ORF-Beitrag, Spitzengehälter, FPÖ-Chats über Vertrauensleute von Turner Philipp Jelinek aufwärts und Angriffe der Politik: eine explosive Mischung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nicht erst nach der Nationalratswahl könnte auf dem Küniglberg umgebaut werden.

Der Lösch- und Zierteich vor dem ORF-Zentrum auf dem Küniglberg.
Wenn alles im Fluss ist, ist es meist schon den Bach runter: Der Lösch- und Zierteich vor dem ORF-Zentrum auf dem Küniglberg.
Heribert Corn

Armin Wolf am Bürger-Stammtisch

Für Armin Wolf dürfte der kommende Donnerstag kein einfacher Tag werden: Das ORF-Landesstudio Salzburg lädt Bürgerinnen und Bürger zum "Stammtisch", und der ZiB 2-Anchor stellt sich als erster ORF-Gast den erwartbar kritischen Fragen des Publikums.

Aufregende Themen liefert der ORF am laufenden Band: Haushaltsabgabe von allen seit Jahresbeginn; ansehnliche Spitzengehälter musste der ORF laut Gesetz gerade offenlegen; FPÖ-Chatprotokolle über ihre Vertrauensleute und Einflussnahmen im ORF.

Und das mitten in einem Vorwahlkampf, den nicht allein die Freiheitlichen mit Angriffen auf den ORF und seine Finanzierung nutzen, um Grantige und Enttäuschte abzuholen. Die SPÖ will den ORF-Beitrag noch einmal "diskutieren". Die ÖVP ist tief enttäuscht, dass der ORF auch unter ihrem Generaldirektor Roland Weißmann kritisch über sie berichtet. Sehr frisch ist auch noch die Empörung privater Medienunternehmer, dass der ORF gut 700 Millionen fixe Finanzierung plus mehr Möglichkeiten online bekommen hat.

Eine explosive Mischung für Österreichs größten, großteils aus verpflichtenden Beiträgen finanzierten Medienkonzern und für seine Führung. Wer nach der Wahl im Herbst die nächste Bundesregierung bildet, entscheidet über die Zukunft des ORF: Beitrag oder Finanzierung aus dem Bundesbudget mit drastisch gekürzten Mitteln, wie die FPÖ verspricht?

1. Neues Gesetz, neue Führung - schon vor der Wahl?

Regierungsmehrheiten bestimmen auch Mehrheiten im Stiftungsrat, dem entscheidenden ORF-Gremium. Daran dürfte auch die vom Verfassungsgerichtshof verordnete Reform der ORF-Gremien wenig ändern. Aber: Eine Regierungsmehrheit kann die Neuregelung auch zum Anlass nehmen, die ORF-Gremien und auch gleich die ORF-Führung auszuwechseln.

ÖVP und Grüne reden gerade über eine Novelle noch vor der Wahl – und über die Möglichkeit, Gremien und womöglich Geschäftsführung vor Herbst neu zu bestellen. Denn: Das Verfassungsgericht verlangt, dass neue Regierungen ihre ORF-Stiftungsräte künftig nicht mehr vorzeitig abberufen können.

Den Milliardenkonzern ORF führt seit Anfang 2022 Roland Weißmann dank Mehrheit der Kanzlerpartei ÖVP im Stiftungsrat. Für ihn stimmten 2021 auch die grünen Stiftungsräte, zwei Betriebsrätinnen und der blaue Stiftungsratschef Norbert Steger – offenbar gegen die freiheitliche Parteilinie.

Die übrigen drei FPÖ-Räte der FPÖ (plus Neos und eine Betriebsrätin) votierten damals für Lisa Totzauer, nun Magazinchefin im ORF. Nicht ausgeschlossen, dass sie in einer neuen Konstellation einen weiteren Anlauf nimmt.

Ebenso könnte Alexander Hofer über die ORF-Landesdirektion in Niederösterreich die Spitze des Küniglbergs anpeilen. Der von Weißmann abgelöste Langzeitgeneral und leidenschaftliche ORF-Stratege Alexander Wrabetz soll auf Hofer als rot-schwarze Revanche für Weißmann setzen. ORF-3-Manager Peter Schöber, auf der ORF-Gehaltsliste knapp hinter dem General, ist ein Wrabetz-Mann ohne Kontaktscheu in Richtung FPÖ. Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz wird für liberalere Konstellationen gehandelt.

Weißmann arbeitet sich im ORF Schritt für Schritt durch über Jahre liegen gebliebene Themen wie Streaming, Finanzierung, Newsroom. Doch er geht in die neue Runde nach der Wahl mit dem Handicap großer Unzufriedenheit der ÖVP. Er hat einen Generalsvertrag bis Ende 2026, bei vorzeitiger Auflösung auszuzahlen, und eine Rückkehroption ins Finanzmanagement des ORF-Programms.

