Hitze in der Stadt
Schier unerträglich hohe Temperaturen und Hitzeinseln sind in etlichen Städten Begleiterscheinungen des Klimawandels. Diese extremen Bedingungen belasten die Gesundheit von Alt und Jung.
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Die Klimakatastrophe hat massiven Einfluss auf die Art, wie Menschen in Städten zusammenleben. Metropolen müssen ihre traditionellen Funktionen weiterhin erfüllen, ihre Bewohner aber gleichzeitig vor dem zunehmenden Hitzedruck schützen, der ungesunde und sogar tödliche Ausmaße annehmen kann. Das ist nicht übertrieben: Eine Nature-Studie weist etwa für den Sommer 2022 in Europa eine hitzebedingte Opferzahl von etwa 61.000 Menschen aus.

Der Wandel braucht Begrünungen, Beschattungen, alternative Baumaterialien oder kluge Architekturen. Doch die zielgenaue Implementierung von Maßnahmen dieser Art ist nicht einfach. Menschen, die auf engem Raum zusammenleben, haben vielfältige und oft gegensätzliche Ansprüche. Gleichzeitig brauchen etwa Begrünungen auch Platz, was sie zum Beispiel in Konkurrenz mit Verkehrsflächen bringt. All das macht die städtischen Transformationen zu einer komplexen Angelegenheit.

Gemeinsame Lösungen

Für Kerstin Krellenberg, Professorin für Urban Studies an der Universität Wien, kann die Veränderung dann gelingen, wenn Lösungen gemeinsam in partizipativen Prozessen, die möglichst viele Betroffene mit ins Boot holen, erarbeitet werden. "Die Wissenschaft kann das Wissen, wie sich eine Stadt am besten verändern sollte, nur zum Teil bereitstellen", betont die Stadtforscherin.

"Sie muss mit Zivilgesellschaft, Stadtplanung, Privatwirtschaft und Verwaltungsbehörden in einen offenen Austausch treten, um gemeinsam zu experimentieren und maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln." Als Keynote-Speakerin spricht Krellenberg am 28. Mai in Wien bei der Veranstaltung "Umwelt im Gespräch" des Forschungsverbunds Umwelt und Klima über genau diese Problematik.

Mann kühlt sich bei Sprühbrunnen
Ein Mann sucht im sommerlichen Wien Abkühlung bei einem Sprühbrunnen. Temperaturen jenseits der 30 Grad sind in der Hauptstadt im Sommer keine Seltenheit mehr. Gegen die Hitze wird es künftig mehr Maßnahmen brauchen.
APA/ROBERT JAEGER

In Disziplinen wie den Sozial- und Nachhaltigkeitswissenschaften haben sich Begriffe wie Co-Design, Co-Creation oder Co-Production von Wissen für diese "Real-Laboratorien" etabliert. "Die Wissenschaft tut gut daran, aus ihrem Elfenbeinturm herauszukommen, Fragen zu stellen und Lösungsansätze zu erarbeiten, die eine realweltliche Relevanz haben", fordert Krellenberg. So können tatsächliche Bedürfnisse der Menschen angesprochen werden. Die Wahrscheinlichkeit ist dabei groß, dass eine gemeinschaftlich erarbeitete Lösung auch eine breitere Akzeptanz erfährt. Diese "transdisziplinäre und transformative Forschung" kann dazu beitragen, dass der gesellschaftliche Wandel mit der Veränderung des Klimas Schritt hält.

Eine erste Aufgabe in einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit der urbanen Klimawandelanpassung ist das Erarbeiten von Verwundbarkeitskarten. "Die Menschen sind nicht überall in der Stadt gleich stark betroffen. Topografie, Versiegelungsgrad oder Bauformen spielen eine Rolle in der Entstehung von Hitzeinseln", erklärt die Stadtforscherin, die früher bereits an derartigen Vulnerabilitätsanalysen von Städten in Lateinamerika mitgearbeitet hat. Ausgehend von den Analyseergebnissen kann ein lokaler Handlungsbedarf abgeleitet werden. Dabei stellt sich etwa auch die Frage, ob sozial benachteiligte Menschen betroffen sind, die auch im Sinne einer Klimagerechtigkeit besonderen Schutz bedürfen.

