Morgensonne in einem Wald in Hessen, Deutschland
Die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten soll am 30. Dezember in Kraft treten.
IMAGO/Jan Eifert

Die heimischen Land- und Forstwirte sägen an der im Mai 2023 beschlossenen EU-Entwaldungsverordnung (EUDR). "Diese Verordnung ist an Bürokratie nicht zu überbieten", sagte Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger am Montag zu Ö1. Sie sei "gut gemeint, aber ganz danebengetroffen". Die EU-Verordnung, die am 30. Dezember 2024 in Kraft treten soll, stelle die Forst- und Holzwirtschaft "vor unzählige Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt", sagt auch der steirische Landwirtschaftskammerpräsident Franz Titschenbacher. Und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) forderte am Montag erneut, die Umsetzung der EUDR zu verschieben.

Welche Aspekte der EUDR erregen nun den Zorn der heimischen Landwirte? DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen zu der umstrittenen EU-Verordnung.

Frage: Was ist die Entwaldungsverordnung (EUDR)?

Antwort: Die EUDR soll sicherstellen, dass Produkte nur dann in der EU gehandelt werden, wenn für ihre Herstellung keine Waldfläche in landwirtschaftliches Gebiet umgewandelt worden ist. Mit der Verordnung, die auch Importe und Exporte betrifft, will die Union das Schwinden von Wäldern global stoppen. Europäerinnen und Europäer sollen zum Beispiel mit ihrem Kaffeegenuss oder ihrer Schokotafel nicht länger unwillkürlich Regenwaldabholzung unterstützen. Gelingen soll das durch deutlich mehr Transparenz in den Produktionsketten.

"Die Verordnung betrifft nicht nur Holz, sondern auch Rindfleisch, Kautschuk, Kakao, Kaffee, Ölpalme und Soja", sagt Sonja Irresberger vom Beratungsunternehmen KPMG dem STANDARD.

Bereits im April 2023 sind die neuen Vorschriften vom EU-Parlament mit deutlicher Mehrheit angenommen worden. Im Mai 2023 hat der Europäische Rat – also die nationalen Regierungen – die EUDR dann gebilligt. Nun wird aber von mehreren EU-Landwirtschaftsministern, darunter Totschnig, daran gerüttelt.

Frage: Welche Aspekte der EUDR werden laut Landwirtschaftskammer beispielsweise zu Problemen für Forstwirte führen?

Antwort: Landwirtschaftskammerpräsident Moosbrugger schilderte auf Ö1 folgendes Szenario: "Ein Waldbesitzer liefert Baumstämme an einen Tischler. Der Waldbesitzer müsste für jeden Stamm, den er an den Tischler liefert, die genauen GPS-Daten sowie den lateinischen Baumartennamen nachweisen." Das sei schlicht nicht durchführbar.

Moosbrugger bezieht sich damit auf den Artikel 9 der EUDR, die "Informationsanforderungen". Dort ist die "Geolokalisierung" von Grundstücken festgeschrieben, auf denen die fraglichen Rohstoffe – zum Beispiel Holz – hergestellt werden. Auch der vollständige wissenschaftliche, eben der lateinische Name der Baumart muss dokumentiert werden.

Wifo-Landwirtschaftsexperte Franz Sinabell sieht die Sache differenziert. "Wenn es wirklich so kommt, ist es, glaube ich, auch kein Beinbruch. Aber es ist natürlich eine administrative Last, die es vor allem Kleinwaldbesitzern schwerer macht, den Wald profitabel zu betreiben", sagt Sinabell dem STANDARD. "Es gibt bereits Softwareanbieter, die auf die Geolokalisierung spezialisiert sind", sagt Irresberger, die Unternehmen im Hinblick auf die EUDR berät.

"GPS-Tracker wären eine Möglichkeit, müssten aber nicht sein, wenn man ein anderes System zur Rückverfolgung hat – mit Dokumentation und Plausibilität, woher welche Rohstoffe kommen", sagt Greenpeace-Sprecherin Ursula Bittner zur Kritik der Forstwirte.

Frage: Warum ist auch die Papierindustrie gegen die Umsetzung der Verordnung?

Antwort: Christian Schnedl, Geschäftsführer Papierholz-Austria GmbH, warnt vor einem erdrückenden bürokratischen Aufwand. Die Landwirtschaftskammer skizziert folgendes Szenario: Bei einem Industriebetrieb werden täglich hunderte Lkw-Fuhren mit Holz abgeladen. Dabei sind für die Stämme tausende Referenznummern zu hinterlegen. Dies multipliziere sich sogar noch bei späteren Bearbeitungsstufen in der Papierindustrie.

Auch Ökonom Sinabell erkennt durchaus Probleme: "Eine Schwierigkeit ist, dass es noch kein standardisiertes Verfahren gibt, wie die Informationen der vielen Akteure zusammenfließen können. Man müsste sicherstellen, dass unzertifizierte Hölzer nicht eine Papierproduktion kontaminieren."

Sonja Irresberger von KPMG
Sonja Irresberger vom Beratungsunternehmen KPMG: "Seitens der EU-Kommission ist noch eine Liste der Länder mit deren Risiko für nicht entwaldungsfreie Rohstoffe geplant."
KPMG Austria

KPMG-Analystin Irresberger rät generell: "Unternehmen sollten sich möglichst früh mit der beschlossenen Verordnung auseinandersetzen. Sie könnten zum Beispiel eine Umstellung im Prozess der Warenannahme, der Produktion und des Datenmanagements benötigen." Es sei auch empfehlenswert, Lieferanten frühzeitig einzubinden. Es könne beispielsweise vorkommen, "dass bei rein innergemeinschaftlichen Lieferungen (innerhalb der EU, Anmerkung) keine Zolltarifnummer in den Systemen erfasst ist". Um diese Nummer werde ein Unternehmen sich künftig kümmern müssen, um einen Rohstoff identifizieren zu können.

Frage: Wird die EU-Entwaldungsverordnung von Mitgliedsstaaten wie Österreich noch gestoppt werden?

Antwort: Zunächst herrscht bisher nicht einmal Einigkeit in der Koalition. Landwirtschaftsminister Totschnig forderte Ende März eine Aussetzung der EUDR, weil noch wichtige Details fehlten. Zudem will er "eine generelle Ausnahme für Länder, wo de facto keine Entwaldung passiert – Länder wie Österreich". Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hielt in einem Brief an die EU-Kommission fest, dass es sich dabei nicht um die Position Österreichs handle.

EU-Parlament und Rat, also auch die Mitgliedsstaaten, gaben der EUDR wie gesagt im Frühjahr 2023 eigentlich grünes Licht. Wifo-Forscher Sinabell kritisiert sowohl die Geschwindigkeit – "die überfordert viele" – als auch den Charakter des Maßnahmenpakets. "Bei der Entwaldungsverordnung wie beim Lieferkettengesetz werden den Unternehmen gewisse Aufgaben, die mit dem Geschäft wenig zu tun haben, aufgelastet", sagt er.

Gleichwohl hält Sinabell ein Kippen der bereits beschlossenen EU-Verordnung für schwer möglich. "Es wird so umgesetzt werden müssen, wie es in der Verordnung steht. Für eine Überarbeitung sehe ich die Chancen nicht so gut", sagt er. Die Hoffnung der Kritiker – wie Totschnig – sei, die EU-Kommission dazu zu bewegen, "die Fristen der Einführung zu verschieben, damit sich die Akteure in der Wertschöpfungskette besser auf die Sache vorbereiten können", so Sinabell. (Lukas Kapeller, 30.4.2024)