2. Das tiefblaue ORF-Szenario

Was passiert mit einem ORF in der gefährlichen Gemengelage nach der nächsten Wahl? Das ist – wie die weitere Entwicklung des Landes – eine Frage der Regierungskonstellation. Wenig überraschend und doch unsicher vorauszusagen. Medienpolitische Linien von FPÖ, ÖVP und SPÖ, Neos und Grünen lassen sich schon weiter zeichnen. Offen bleibt, wer schließlich in einer Koalition zusammenkommt und wie man dann Schnittpunkte in einem Regierungsprogramm findet.

Wird die FPÖ bei der Wahl tatsächlich stärkste Kraft, stellt sie Kanzler oder Kanzlerin oder prägt zumindest eine Koalition: Dann werden die Freiheitlichen ihren Schlager aus dem Wahlkampf weiterspielen – Abschaffung des ORF-Beitrags, Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget, mit deutlichen Kürzungen. Derzeit macht der ORF-Beitrag mehr als 700 Millionen Euro der ORF-Einnahmen aus.

In den neu aufgetauchten FPÖ-Chats aus 2018/19 berichtete der damalige blaue Fraktionssprecher im Stiftungsrat, Franz Maurer, von Berechnungen mit der freiheitlichen ORF-Personalchefin Kathrin Zierhut für eine gekürzte Budgetfinanzierung und dafür mehr Werbeeinnahmen. Das dürfte sich mit Ideen von Herbert Kickl und anderen FPÖ-Spitzen spießen, die ORF 1 und Ö3 infrage stellten.

Eine Abschaffung des ORF dürften selbst die Freiheitlichen nicht vorhaben: Sie wollen die größte Medienorgel im Land – wie alle Kanzlerparteien bisher – unter ihre Kontrolle bringen. Er reicht viel weiter als die freiheitliche Medienwelt von FPÖ-TV bis Info Direkt.

Auf welches ORF-Führungspersonal die FPÖ setzt, zeigten die Chats: Kathrin Zierhut-Kunz, derzeit ORF-3-Co-Geschäftsführerin, Ex-Chefredakteur Matthias Schrom, Korrespondent Christian Wehrschütz, Ex-ORF-Manager Thomas Prantner und viele andere waren 2018/19 dort Thema; von vielen weiteren Interessenten berichtete der damalige FP-Chef und Vizekanzler Strache in den Chats wohlwollend.

Im aktuellen ORF-Direktorium wurden Finanzdirektorin Eva Schindlauer und Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz von den Grünen vorgeschlagen. Mehrfach wurden schon ORF-Generäle oder zumindest Direktoren eingewechselt, wenn sich der politische Wind drehte.

Der Verfassungsgerichtshof bietet einen willkommenen Anlass, mit einer ORF-Novelle das Führungspersonal auszutauschen.

3. Hürden des Höchstgerichts gegen "Aushungern" des ORF

Einem großen tiefblauen Umbau des ORF aber setzten die Verfassungsrichter zugleich klare Grenzen mit ihren Entscheidungen: 2022 über die GIS, die nun zum Umstieg auf den ORF-Beitrag für alle führte, und 2023 über zu viel Regierungseinfluss auf die ORF-Gremien.

Die Höchstrichter verpflichten Regierungen und Gesetzgeber,

1.) einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzurichten und ausreichend zu finanzieren. Das könnte statt des ORF eine andere neue öffentlich-rechtliche Organisation sein. Aber es braucht eine solche Organisation.

2.) Den Auftrag und damit die Angebote dieses öffentlichen Rundfunks kann der Gesetzgeber nicht beliebig zusammenstreichen. Mit Menschenrechtskonvention und Verfassung wäre ein "'Zurechtstutzen' des ORF" unvereinbar, nach dem er "zwar noch existieren, aber nur mehr ein Nischenpublikum bedienen würde." Das schloss etwa der Rechtsexperte Hans Peter Lehofer (Verwaltungsgerichtshof, Wirtschaftsuni Wien) aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichts. Markus Vašek, Institutsvorstand für Verwaltungsrecht an der Linzer Kepler-Uni, machte zuletzt im Wiener Presseclub Concordia klar: "Ein regelrechtes Aushungern zu einem Nischenrundfunk wäre wohl verfassungswidrig. Die von FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl ventilierte Redimensionierung des ORF stößt an verfassungsrechtliche Grenzen, die es zu beachten gilt." Aus den Entscheidungen lasse sich herauslesen, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk "eine Vollversorgung erfordert", die Information, Kultur, aber auch Unterhaltung und Sport umfasse.