11. Umwelt im Gespräch: Klimawandel und urbaner Hitzestress
„Klimawandel und urbaner Hitzestress: Wie können Städte der Zukunft begegnen?“ war das Thema des 11. „Umwelt im Gespräch“ am 28. Mai 2024 im Naturhistorischen Museum Wien (NHM). Auf dem Podium diskutierten: - Sabine Pahl (Umweltpsychologin, Universität Wien) -
Uni Wien live

Neues ausprobieren

Letztendlich haben die Bewohnerinnen und Bewohner selbst die beste Expertise bei der Frage, wo Bedarf für die Verbesserung ihrer Lebensumstände besteht. Das Ziel ist, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und gemeinsam "etwas Neues auszuprobieren", wie Krellenberg betont. Da die Folgen von Veränderungen nur bedingt vorhersagbar sind, muss auch die Möglichkeit eines Scheiterns eingeräumt werden.

Radweg-Symbol auf der Straße
Auch temporäre Pop-up-Radwege können eine Lösung sein, um Verbesserungen in der Stadt auszuprobieren.
David Weyand via www.imago-image

"Vielleicht versucht man im Zuge eines solchen Experiments, Straßen in einem Viertel auf Zeit zu sperren, um öffentlichen Raum für Klimaanpassungsmaßnahmen freizugeben, und entdeckt, dass man ein lokales Verkehrsproblem damit nur verlagert – und dass man an anderen Stellschrauben drehen muss", veranschaulicht die Forscherin. Partizipative Initiativen, die Ideen im Kleinen entwickeln, stehen den großen Stadtentwicklungsprojekten gegenüber. "In der Entwicklung der Städte müssen Top-down- und Bottom-up-Prozesse Hand in Hand gehen", sagt Krellenberg dazu.

Mammutprojekt in Wien

Für Wien nennt die Stadtforscherin etwa den geplanten Campus Althangrund als Beispiel, bei dem ihrer Meinung nach auch eine neue Partizipationskultur eine zentrale Rolle spielen sollte. Auf dem Gelände der ehemaligen Wirtschaftsuniversität und über dem Franz-Josefs-Bahnhof im neunten Gemeindebezirk soll in dem Mammutprojekt ab 2030 ein riesiges Universitätsareal für Studierende der Boku und der Uni Wien entstehen. Laut Stadt Wien soll dabei eine "hochwertige Freiraumentwicklung und 'Klimareparatur' des heute fast vollständig versiegelten Standorts" eine Rolle spielen.

Im Zuge der Entwicklung des klimafitten Vorzeigeprojekts sollten bereits früh aktuelle Nutzer und Anrainer miteinbezogen werden. "Man sollte gemeinsam darüber nachdenken, wie man den Campus für universitätsfremde Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner öffnen und multifunktional nutzen kann, beispielsweise durch Mehrfachnutzungen von Räumlichkeiten", veranschaulicht Krellenberg. "Es soll eine Lösung sein, die nicht nur einem Mikrokosmos nützt, sondern die soziale Teilhabe auf Ebene des Quartiers und letztendlich der gesamten Stadt befördert."

Partizipation als Grundprinzip einer nachhaltigen Stadtentwicklung ist allerdings eine Vision, für deren Umsetzung noch entscheidende Werkzeuge fehlen. "Es müssen geeignete Ressourcen bereitgestellt werden, vom erhöhten Personalstand in der Stadtverwaltung bis zu geeigneten Instrumenten in der Forschungsförderung", betont die Stadtforscherin. "Der Umgang mit Hitze in den Städten braucht eine mutige und klare Gesetzgebung sowie die nötige Transparenz und die nötigen Kapazitäten, die es Bürgerinnen und Bürgern erlauben, an den Entwicklungsprozessen teilzuhaben." (Alois Pumhösel, 25.5.2024)