zu sagen: Er sei ja als einer bekannt, der nicht gerne schlecht über andere spreche – sondern lieber darüber, was die SPÖ selbst zu bieten zu habe.

Um dabei aus dem Vollen schöpfen zu können, hat Babler Verstärkung geholt. Frei nach Vorbild der roten Kanzlerikone Bruno Kreisky lud er Expertinnen und Experten zur Diskussion. Die Ergebnisse hat die SPÖ, wie vom STANDARD berichtet, in ein Programm mit 24 Ideen verpackt. Die Überschrift "Mit Herz und Hirn" wird man im Wahlkampf wohl noch öfter hören.

Jede Menge Garantien

Den Fokus legt der Redner – stay on the message – aber erstmal auf reichlich proklamierte Forderungen, für die es nicht mehr unbedingt den Input der Fachleute gebraucht hätte: Von der Absage an eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters bis zur "Garantie" auf einen Termin beim Facharzt innerhalb von 14 Tagen reicht das Pflichtprogramm.

Überhaupt: Die Garantie ist das Leitmotiv der Babler'schen Visionen. Sie gibt es auf Mindestzinsen aufs Sparbuch, Bargelds, Arbeitsplätze, Kindergartenplätze oder ein warmes Mittagessen in allen Betreuungseinrichtungen und Schulen – das zeitgemäße Pendant zu Kreiskys einstigem Gratisschulbuch, wie der Erfinder meint.

Delegierte bei der Abstimmung: Viele geben sich optimistisch – zumindest gegenüber den Medien.
Reiner Riedler

Am anderen Ende der Alterspyramide ist wiederum das verbriefte Recht auf ein analoges Leben vorgesehen. Banküberweisungen und andere Aktionen müssten ohne Mehrkosten nach wie vor auch via Papier möglich sein, sagt Babler. Es könne nicht sein, dass 83-Jährige die richtige App mit dem letztgültigen Updaten heruntergeladen haben müssten, "um überhaupt am Leben teilnehmen zu können".

Entscheidender Moment

Mehr als eine Stunde braucht Babler für den Rundgang durch die rote Ideenwelt, eh er wieder beim Historischen landet. Jede Generation "in unserer stolzen Bewegung" habe ihren richtungsweisenden Moment gehabt, vom roten Wien, über den Wiederaufbau der Republik und die Kreisky´schen Reformen bis zur europäischen Integration und der Bewältigung der Finanzkrise. "Dieser Herbst ist der Moment unserer Generation", sagt Babler und spricht von der wichtigsten Wahl der nächsten Jahrezehnte: "Deswegen machen wir diese SPÖ aus ihrem Dampfloksein heraus wieder zu einem Railjet."

Babler auf Umarmungstour: "Dieser Herbst ist der Moment unserer Generation."
Reiner Riedler

Als die Genossinnen und Genossen klatschen, hält es Babler nicht mehr am Pult. Er verbeugt sich, ballt die Faust, sucht Umarmungen im Saal. Und immer wieder landet die Hand am Herzen. (Gerald John, 27.4.2024)