In Österreich braucht es viele zusätzliche Arbeitskräfte. Gut ausgebildetes Fachpersonal in der Pflege und in den Spitälern, im Gewerbe sowie Arbeiter und Arbeiterinnen in Industrieunternehmen werden dringend gesucht. Das rückt – neben Umschulungen hiesiger Arbeitskräfte und Anwerbemaßnahmen in Drittstaaten – auch die Arbeitsmarktfähigkeit anerkannter Flüchtlinge und subsidiär schutzberechtigter Personen ins Zentrum des Interesses.

Jobmesse für Geflüchtete, organisiert von Berliner Jobcenter, die IHK Berlin und Handwerkskammer.
Jobmesse für Geflüchtete in der deutschen Hauptstadt Berlin. Auch in Wien gibt es immer wieder solche Initiativen für Migrantinnen und Migranten.
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Mit einem positiven Asylbescheid steht diesen Flüchtlingen, großteils Syrern und Afghanen, der Arbeitsmarkt offen. Umgekehrt betrachtet: Mit dem Ende der Grundversorgung, die ihnen während des Asylverfahrens gewährt wurde, benötigen anerkannte Flüchtlinge dringend einen Job, wenn sie nicht von der Mindestsicherung leben wollen.

Im April dieses Jahres waren bundesweit 45.168 anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte arbeitslos gemeldet oder in Schulungen des Arbeitsmarktservice (AMS) – um 16,1 Prozent mehr als im April 2023. Darunter sind viele Männer – und wenig Frauen –, die in den Jahren 2022 und 2023 in Österreich um Asyl ersucht und es inzwischen gewährt bekommen haben. Sowie Frauen, die von anerkannten Flüchtlingen inzwischen im Rahmen des Familiennachzugs samt Kindern nachgeholt wurden.

Lange Jahre auf der Flucht

Die Jobintegration dieser Menschen gestalte sich vielfach schwierig, erläutert die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger im Gespräch mit dem STANDARD. "Die Flüchtlinge von 2022 und 2023 sind eine deutlich andere Gruppe als jene aus den Jahren 2015 und 2016", sagt sie. "Viele von ihnen weisen langjährig unterbrochene Bildungsbiografien aus und sind Analphabeten." Auch gesundheitlich seien viele dieser Personen angeschlagen: "Wir finden viele Traumatisierungen, aber auch körperliche Krankheiten."

Grund dafür seien wohl die Dauer und die Erlebnisse auf der Flucht: "Das sind großteils junge Männer im Alter bis 30 oder 35 Jahre. Direkt aus Syrien oder Afghanistan kommen nur wenige von ihnen. Stattdessen haben sie viel Zeit in libanesischen oder jordanischen Flüchtlingslagern verbracht. Oder auch in der Türkei." 2015 und 2016, so Kohlenberger, hätten Flüchtlinge aus Syrien meist eine gute Schulbildung aufgewiesen, denn um die Schulen sei es in ihrem Heimatland besser bestellt gewesen als in anderen arabischen und nordafrikanischen Staaten. Das sei inzwischen nicht mehr so.

Frauen schlecht erreichbar

Nach der großen Fluchtbewegung 2015 und 2016 hatte sich die Beschäftigungsquote der Flüchtlinge nach Erhalt des Asylstatus rasch gesteigert. Nach fünf Jahren waren mehr als sechzig Prozent der Flüchtlinge in Beschäftigung. Das werde nunmehr länger dauern, meint die Expertin. Auch brauche es dazu mehr als Alphabetisierungs- und Deutschkurse: "Da geht es auch um medizinische und psychologische Hilfeleistungen."

Hinzu komme die schlechte Erreichbarkeit der Frauen: "Wir haben da ein Thema bei der Erreichbarkeit dieser Frauen. Manche von ihnen verschwinden in den Wohnungen." Hier seien Ansätze nötig, um sie zu einer Arbeitsaufnahme zu motivieren, wie sie etwa die NGO Nachbarinnen verfolgt. Frauen aus Einwanderercommunitys unterstützen andere Frauen, indem sie sie daheim aufsuchen und motivieren.

Ungenutzte Qualifikationen

Auch insgesamt jedoch bräuchte es in Österreich neue Integrationsansätze, um die Qualifikationspotenziale von Migrantinnen und Migranten zu heben. Etliche empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass Einwanderer – Flüchtlinge und Arbeitsmigranten zusammengenommen – in geringqualifizierten Jobs tätig sind.

Peter Vandor, Immigrationsexperte an der Wirtschaftsuni in Wien und Leiter des dortigen Social Entrepreneurship Center, weist im STANDARD-Gespräch auf die Problematik hin: "Die Potenziale werden in Österreich am Arbeitsmarkt in der Tat nicht optimal genützt." Das zeige sich unter anderem anhand von Studien, in denen identische Lebensläufe und Bewerbungen mit deutschsprachigen Namen und Namen aus anderen Sprachen auf reale Jobinserate versendet wurden. Dabei zeigte sich, dass Bewerber und Bewerberinnen mit ausländisch konnotierten Namen in Österreich zwischen 30 und 100 Prozent mehr Jobbewerbungen schicken müssen als Einheimische, bevor sie eine Zusage bekommen.

"Weitere Potenzialverluste ergeben sich bei Occupational Downgrading, wenn also Jobs aufgeführt werden, für die man eigentlich überqualifiziert ist, oder wenn Menschen mit sonst gleichen Qualifikationen arbeitslos werden", sagt Vandor.

Selbstständigkeit als Ausweg

Da der Zugang zum Arbeitsmarkt für viele Zuwanderer mit vielen Hürden verbunden ist, weichen zahlreiche Migrantinnen und Migranten auf die Selbstständigkeit aus. Weltweit, sagt Vandor, werden mehr Unternehmen von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet als von Menschen ohne. Das gelte auch in Österreich: Laut zwei Erhebungen des Global Entrepreneurship Monitor 2012 und 2016, die den Migrationshintergrund miterhoben, haben Migrantinnen und Migranten in Österreich häufiger Unternehmen gegründet als Personen, die hier geboren sind.

Das gelte nicht nur für die besonders sichtbaren Gründungen in Gastronomie und Tourismus sowie den oft prekären Selbstständigkeiten in der "Gig-Economy" (Paketdienste). "Auch bei dezidierten Wachstums- und Technologie-Start-ups sind Menschen mit Migrationshintergrund stark vertreten. Sie gründen gleich häufig solche Start-ups wie Menschen aus Österreich oder sind in manchen Gruppen sogar leicht überrepräsentiert", sagt Vandor. (Irene Brickner, Walter Müller, 23.5.2024)