Ganz viele Rollen Klopapier, auf denen jedes Blatt mit 1.000.000 Euro beschriftet ist.
Ein Blatt, eine Million: Um die Größenverhältnisse der Vermögensverteilung greifbarer zu machen, wurden Milliardenbeträge mit Klopapierrollen dargestellt.
DER STANDARD/Nimmervoll

Es geht schön langsam dem Ende zu: Die 50 Mitglieder des "Guten Rats für Rückverteilung", dem die Millionenerbin und Aktivistin Marlene Engelhorn 25 Millionen Euro anvertraut hat, werden sich am Wochenende zum fünften Mal in Salzburg treffen und diskutieren, wie dieses Geld verwendet werden soll. Zwei Wochen später, am 8. und 9. Juni, sind die abschließenden Beratungen der Bürgerinnen und Bürger geplant.

Bis dahin sollen sie auch ihre Ideen und Vorschläge formulieren, wo sie beim Thema Vermögensverteilung und Gerechtigkeit ansetzen würden, wenn sie es in der Hand hätten. Sie sollen nämlich auch politische Botschaften entwickeln, in einem demokratischen Diskussionsprozess. Die 50 für die österreichische Bevölkerung repräsentativ ausgewählten Personen müssen dabei vor dem Hintergrund ihrer ganz unterschiedlichen Biografien und Lebenslagen miteinander aushandeln, was sie gerecht und ungerecht finden, wie sie das Verhältnis zwischen individuellem Reichtum und gesellschaftlicher Verantwortung austarieren würden, wo sie politischen Handlungsbedarf sehen.

DER STANDARD hat mit drei Ratsmitgliedern über den Preis der Ungleichheit und den Wert der Demokratie gesprochen.

Drei Mitglieder des Guten Rats für Rückverteilung, links Elisabeth aus Oberösterreich, in der Mitte Martin aus Wien und rechts Elke aus der Steiermark.
Drei Mitglieder des Guten Rats für Rückverteilung: Elisabeth aus Oberösterreich (v. li.),Martin aus Wien und Elke aus der Steiermark.
Fotos: privat (2), Hanna Fasching / Guter Rat für Rückverteilung

Elisabeth (58): "Wir müssen wach bleiben"

Eigentlich hat Elisabeth für das Jahr 2024, dieses "Schicksalsjahr", wie sie mit Blick auf die Wahlen in Europa, in den USA und in Österreich sagt, "relativ schwarz" gesehen. "Wenn ich mir anschaue, wie die Menschen seit Corona miteinander umgehen, immer weniger problemlösend, das ganze Gemeinschaftsempfinden wird immer egoistischer, dann habe ich eher den Eindruck gewonnen, alles wird schlechter", sagt die 58-jährige Supermarktverkäuferin aus Oberösterreich. Doch dann wurde sie in den "Guten Rat für Rückverteilung" berufen – "und da habe ich 50 Menschen, die einen Querschnitt der österreichischen Gesellschaft bilden, durchwegs 'liabe Leit', kennengelernt, die alle respektvoll miteinander umgehen und sich viele Gedanken über unser Zusammenleben machen, und jetzt denk ich mir: Das kann nicht so schlimm ausgehen, so schlecht schaut’s doch nicht aus."

"Es ist wichtig, dass die Leute, die sich oft ,zu klein' für politisches Engagement fühlen, hereingeholt und gehört werden."

Dennoch müsse man "den Tatsachen ins Auge sehen", meint die Mutter dreier Kinder: "Wir müssen wach bleiben. Die Geschichte hat uns gezeigt, wie schnell es in die falsche Richtung kippen kann. Darum ist es ganz wichtig, dass es zu einer Angleichung der Verhältnisse kommt und die Leute, die sich oft 'zu klein' fühlen für politisches Engagement, hereingeholt und gehört werden." In der demokratischen Versuchsanordnung im Guten Rat sieht sie daher ein Modell im Kleinen, aus dem die "große" Politik lernen könnte. Was? "Jede Meinung zählt. So viel wäre möglich, wenn wir zusammenhelfen."

Der "Reichtum", den sie und ihr Mann ihrer Tochter und den zwei Söhnen mitgeben wollten, war Bildung: "Uns war ganz wichtig, dass die Kinder lernen können, was sie wollen." Zwei haben studiert, einer ist mit einer Lehre beruflich erfolgreich: "Sie verdienen sich ihr Geld so viel leichter als in der Landwirtschaft", erzählt die dreifache Oma. Sie selbst wäre gern Lehrerin geworden, hat aber den kleinen Bergbauernhof ihrer Eltern im Salzkammergut, als diese Unterstützung brauchten, übernommen. Mittlerweile bewirtschaftet ihn die ehemalige Ortsbäuerin nur noch so, "dass er nicht untergeht". Davon zu leben ginge nicht mehr.

