Menschen vor Brunnen
Ein Sprühnebelschlauch verschafft Städterinnen und Städtern Abkühlung. Neben solchen Maßnahmen helfen auch soziale Strukturen im Umgang mit der Hitze.
APA/GEORG HOCHMUTH

Das Jahr 2022 hat eindrucksvoll gezeigt, wie Hitzewellen die Sterblichkeit erhöhen. Eine neue, im Fachjournal Nature publizierte Studie sieht allein für den Sommer eine Opferzahl von 62.000 für ganz Europa. Die Modellierungen weisen 419 Tote für Österreich aus. In dem Jahr verzeichnete die Statistik Austria etwa einen rapiden Anstieg der Mortalität im Zuge einer Hitzewelle im Juli. Damals starben mehr über 65-jährige Menschen als auf dem Höhepunkt der Covid-Welle im Frühjahr desselben Jahres.

Hitzestress als Gesundheitsgefahr

Besonders betroffen war die Bundeshauptstadt Wien. Gerade in Metropolen macht sich die Stadtplanung schon lange Gedanken über Maßnahmen, die die Hitze in der Stadt erträglicher machen. Naheliegend sind Begrünungen, Beschattungen und andere architektonische Maßnahmen. Doch nicht alle Anpassungsstrategien sind baulicher Natur. Auch die Art des Zusammenlebens, die sozialen Strukturen innerhalb einer Stadt spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Eine Studie der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku), unterstützt vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien, untersuchte erstmals die Bedeutung des "Sozialkapitals" als Methode zur Abschwächung städtischen Hitzestresses. Die Ergebnisse des Projekts "Cool City" wurden kürzlich präsentiert. Durch Hitzestress entsteht vor allem für Kinder, Ältere, Kranke oder in ihrer Mobilität Eingeschränkte eine zusätzliche Gesundheitsgefahr.

Exklusive Flucht aufs Land

Zur sozialen Vulnerabilität kommt auch eine sozioökonomische, betont Maximilian Muhr vom Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Boku. Viele Möglichkeiten zur Kühlung – etwa eine Flucht aufs Land – hängen von den finanziellen Möglichkeiten ab. Bei Menschen mit Migrationshintergrund können Sprachbarrieren und kulturspezifische Faktoren wie der Fastenmonat Ramadan zur Problematik beitragen.

Einerseits hat jeder Mensch individuelle Anpassungsstrategien bei Hitze – von leichterer Ernährung bis zum Schwimmbadbesuch. Andererseits liegt eine "Ability to cope", eine Bewältigungskompetenz, aber auch auf der Ebene der sozialen Beziehungen. "Das Maß des Zusammenhalts in einer Nachbarschaft oder in einem Bezirks kann einen großen Unterschied machen", sagt Muhr.

Soziale Bindung schlägt Armut

Wie stark dieser Unterschied sein kann, hat bereits der US-Soziologe Eric Klinenberg in den 1990er-Jahren gezeigt. In Klinenbergs auch in Buchform erschienenen "sozialen Autopsie" einer Hitzewelle von 1995 in Chicago zeigte er, dass Armut sowie soziale und ethische Segregation enorme Faktoren bei der Sterblichkeit sind. Er hob aber auch hervor, dass etwa Menschen in hispanischen Vierteln trotz Armut besser durch die Katastrophe kamen. Die soziale Struktur mit ihren Familienclans, aktivem Communityleben und dem ausgeprägten Zusammenhalt sorgte dafür, dass man sich gegenseitig half.

Um die Hitze durchzustehen, sind diese sozialen Netzwerke ähnlich wichtig wie Klimaanlagen, zeigte Klinenberg. Aus Erfahrungen wie diesen heraus untersuchten auch die Wiener Forschenden die Bedeutung des Sozialkapitals ihrer Stadt bei der Bewältigung von Hitzewellen. Zwei Stadtgebiete wurden für eine nähere Betrachtung ausgewählt: Innerfavoriten und die Gründerzeitviertel am Gürtel im siebenten, 15. und 16. Gemeindebezirk. Muhr und Kollegen befragten Bewohnerinnen und Bewohner sowie Expertinnen und Experten aus dem Gesundheits- und Sozialbereich sowie aus dem Wohnbau zu ihren Erfahrungen im Zusammenhang mit der städtischen Hitze.

In eigenen Workshops wurden Ideen, wie man künftig gemeinsam den Hitzestress besser bewältigen könnte, zusammengetragen. Die Erfahrungen zeigen, dass unterschiedliche Reaktionen auf die Hitze auch zu Konflikten führen. Eine Anpassungsstrategie liegt etwa im Rückzug in die – sofern vorhanden – kühle Wohnung. Bei weniger guten Wohnverhältnissen ist eine umgekehrte Tendenz zu beobachten: Die Menschen drängen nach draußen und verstärken damit den Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum. Es entstehen Verdrängungsprozesse und Konflikte durch vermehrten Lärm.

Mehr Partizipation

"Zum Teil sind die Strategien, die die Menschen angesichts der Hitze verfolgen, inkompatibel", resümiert Muhr. Das partizipative Projekt förderte eine Vielzahl von Ideen zutage: "Wohnhaus-Buddys" oder "Hitze-Helfer" könnten sich um vulnerable Menschen kümmern. Begegnungsprogramme für Nachbarschaften sollten gegründet und kühle Räume zugänglich gemacht, begrünte Dächer oder schattige Innenhöfe auch für Außenstehende geöffnet werden. "Wichtig ist, dass die Maßnahmen niederschwellig gestaltet werden. Die Kommunikation sollte mehrsprachig und zielgruppenspezifisch sein", sagt Muhr.

Im Projekt wurde gezeigt, dass eine Stärkung der sozialen Netzwerke nicht nur die gegenseitige Hilfe fördert. Es werde auch lokales Wissen weitergegeben und die Kommunikation zwischen Bewohnern und Verwaltung verbessert. Bleibt die Frage, was die öffentliche Hand tun kann, um in dieses Sozialkapital zu investieren: Muhr schlägt etwa eigene Partizipationsformate zur Gestaltung des öffentlichen Raums vor. Bekannte Mittel wie Konfliktmediationen in Parks sollten ausgebaut werden. Und natürlich sollte auch die öffentliche Kommunikation gezielt das Miteinander fördern.

Ein Ansatzpunkt für die Maßnahmen könnte der gemeinnützige Wohnbau sein. Projektexperte Gerald Anetzhuber von der Bau- und Wohnungsgenossenschaft Wien-Süd verwies auf begrünte Dachterrassen, Gemeinschaftsräume und Urban-Gardening-Flächen, die helfen, mit der Hitze umzugehen und Sozialkontakte zu schaffen. Die Wiener Tradition des Sozialbaus könnte also in Zeiten der Klimakatastrophe eine neue, ungeahnte Bedeutung erfahren. (Alois Pumhösel, 26.8.2023)