Ein taiwanischer Kampfjet
Als Reaktion auf Chinas Militärübung hat Taiwan Kampfjets in die Luft geschickt.
AFP/YASUYOSHI CHIBA

Wenige Tage nach der Amtseinführung des neuen taiwanischen Präsidenten Lai Ching-te hat China den Unabhängigkeitsbefürwortern in Taiwan in drastischen Worten mit einem Blutvergießen gedroht. "Die Unabhängigkeitskräfte werden mit zerschmetterten Schädeln und im Blut enden", nachdem sie mit Chinas "großem" Vorhaben der "vollständigen Vereinigung" mit Taiwan konfrontiert wurden, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking.

Die aktuellen großangelegten Militärübungen rund um Taiwan nannte er eine "ernsthafte Warnung" – China hatte kurz zuvor mit diesen begonnen. "Dies ist auch eine harte Strafe für die separatistischen Kräfte einer Unabhängigkeit Taiwans und eine ernsthafte Warnung gegen Einmischung und Provokation durch externe Kräfte", erklärte der Sprecher des Ostverbands der Volksbefreiungsarmee, Marine-Oberst Li Xi, am Donnerstag.

Kampfbereitschaft trainieren

Heer, Marine, Luftwaffe und die Raketenstreitkräfte würden seit Donnerstag in der Früh (Ortszeit) bis Freitag Übungen in der Meerenge zwischen China und Taiwan (Taiwanstraße) und um Taiwan abhalten. Das chinesische Militär will den Angaben zufolge die gemeinsame Kampfbereitschaft zu Wasser und in der Luft sowie den Angriff auf Schlüsselziele trainieren. Schiffe und Flugzeuge würden sich Taiwan von Norden, Süden und Osten für "Patrouillen" nähern und auch mehreren Inseln nahe kommen, etwa dem nur wenige Kilometer vom chinesischen Festland entfernten Eiland Kinmen. Die Taiwanstraße ist an ihrer engsten Stelle rund 130 Kilometer breit.

Video: China hält Militärübungen rund um Taiwan ab.
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Der Militärexperte Zhang Chi sagte im chinesischen Staatsfernsehen, China simuliere eine Blockade Taiwans. Die Armee wolle damit üben, Energieimporte "als Lebensader" nach Taiwan zu stoppen, Fluchtwege für Taiwans Politiker ins Ausland abzuschneiden und Unterstützung von Verbündeten wie den USA zu verhindern. Die Übung dürfte damit die größte seit April 2023 sein, als China ebenfalls eine Blockade probte.

Der taiwanische Vize-Verteidigungsminister Po Horng-huei sagte, das Ziel sei diesmal offensichtlich, zu zeigen, dass China Kontrolle über die Region habe. Anders als bei einer großangelegten Übung nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan im August 2022 habe China diesmal keine Verbotszonen für Schiffe oder Flugzeuge ausgewiesen, erklärte er.

Im morgendlichen Bericht des taiwanischen Verteidigungsministeriums über die Aktivitäten der Volksbefreiungsarmee in den zurückliegenden 24 Stunden war lediglich die Rede von einem chinesischen Kampfflugzeug und acht Marineschiffen um Taiwan. Die Zahlen könnten womöglich erst im freitäglichen Bericht deutlich höher ausfallen. Von chinesischer Seite lagen zunächst keine Zahlen vor.

Taiwan verurteilt Militärübung

Taiwans Verteidigungsministerium verurteilte die Militärübung als "irrationale Provokation", die den Frieden und die Stabilität in der Straße von Taiwan gefährde. Taiwanische Streitkräfte zu Wasser, am Boden und in der Luft seien entsendet worden, um "Freiheit und die Demokratie mit praktischen Handlungen" zu verteidigen, hieß es aus Taipeh. Weitere Details zu den Maßnahmen nannte das Ministerium nicht. "Es ist bedauerlich, die einseitigen Militärprovokationen zu sehen, die Taiwans Demokratie und Freiheit genauso wie Frieden und Stabilität gefährden", sagte Präsidentensprecherin Kuo Ya-hui.

China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, obwohl dort seit Jahrzehnten stets unabhängige und demokratisch gewählte Regierungen an der Macht sind. Die Führung in Peking hat bereits mehrmals damit gedroht, die mehr als 23 Millionen Einwohner zählende Insel und das Festland mit militärischen Zwangsmitteln zu vereinen. Neben regelmäßigen Übungen der Streitkräfte fliegen beinahe täglich Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan, um die militärische Macht der Volksbefreiungsarmee zu demonstrieren.

Drohung an Partner

Hintergrund der nun angekündigten Übung dürfte die Amtseinführung des taiwanischen Präsidenten Lai Ching-te am Montag sein. Seine Demokratische Fortschrittspartei (DPP) hatte im Jänner die Präsidentschaftswahl gewonnen. Noch bis vor wenigen Jahren nahm sich Lai bezüglich China kaum ein Blatt vor den Mund. In Schanghai sprach er sich 2014 indirekt für die Möglichkeit der Unabhängigkeit Taiwans aus – so dreist hatte noch kein taiwanischer Politiker in Festland-China gesprochen. Doch über die Jahre hat der Pragmatiker seine Rhetorik angepasst. Heute folgt er dem Standard-Parteisprech, wonach Taiwan längst unabhängig sei und man somit am Status quo nichts ändern müsse.

Bei seiner Antrittsrede am Montag hat Lai Peking zu einem Ende der Einschüchterungsversuche aufgefordert. "Ich möchte auch China aufrufen, seine politische und militärische Einschüchterung gegen Taiwan einzustellen." China solle die Verantwortung mit Taiwan teilen, in der Meerenge zwischen den beiden Ländern und der Region Frieden und Stabilität aufrechtzuerhalten. Die Zukunft der Beziehungen in der Taiwanstraße zwischen China und Taiwan habe einen entscheidenden Einfluss auf die Welt.

Aufruf zum Dialog

China solle "Dialog anstelle von Konfrontation wählen, Austausch anstelle von Blockade", so Lai. Seine Regierung werde weder nachgeben noch provozieren, sagte der 64-Jährige. Peking warf Lai und seiner neuen Regierung daraufhin Provokation vor. Der chinesische Außenminister Wang Yi bezeichnete Lai diese Woche als "schändlich".

Seit dem Wahlsieg Lais am 13. Jänner ist bereits mit einer Reaktion Pekings nach dessen Angelobung gerechnet worden. Die ist nun in Form einer umfangreichen Militärübung und verschärfter Rhetorik erfolgt. Experten und Expertinnen gehen aber nicht davon aus, dass China in absehbarer Zeit eine dramatische Eskalation des Konflikts plant.

Die Warnung dürfte jedenfalls auch dem wichtigsten und stärksten Verbündeten Taiwans, den USA, gelten, die der Inselrepublik für den Verteidigungsfall Unterstützung zugesichert haben und ihr zum Ärger Pekings regelmäßig Waffen liefern. Auch im Südchinesischen Meer, einem weiteren geopolitischen Schlachtfeld, hält China derzeit Übungen ab. (APA, red, 23.5.2024)