Elke (23): "Mut muss man auch üben"

Für Elke ist die Tatsache, dass sie in einem Demokratieprojekt, als das die Initiatorin Marlene Engelhorn den Guten Rat für Rückverteilung versteht, mitarbeitet, fast wichtiger als die 25 Millionen Euro. Diese sähe die 23-Jährige aus der Südoststeiermark am besten "in Projekten im sozialen Bereich, für Umwelt, Wohnen, Bildung oder Gesundheit" eingesetzt. Sie empfindet die Arbeit mit 49 Menschen aus unterschiedlichsten Lebenswelten nicht nur persönlich als "sehr lehrreich und schöne Lebenserfahrung", sondern auch als wichtigen Akt der politischen Beteiligung.

Der aber auch ein bisschen Mut erfordere, erzählt die gelernte Bautischlerin, die in einem Logistikbetrieb arbeitet: "Mut muss man sich im Leben erkämpfen und auch üben." In der Schule habe sie es "gehasst", vor anderen ein Referat halten zu müssen, jetzt, im Guten Rat, traue sie sich, das Mikrofon zu nehmen und in der großen Runde ihre Vorstellungen über die Verwendung des Geldes oder auch Einwände gegen andere Ideen zu äußern.

"Irgendwer in diesen Familien wird einmal klein angefangen haben, und dann hat das irgendwann geboomt."

Sie zum Beispiel stehe "Superreichen" neutral gegenüber, sagt die junge Frau, "weil irgendwer in diesen Familien wird einmal klein angefangen haben, und dann hat das irgendwann geboomt. Wenn diese Leute nicht völlig abheben und sich in der Gesellschaft engagieren, dann habe ich nichts dagegen." Wenn jedoch jemand etwa über Reichtum dank Energydrinks schimpfe und "eine Dose Red Bull oder Cola gekauft hat, muss dem doch klar sein, dass er diesen Reichtum selbst unterstützt".

Was Elke im Guten Rat, wo sie das Themenfeld "Rechte und Teilhabe" bearbeitet, besonders gefalle, sei das Konsent-Prinzip, nach dem in "Mini-Österreich" Entscheidungen getroffen werden. "Das ist recht cool, weil es dabei nicht nur um Mehrheit und Ja-Stimmen geht, wo dann 49 Prozent Pech gehabt haben und die anderen 51 Prozent kriegen, was sie wollen, sondern dass man schwerwiegende Einwände äußern kann und dann eine Lösung gesucht wird, zu der niemand mehr voll 'Nein' sagt." Diese Methode zur Entscheidungsfindung hätte sie gern schon früher gekannt, etwa für ihr Engagement in der Landjugend.

Martin (38): "Lasst die anderen doch ausreden"

Martin ist größere Euro-Summen durchaus gewohnt. So große allerdings, wie sie beim Guten Rat für Rückverteilung über die Vermögensverhältnisse in Österreich referiert wurden, sind auch für den Buchhalter nicht alltäglich. Dementsprechend war auch für ihn "der große Wow-Effekt", wie am ersten Arbeitswochenende mit Klopapierrollen veranschaulicht wurde, wie viel Geld der Reichste im Land hat (32,5 Milliarden Euro) und dass ein Prozent der Haushalte rund die Hälfte des Gesamtvermögens besitzt.

Für den 38-jährigen Wiener ist die Entscheidung über das 25-Millionen-Euro-Erbe von Ratsinitiatorin Marlene Engelhorn nicht der wichtigste Arbeitsauftrag für "Mini-Österreich". Vielmehr spiele für ihn die Idee, dass hier 50 für die Gesamtbevölkerung repräsentative Menschen demokratisch neue Ideen zum Umgang mit Vermögensungleichheit und Gerechtigkeit erarbeiten, "die größte Rolle".

"Fragen wir die Menschen im Land doch: Wie seht ihr das? Dann wissen wir, was Österreich möchte."

Demokratie lebten seine Frau und er auch daheim mit den zwei Kindern (ein Bub, ein Mädchen) bewusst. Darum fiel die Entscheidung, ob er beim Guten Rat mitmacht, auch gemeinsam. Es gab nämlich ein für den Sohn wichtiges Konkurrenzverhältnis aufzulösen: Die sechs Wochenenden in Salzburg, wo die Meetings stattfinden, kollidieren teilweise mit Fußballspielen des Zehneinhalbjährigen. Papa kann nur da oder dort sein. "Er wusste, er hat Priorität", erzählt Martin. Eines Morgens kam dann die Entscheidung des Kindes: "Ja, bitte mach’s und versuch die Welt ein bisschen besser zu machen."

Das versucht er nun im kleinen Rahmen des Guten Rats für Rückverteilung. Der Wiener hofft, dass das demokratische Potenzial, das er im Bürger:innenrat erlebe, von der Politik aufgegriffen werde. Zwei Dinge nennt er: "Man sieht immer wieder, wie sich Politiker im Fernsehen ins Wort fallen, den anderen Standpunkt nicht anhören. Das ist der Unterschied zum Guten Rat. Lasst die anderen doch einmal ausreden!"

Und sein zweiter Rat: "Etwas mehr Demut und vielleicht eine größere Befragung der Bevölkerung zur Vermögensungleichheit. Fragen wir die Menschen im Land doch: Wie seht ihr das? Dann wissen wir, was Österreich möchte." (Lisa Nimmervoll, 23.5.20249)