Im vergangene Woche vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2023 tauchen erstmals Freiheitliche im Kapitel Rechtsextremismus auf. Das war nicht nur eine Premiere, sondern auch ein Bruch mit langjährigen Gepflogenheiten. Denn bisher waren im Parlament vertretene Parteien für den Staatsschutz tabu. Dem Bericht ist aber anzumerken, dass sich der Verfassungsschutz damit schwertut. So ist stellenweise von einer "rechten Partei" zu lesen, wenn von der FPÖ die Rede ist. Die Freiheitliche Jugend wird jedoch dezidiert genannt. Ausschlaggebend für die Erwähnungen sind die engen Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen Freiheitlichen und Identitären.

"Geistige Brandstifter" 

Zwischen der FPÖ-Parteijugend und den Identitären gibt es praktisch kaum mehr Unterschiede, beide Gruppen treten gemeinsam auf, bedienen sich derselben Rhetorik und derselben Protestformen. Dazu werden Identitäre von hochrangigen FPÖ-Politikern demonstrativ umarmt oder in Schutz genommen. Parteichef Herbert Kickl bezeichnete die Gruppe als "interessantes und unterstützenswertes Projekt" und als "eine NGO".

Verfassungsschutzchef Omar Haijawi-Pirchner (links) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bei der Präsentation des Berichts.
Foto: Markus Sulzbacher

Für den Verfassungsschutz sind die Identitären hingegen eine Gefahr für die Demokratie: "geistige Brandstifter" mit "hoher Waffenaffinität" und "vermehrter Gewaltbereitschaft", wie im neuen Bericht zu lesen ist. Zudem ist man alarmiert, weil die Gruppe verstärkt versucht, Einfluss auf die Parteipolitik zu nehmen. Gerade im Wahljahr 2024 ergebe sich dadurch "ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für den demokratischen Rechtsstaat".

Redner bei den Identitären

Als Beispiel für Verbindungen von Freiheitlichen und Identitären wird im Verfassungsschutzbericht angeführt, dass bei einer Demonstration der Identitären im Juli 2023 in Wien "ein höherer Funktionär der Vorfeldorganisation einer rechten Partei" als Redner auftrat. Dieser erklärte dort, dass zwischen den Identitären und der Vorfeldorganisation ein Schulterschluss erfolgt sei, der "erst der Anfang von etwas ganz, ganz Großem" sei.

Bei dem Redner handelt es sich um Silvio Hemmelmayr, den oberösterreichischen Landesobmann der Freiheitlichen Jugend. Hemmelmayr ist noch als FPÖ-Gemeinderat in Eferding sowie im Parlamentsklub der Freiheitlichen tätig.

Silvio Hemmelmayr (links, mit Sonnenbrille und weißen Sneakers) in der Marschkolone der Identitären.
Foto: Markus Sulzbacher
Bei der Idenititären-Demonstration in Wien versammelte sich das gesamte Spektrum der rechtsextreme Szene, darunter Neonazis. Es gab Proteste gegen den Umzug.
Foto: Markus Suzbacher

Bei öffentlichen Auftritten und im Netz kennt Hemmelmayr fast nur ein Thema: "Remigration". Darunter versteht er den Plan, alle zugewanderten Menschen, die Österreich – seiner Meinung nach – "kulturell, sozial und wirtschaftlich schaden", zu deportieren. Und geht es nach Hemmelmayr, sollen auch Staatsbürger mit Zuwanderungsgeschichte, die "Probleme machen", vertrieben werden. So soll "Österreich wieder österreichischer" werden.

Blut-und-Boden-Erzählung 2.0

Das Ganze klingt nicht zufällig nach Identitären-Chef Martin Sellner, der ganz ähnliche modernisierte Blut-und-Boden-Erzählungen bei einem Geheimtreffen im deutschen Potsdam vor AfD-Politikern und reichen Gönnern vortrug. Sellner sagte demnach, man wolle "maßgeschneiderte Gesetze" erlassen, um einen "hohen Anpassungsdruck" auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu erzeugen. Nachdem das Treffen Anfang des Jahres von der Rechercheplattform Correctiv öffentlich gemacht worden war, kam es in ganz Deutschland zu starken Protesten gegen Rechtsextremismus und die AfD.

