Das Vive Vienna bietet viel Grün aus Plastik und ein Speisenangebot, das sich ebenso international wie kochfreundlich präsentiert.
Gerhard Wasserbauer

Eine Prachtvilla aus der Jahrhundertwende im Herzen von Mauer samt Turm und parkähnlichem Garten heißt nun Vive Vienna. Neben Hotelzimmern gibt es auch ein weitläufiges Restaurant, das dieser Tage regelrecht gestürmt wird. Die Küche hat sich viel vorgenommen, von Backhendl und gekochtem Rindfleisch über Ceviche, Tataki und Schnecken bis zu Bouillabaisse, Spareribs und Hummus wird der Bogen hier quer durch alle Stile und Traditionen gespannt. Ambition ist gut – aber nicht, wenn sie dazu führt, dass die Speisen trotz Neueröffnung und voller Hütte durchwegs so schmecken, als ob sie schon seit geraumer Zeit auf ihren Einsatz auf dem Teller gewartet haben.

In Kombination mit dem Dekor – wucherndes Pflanzenplastik an Tischen und an der Decke, dazu Macramé-Volants und -Schnürlvorhänge – ergibt das eine recht eigentümliche, den Namen mit eher untoter Stimmung konterkarierende Atmosphäre. Der Service verbreitet unerschütterlichen Frohmut, der mitunter in aggressive Freundlichkeit zu kippen scheint. Etwa dann, wenn ein Glas warmes Bier mit den Worten "Gerne meine Lieben" auf dem Tisch platziert wird – die seit gut einer Viertelstunde aufs Abräumen wartenden Teller aber ignoriert werden.

Burrata mit Ochsenherztomate und Mangochutney
Gerhard Wasserbauer

Dabei hatte alles so gut ausgesehen. Auf Insta wirkt das Kunststoffdickicht der Einrichtung keineswegs so fossil wie in echt, die Karte macht sich vergleichs­weise weltläufig – und aus der Stadt kommt man sowieso gern raus. Aber dann ist schon die aufgeschlagene Butter zum – köstlich knusprigen – Brot so etwas von kühlschrankduftig, dass man sogar ranzige Noten wahrzunehmen meint. Burrata mit Ochsenherztomate und Mangochutney kommt hart an den Zahnschmerzpunkt gekühlt an den Tisch, die cremige Käskugel auf eine einzelne, anämische Paradeiserscheibe gebettet, mit Rucola bedeckt und mit zuckersüßem Mangosalat umkränzt – könnte auch als Dessert durchgehen.

Tataki vom Thunfisch mit Avocadopüree
Gerhard Wasserbauer

Ceviche von der Goldbrasse kündigt sich schon von weitem an, nicht wegen des Fischs, sondern wegen der penetrant oxidierten und reichhaltig applizierten Lauchzwiebel, die ganz offenbar seit der Früh fix aufgeschnitten auf ihren Einsatz warten durfte. Das stattdessen bestellte Thunfisch-Tataki erweist sich als mit Sesam ummantelter Quader vom gebratenen Fisch, mit deutlichem Hautgout, dem auch das Avocadopüree trotz des seifigen Zitronentons nicht beizukommen vermag.

geschmorter Karfiol auf orientalische Art mit Hummus, Chimichurri und Fladenbrot
Gerhard Wasserbauer

Püree, die Geheimwaffe des arbeits­effizient auf Plating, nicht Frischkochen fokussierten Kochs, grassiert auch anderswo. Beim Karfiol etwa, der als "orientalisch geschmort" angekündigt wird, in Wahrheit aber hellschwarz frittiert zum Tisch kommt, mit kohlig-bitterem Karfiolpüree, bis zur Trockenheit bröckligem "Hummus" und einer als grüne Creme getarn­ten Gemeinheit aus oxidiertem Knoblauch, die als Chimichurri firmiert. Dreimal Püree aus der Kühlung, der Karfiol aus dem Fritter – so kann man sich fix dem nächsten Teller widmen!

Rauch, reich garniert

BBQ - Ribs mit BBQ Sauce, rotem Coleslaw mit Apfel, Wasabimayo und Cornribs
Gerhard Wasserbauer

Das gilt für den Koch wie auch den Gast. Caesar Salad bietet dann Erholung, mit knackigem Romana-Salat, mit korrekt sardellenwürzigem Dressing, Hartkäse und Speck (?) – eindeutig das Gericht des Abends. Reich garnierte Spareribs sind mit 36 Euro selbstbewusst kalkuliert, was wenig Einfluss auf die Sorgfalt hat: Mit klebriger, dank künstlichen Raucharomas an Aschenbecher erinnernder Fertigsauce eingelassen, dazu Cole Slaw, der irgendwann in der Vorwoche einmal frisch war, schrumpelige Corn Ribs, für die der Kukuruz samt Strunk geviertelt wurde, saure Mayo (laut Karte mit Wasabi) und noch mehr von der Fertigrauchsalsa im Extratiegel.

Die Weinkarte beschränkt sich auf ein paar offene Flaschen, aber es gibt eine Cocktailkarte. Bei flauem Magen empfiehlt der Keeper "Penicillin" mit Whisky, Honig, Zitrone und Ingwer. (Severin Corti, 24.5.2024)