4. Schwarz, Rot, wer macht da mit?

Das blaue Szenario für den ORF hängt auch von Regierungspartnern ab. Den ORF-Beitrag sehen auch Teile der SPÖ und der ÖVP skeptisch; ÖVP und FPÖ hatten schon 2017 die Abschaffung der GIS per Budgetfinanzierung paktiert. Die Meinungen gehen auseinander, ob Budgetfinanzierung verfassungskonform gestaltet werden kann.

Die SPÖ hat verlangt, den ORF-Beitrag zumindest sozial zu staffeln, jüngere Menschen bis 24 sollten keinen Beitrag zahlen müssen. Die Neos wollen "diskutieren, ob die Haushaltsabgabe weiterhin das richtige Finanzierungsinstrument ist". Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger konnte sich schon mehrfach eine Budgetfinanzierung vorstellen, allerdings nur mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat abgesichert und automatisch inflationsangepasst.

5. Was geschehen muss

Fix ist: Bis Ende März 2025 muss ein neues ORF-Gesetz die Regeln für die Besetzung des Stiftungsrats ändern. Die Verfassungsrichter sagen: Mehr Stiftungsräte der Bundesregierung als Mandate des ORF-Publikumsrats dort geht nicht. Anforderungen an Stiftungsräte und Auswahlkriterien müssen ins Gesetz geschrieben werden, um Vielfalt im Gremium zu garantieren. Und: Nach Wahlen dürfen die neue Bundes- und Landesregierungen ihre ORF-Stiftungsräte nicht einfach vorzeitig austauschen.

Eine viel weiter gehende Reform für politisch unabhängigere Gremien fordern zwar Opposition und auch Grüne sowie Presseclubs und ORF-Journalistinnen. Noch keine Regierungsmehrheit jedoch hat ihren Einfluss im ORF freiwillig reduziert. Und so gibt Verwaltungsrechtler Vašek eine ernüchternde Prognose: "Setzt man das verfassungsgerichtliche Erkenntnis in einer Minimalvariante um und belässt die Praxis wie bisher, wird sich rein gar nichts an der grundlegenden Problematik ändern." Grundlegende Problematik meint: Regierungseinfluss.

6. Brodeln im ORF über Spitzengagen und Kollektivverträge

Empörung über Spitzengehälter und die Haushaltsabgabe herrscht nicht allein draußen, vor den Portierlogen der ORF-Standorte. Grant zieht sich auch durch die Gänge der ORF-Zentrale auf dem Küniglberg und durch die Dependancen in den Ländern.

Warum bekommt eine Landesdirektorin doch deutlich mehr als andere? Warum bekommt der Multimanager vom 300-Millionen-Bauprojekt bis "Licht ins Dunkel" mehr Geld als der ORF-General? Warum ist der Manager des kleinen Spartensenders ORF 3 besser bezahlt als Direktorinnen und Direktoren des ORF – und warum verdient seine Co-Geschäftsführerin kaum weniger als diese? Warum bekommt der bekannte Regisseur, bei allem Können, mehr als 200.000 Euro pro Jahr, unabhängig davon, wie viele Shows er für den ORF in Szene setzt? Warum bekommen sogenannte "Weiße Elefanten", die ihre leitenden Jobs mit mal mehr, mal weniger Berechtigung verloren haben, weiter ihre Spitzengehälter (oder nur wenig weniger)? Warum erhält der Betriebsratschef der ORF-Technik mehr Gehalt als viele Landesdirektoren? Viele im ORF, die im schlechtesten Kollektivvertrag von vielen, teils sehr guten KVs angestellt sind, fragen: Warum müssen wir uns dafür prügeln lassen, welche Spitzengagen und Kollektivverträge frühere ORF-Generäle unterschrieben haben? Das Durchschnitts-Bruttogehalt im ORF liegt laut Rechnungshof (2022) bei 93.100 Euro für Vollzeitjobs inklusive Management. Bei 40 Prozent des ORF-Personals, das nach dem jüngsten Kollektivvertrag angestellt ist, soll es bei 63.000 Euro liegen.

Als bekanntester Journalist des Landes wird Armin Wolf am Stammtisch in Salzburg auch sein Gehalt argumentieren müssen: Er steht auch auf der Liste der ORF-Spitzen. So wie er regelmäßig, etwa in Schulen, erklärt, was er als Journalist tut und warum.

Der ORF versuchte die Öffentlichkeit mit seinem Programm (Motto: "ORF für alle"), mit einer großen Imagekampagne ("ORF. Für dich und mich und alle") zu gewinnen und die Stimmung mit einer Onlinebefragung einzufangen. Vielleicht müssten sich die 4000 ORF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allem ihre Führung den Menschen da draußen ganz persönlich erklären.

Die höchsten Durchschnittsbezüge in (teil-)öffentlichen Unternehmen 2022 laut Einkommensbericht des Rechnungshofs:

(Harald Fidler, 13.4.2024)