Am 16. Mai startete eine Sojus-Rakete und brachte wohl eine russische Antisatellitenwaffe in den Orbit.
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Die USA behaupten, dass Russland einen sogenannten Killersatelliten gestartet hat. Laut den vorliegenden US-Informationen soll der russische Satellit in der Lage sein, andere künstliche Himmelskörper anzugreifen.

"Russland hat einen Satelliten in eine niedrige Erdumlaufbahn gebracht, bei dem es sich nach unserer Einschätzung wahrscheinlich um eine Weltraumwaffe handelt", sagte der Pentagon-Sprecher, Brigadegeneral Pat Ryder, am Dienstagabend. Der Satellit befinde sich auf einer ähnlichen Umlaufbahn wie ein Aufklärungssatellit der USA. Washington werde die Situation weiter beobachten und müsse bereit sein, seine Interessen zu schützen, berichtet die BBC.

Worum es sich bei der Waffe konkret handelt, wurde nicht bekanntgegeben. Fix ist, dass am 16. Mai eine Sojus-2.1b-Rakete vom Kosmodrom Plessezk im Norden Russlands gestartet wurde. Ihre Hauptnutzlast war ein Satellit mit der Bezeichnung Kosmos 2576. Die russische Regierung hat keine Einzelheiten über den Satelliten oder seine Mission bekanntgegeben. Die generische Bezeichnung Kosmos wird von Russland seit den 1960er-Jahren für Satelliten verwendet, wohl auch um deren eigentlichen Zweck zu verschleiern. 2576 künstliche russische Himmelskörper tragen diesen Namen.

Wie Space News berichtet, dürfte sich Kosmos 2576 in einer Umlaufbahn befindet, die einige der gleichen Parameter aufweist wie die von USA 314, einem Spionagesatelliten. Kosmos 2576 befindet sich zwar auf einer niedrigeren Umlaufbahn als der US-Satellit, aber das könnte sich bald ändern, wie die Erfahrung aus dem Jahr 2022 zeigt. Kosmos 2558 wurde damals in eine ähnliche Umlaufbahn gestartet, die aber immer weiter erhöht wurde, um sich dem US-Aufklärungssatelliten USA 326 anzunähern. Auch 2019 kam es bereits zum Start eines russischen Satelliten, der von den USA als Weltraumwaffe bezeichnet wird.

Der Start erfolgte just zu einem Zeitpunkt, in dem Russland im UN-Sicherheitsrat einen Vorschlag vorlegte, Weltraumwaffen zu verbieten.

Keine Atomwaffe

Um welche Art von Waffe es sich handelt, ist nicht klar. Laut Informationen der US-Regierung dürfte es sich aber nicht um eine Atomwaffe oder einen Satelliten mit atomarem Antrieb handeln. Es sei unwahrscheinlich, dass Russland bisher eine Atomwaffe im All stationiert habe, hieß es. Eine Gefahr für die Menschen auf der Erde bestehe nicht, hieß es aus dem Pentagon.

Das muss nicht bedeuten, dass Russland nicht an derartigen Waffensystemen arbeitet: Erst im Februar dieses Jahres gab das Weiße Haus bekannt, dass es Hinweise darauf gebe, dass Russland eine Antisatellitenwaffe mit "nuklearen Fähigkeiten" entwickle. Ob damit ein atomarer Sprengkopf oder ein nuklearer Antrieb wie beim angeblichen Super-Marschflugkörper Burewestnik gemeint war, blieb offen, wie NPR meldet.

Schlechte Idee: Antisatellitenraketen

Doch wie funktionieren Antisatellitenwaffen? Es gibt im Grunde zwei Varianten: Die naheliegendste ist die einer Rakete, die von der Erdoberfläche aus auf einen Satelliten abgefeuert wird. Man nennt diese Methode auch Direct Ascent, eben weil die Waffe andere Himmelsobjekte direkt anfliegt. Einen vergleichsweise winzigen Satelliten von der Erde aus zu erfassen und dann auch noch zu treffen ist aber eine technische Herausforderung. Als 2008 ein US-Spionagesatellit außer Kontrolle geriet, wurde er mit einer Antisatellitenwaffen, einer SM-3, zerstört. Die Rakete traf den Satelliten in einer Höhe von rund 250 Kilometern bei einer Geschwindigkeit von 10,5 Kilometern pro Sekunde, während der Satellit taumelte, was die Vorhersage der Flugbahn enorm schwierig machte.

Die Methode hat aber einen gravierenden Nachteil: Sie ist alles andere als nachhaltig. Tests von Direct-Ascent-Waffen im Orbit gelten mittlerweile als eine der Hauptursachen für die voranschreitende orbitale Verschmutzung, wie die Secure World Foundation kritisiert. Bislang haben die USA, Indien, China und Russland derartige Tests durchgeführt, wobei die USA weitere Versuche ausgesetzt haben.

Indien, China und Russland wollen weiter an derartigen Tests festhalten. Die Union of Concerned Scientists schätzt, dass die Zerstörung eines zehn Tonnen schweren Satelliten bis zu 14 Millionen Bruchstücke in der Größe bis einen Zentimeter, 750.000 Objekte bis zu zehn Zentimeter und 15.000 Trümmer über zehn Zentimeter Größe erzeugt, die über viele Jahre im Orbit bleiben könnten. So verteilte der erfolgreiche Test einer chinesischen Antisatellitenrakete mit dem Beschuss des Wettersatelliten Fengyun-1C im Jahr 2007 eine über 3000 Kilometer große Trümmerwolke im Orbit.

