Schirme in allen Farben vor dem Bundeskanzleramt sollten am Donnerstag Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) an eine ausständige Aufgabe erinnern: Der Verfassungsgerichtshof verlangt neue, regierungsunabhängigere Regelungen für den ORF und seine Gremien. Vor Politeinfluss gelte es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschirmen, so die plakative Idee einer Demonstration vor dem Kanzleramt.

Der noch ausständige Schutz des ORF vor Politeinfluss ist einer von vielen Punkten, die Österreich am Freitag im neuen, weltweiten Pressefreiheitsindex den bisher schlechtesten Platz bescheren. 32 nach Rang 29 im Vorjahr, gleich hinter der Republik Moldau und unmittelbar vor Mauretanien, Namibia, der Dominikanischen Republik und Nordmazedonien.

Hinter Costa Rica, der Slowakei, Samoa, Surinam, Osttimor sowie Trinidad und Tobago. Und weit entfernt von den Spitzenplätzen für Norwegen, Dänemark, Schweden, die Niederlande, Estland und Portugal.

Video: Pressefreiheits-Index: Österreich rutscht auf Platz 32 ab
APA

Warum dieser Platz?

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen lässt mit einem umfangreichen Fragebogen jährlich Wissenschafter, Medienbeobachterinnen und Branchenkenner die Lage der Pressefreiheit im jeweiligen Land bewerten. In fünf Kategorien – Politik, Recht, Wirtschaft, soziokultureller Kontext und Sicherheit – wird bewertet, daraus ergeben sich Gesamtpunkte und der Platz im internationalen Ranking.

Österreich hat am stärksten in den Kategorien Pressefreiheit im soziokulturellen und politischen Kontext gegenüber dem Vorjahr verloren. Woran liegt diese Einschätzung?

"Korrupte Vorgänge"

Österreichs schlechterer Platz ist zumindest auch einer besser funktionierenden Justiz geschuldet: Sie leuchte "hochproblematisch enge" und "mutmaßlich korrupte" Vorgänge zwischen Politik und Medien der vergangenen Jahre aus, erklärt Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, einen Faktor, der bei der schlechten Platzierung Österreichs eine Rolle gespielt hat.

Medienministerin Raab habe verabsäumt, einer "kriterienlosen Vergabe üppiger Regierungsinserate" einen Riegel vorzuschieben, erklärt der Medienwissenschafter.

Gleichzeitig würden Fördermittel für Medien "eigenwillig intransparent vergeben". Auf eine mittlerweile sehr geringe Vielfalt von Angeboten müsse die Medienpolitik eigentlich mit einer Start-up-Förderung reagieren, argumentiert Reporter ohne Grenzen.

Druck auf Journalismus

Eine wesentliche Rolle bei der Bewertung habe "verstärkter Druck auf kritischen Journalismus" gespielt. Einzelne Journalistinnen und Journalisten wurden öffentlich angegriffen, insbesondere von ÖVP und FPÖ, argumentiert Reporter ohne Grenzen. Sie würden "öffentlich angegriffen und geschmäht", gerieten zunehmend "unter Beschuss". Die Organisation beobachtet "Selbstzensur aus Selbstschutz".

Die Organisation verweist etwa auf den Kärntner Journalisten Franz Miklautz, dessen Mobiltelefon und Laptop von den Ermittlungsbehörden vorübergehend beschlagnahmt wurden, nachdem er Misswirtschaft im Klagenfurter Rathaus aufgedeckt hatte.

Auch ORF-Satirereporter Peter Klien (Gute Nacht Österreich) dient Reporter ohne Grenzen als Beispiel. Er wurde 2023 bei einer FPÖ-Veranstaltung von einem Security in den Schwitzkasten genommen und mit Gewalt von FPÖ-Chef Herbert Kickl weggezerrt.

Einschüchterungsklagen, sogenannte SLAPP-Klagen, führt die Organisation ebenfalls an.

"Physische Angriffe, öffentliche Diskreditierung und Einschüchterungsklagen zeigen die Einschränkungen für journalistische Arbeit", resümiert Julia Herrnböck, Vizepräsidentin der Organisation und Dossier-Journalistin.

Debatte über Zitierverbot

Bewertet wird die Lage der Pressefreiheit stets im Jänner. Da spielte laut Reporter ohne Grenzen etwa auch die ÖVP-Forderung nach einem Zitierverbot aus Ermittlungsakten eine Rolle, von der die Volkspartei inzwischen fürs Erste abgesehen hat.

Informationsfreiheitsgesetz

Ein Infofreiheitsgesetz ist inzwischen auch im europäischen Schlusslicht Österreichs beschlossen, in Kraft aber war es bei der Bewertung noch nicht.

"Wiener Zeitung", "Volksblatt"

Die Einstellung der gedruckten Ausgaben der republikseigenen Wiener Zeitung und des oberösterreichischen Volksblatts im Besitz der ÖVP hat laut Reporter ohne Grenzen zur Verschlechterung im Pressefreiheitsindex beigetragen. Das bedeute eine weitere Konzentration des Marktes. Wiener Zeitung und Volksblatt erscheinen nun online.

Unabhängigere ORF-Gremien

Reporter ohne Grenzen demonstrierte neben dem Presseclub Concordia und der Initiative "#aufstehen" am Donnerstag für eine rasche Reform der ORF-Gremien vor der nächsten Wahl. Der Verfassungsgerichtshof verlangt etwa, dass Regierungen ihre ORF-Stiftungsräte nicht nach Wahlen austauschen können, und zumindest gleich viele Mandate für die Vertretung gesellschaftlicher Gruppen wie für die Regierung.

Zur Demonstration vor dem Bundeskanzleramt meldete sich übrigens auch die Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, zu Wort. Sie setzte sich bisher jedenfalls in Sachen rasche Reform in der Regierung noch nicht erkennbar durch.

"Westenthaler noch nicht berücksichtigt"

ROG-Österreich-Präsident Fritz Hausjell sieht – mit Blick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ und die Medienpolitik früherer ÖVP-FPÖ-Koalitionen – noch größere Herausforderungen auf Österreich zukommen. Die FPÖ hat angekündigt, den ORF auf einen "Grundfunk" zu reduzieren und aus dem Staatsbudget zu finanzieren.

Hausjell verweist darauf, dass die FPÖ etwa Peter Westenthaler in den ORF-Stiftungsrat entsandte, "der mit seinen aggressiven Angriffen noch gar nicht in diesem Index berücksichtigt ist". Er vermisst, dass die ORF-Führung ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser vor solchen Angriffen schützt. Bei Beleidigungen würde er in der Situation "nach Strich und Faden klagen".

Der Ausblick des Präsidenten von Reporter ohne Grenzen Österreich: "Platz 40 ist nicht so weit entfernt."

(Harald Fidler, 3.5.2024)