Identitären-Anführer Martin Sellner bei einer rechtsextremen Kundgebung in Wien, bei der auch Aktivisten und Aktivistinnen der Freiheitlichen Jugend und Burschenschafter anwesend waren.
Foto: Markus Sulzbacher

Sellner ist schon länger Stichwortgeber mancher Politikerinnen und Politiker in den Reihen der AfD und der FPÖ, immer wieder gelingt es ihm, Themen vorzugeben oder rassistisch sowie völkisch aufzuladen. Es stört nicht, dass Sellner Geld von jenem rechtsextremen Terroristen bekam, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen ermordete.

Die recht eindeutige Positionierung der Freiheitlichen Jugend hat ihr eine dezidierte Erwähnung im Verfassungsschutzbericht und im vergangenen Jahr eine Anzeige von der Behörde eingebracht. Es geht um den Verdacht auf Verstoß gegen das Strafgesetzbuch und das NS-Verbotsgesetz. Grund war ein Video, in dem Bücher rechtsextremer Ideologen beworben, Bilder rechtsextremer Ikonen eingeblendet und Journalisten sowie Wissenschafter als Gegner markiert wurden. Zu sehen war ein Kameraschwenk auf jenen Balkon, auf dem Adolf Hitler im März 1938 den sogenannten Anschluss Österreichs verkündete.

FPÖ-Chef Kickl griff Verfassungsschutz an 

Die Anzeige löste bei der FPÖ eine Empörungswelle und Angriffe auf den Verfassungsschutz aus. Parteichef Kickl sprach von einer mutmaßlich politischen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes. Die Nähe der Identitären zur FPÖ stellt auch den Verfassungsschutz selbst, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), vor Herausforderungen. Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind selbst deklarierte Freiheitliche.

Im Verfassungsschutz wurde jedoch die skandalöse Razzia im Jahr 2018 nicht vergessen, die von einem blauen Lokalpolitiker geleitet wurde. Dabei wurden geheime Dokumente durchwühlt und höchst sensible Daten mitgenommen. Die Razzia erfolgte kurz nach dem Amtsantritt von Kickl als Innenminister. Dieser verweist darauf, dass die Razzia von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angeordnet und gerichtlich genehmigt worden sei. Er habe nur am Rande davon etwas mitbekommen.

Brisantes Papier verschwunden

Der damalige Verfassungsschutzchef Peter Gridling schreibt der FPÖ hingegen eine maßgebliche Involvierung in die Razzia zu. Die Partei habe das Amt "umfärben" wollen. "Wir waren zum Abschuss freigegeben. Auch von der ÖVP", sagt Gridling. Er wies in seinem Buch Der Überraschungsangriff. Die Ausschaltung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und in Interviews auf "die Nähe Kickls zur neurechten Szene" hin und darauf, dass bei der Razzia bei jener BVT-Beamtin, die für die Ermittlungen in der rechten Szene zuständig war, besonders viele Daten beschlagnahmt worden seien. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass bei der Razzia auch der Ausdruck einer E-Mail verschwunden ist, in der der bekannte Neonazi Gottfried Küssel einige Personen zu einer Veranstaltung eingeladen hat. Darunter auch jenen Polizisten, der die Razzia leitete.

Die Razzia wirkt noch immer nach. Sie ist einer der Gründe, warum es bei der DSN keine blauen Personalvertreter gibt, im Gegensatz zu den Landesämtern Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE).

FPÖ-Chef Herbert Kickl gratulierte "Auf1". Die Plattform wird vom Verfassungsschutz als "rechtsextrem" eingestuft.
Screenshot: STANDAR

Neben den Freiheitlichen werden in dem Verfassungsschutzbericht auch erstmals FPÖ-nahe Propagandaplattformen aufgezählt, die den Identitären Räume für die Verbreitung ihrer "rechtsextremistischen Narrative und Propaganda" bieten. Dies sind neben Auf1 vor allem Info-Direkt und der Heimatkurier. Letzterer ist das Sprachrohr der Identitären. Auf allen drei Plattformen schaltete die FPÖ Inserate. (Markus Sulzbacher, 26.5.2024)