Im November 2021 geriet Russland wegen eines Direktflugtests in die Schlagzeilen, bei dem rund 1400 neue Trümmerteile und hunderttausende kleinere Fragmente entstanden. Die Folgen des Tests führten zu Forderungen nach einem weltweiten Verbot derartiger Waffen. Bis heute muss die ISS den Trümmerteilen regelmäßig ausweichen.

Auch eine schlechte Idee: Atomwaffen

Atomraketen im Orbit zu stationieren und als Antisatellitenwaffen einzusetzen würde einen Verstoß gegen den Outer Space Treaty von 1967 darstellen. Aber es gibt auch praktische Einschränkungen, was den Einsatz von Atomwaffen im Orbit betrifft: Erstens ist ihre zerstörerische Primärwirkung nicht so stark wie auf der Erde, weil im Vakuum keine Schockwelle entsteht. Sehr wohl breiten sich aber Strahlung und ein elektromagnetischer Puls aus, der andere Satelliten, auch die eigenen, lahmlegen könnte.

"Das würde eine Menge Auswirkungen auf alle russischen und chinesischen Satelliten haben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Chinesen darüber nicht glücklich sein werden", wird James Acton, Co-Direktor des Programms für Atompolitik bei der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden. Acton hält es für wahrscheinlicher, dass Russland einen Satelliten mit Kernreaktor entwickelt. Eine solche Waffe könnte etwa der elektronischen Kriegsführung dienen.

Bessere Idee: orbitale Abschleppfahrzeuge

Die andere Methode, feindliche Satelliten möglichst auszuschalten, stellen co-orbitale Angriffe dar. Eine co-orbitale Waffe fliegt möglichst nahe an das Zielobjekt heran und rammt dieses selbst oder feuert ein "Kill Vehicle" ab, sodass das Ziel zerstört wird oder zumindest taumelnd aus der Umlaufbahn gerät und möglichst nutzlos wird. Andere derartige Systeme sind mit Splittergefechtsköpfen ausgestattet, die feindliche Satelliten zerstören sollen, eine Art Killersatelliten-Mine. Und ja, auch wenn es reißerisch klingt, "Killersatellit" ist die offizielle Bezeichnung für ein derartiges System.

Es gibt aber auch ausgeklügeltere Varianten von Killersatelliten mit robotischen Greifarmen, der aktuell in den USA entwickelt werden. Solch ein Killersatellit soll wie eine Art Abschleppfahrzeug für feindliche Satelliten funktionieren. Die elegante Lösung: Der Angreifer nähert sich dem Zielobjekt an, greift es und schleppt es in einen sogenannten Friedhofsorbit, eine Art Mülldeponie im All. Auch China scheint bereits über die Technologie des Satelliten-Abschleppens zu verfügen. Im Jahr 2022 verschwand der chinesische Satellit Shjian-21 aus seinem Orbit, tauchte später neben einem ausgemusterten chinesischen Satelliten wieder auf und warf diesen aus seiner geosynchronen Umlaufbahn. Dann beförderte er ihn so einige Hundert Kilometer weiter auf den galaktischen Müllplatz.

Eingesetzt wurden Satellitenwaffen übrigens bisher immer nur als Machtdemonstration. Auf der Abschussliste standen immer nur eigene ausgediente Satelliten. Bis heute hat noch keine Nation die Satelliten anderer Staaten angegriffen.

Nach allem, was derzeit über die russische Waffe bekannt ist, dürfte es sich um einen ähnlichen co-orbitalen Killersatelliten handeln. Ob dieser über fortgeschrittene Technologie verfügt oder einfach nur ein orbitaler Rammbock oder eine Mine ist, lässt sich nach aktuellem Wissensstand nicht beantworten.

Kanonenfeuer im All

Eines ist jedoch fix, die bizarrste Weltraumwaffe wurde bereits in den 70er-Jahren getestet. Vor 50 Jahren war die Technologie noch nicht so ausgereift, und in der damaligen Sowjetunion hatte man eine ganz eigene Vorstellung von Weltraumwaffen. Man baute in die Raumstationen des Almas-Programmes eine "Weltraumkanone" ein. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Blaster wie in Star Wars, sondern um eine eher weltliche modifizierte 23-mm-Maschinenkanone R-23. Diese wurde in den Salyut-Raumstationen eingesetzt. Das Ziel war klar: Die Abwehr von US-Raumfähren, sollten diese der sowjetischen Station bei Spionagemissionen zu nahe kommen.

Allzu effektiv waren die bewaffneten Außenposten im All aber nicht, denn um zu zielen, musste die gesamte 20 Tonnen schwere Station auf das Ziel ausgerichtet werden. Angeblich soll es nach der letzten bemannten Mission zur Station Saljut 3 zu mehreren Testschüssen gekommen sein, die aber ferngesteuert von der Erdoberfläche aus ausgelöst wurden. Man wusste nämlich nicht, ob die Station durch die Erschütterungen nicht doch außer Kontrolle geraten würde, also wartete man mit den Zielübungen lieber, bis keine Kosmonauten mehr an Bord waren. Offenbar war die Sorge unbegründet, denn kurz darauf wurde die Raumstation zum Absturz gebracht – und zwar kontrolliert. (Peter Zellinger, 20.5.2024)