Wiener Festwochen
Die Wiener Festwochen bitten bei den "Wiener Prozessen" in den Gerichtssaal.
Rafaela Pröll

In Moskau hat er sie schon gemacht, in Zürich auch und zuletzt im Kongo. Bei den Moskauer Prozessen (2013) behandelte Theatermacher und Festwochen-Intendant Milo Rau drei Strafverfahren in Russland gegen Künstlerinnen und Kuratoren. Die Zürcher Prozesse führte er im selben Jahr gegen die Schweizer Zeitschrift Weltwoche und zielte über deren Gebaren im Speziellen hinaus auf allgemein demokratische Fragen ab. Auf die beiden Schauprozesse folgte 2015 das Kongo Tribunal, mit dem Rau versuchte, den über 20 Jahre dauernden Bürgerkrieg in dem zentralafrikanischen Land aufzuarbeiten. Jeweils brachte Rau Akteure zusammen, um konkrete Fälle exemplarisch zu verhandeln. Jetzt bekommt auch Wien seine Prozesse, gleich drei an der Zahl.

Dieses Wochenende sowie an zwei weiteren (7. bis 9. Juni, 14. bis 16. Juni) laden die Festwochen dafür ins zum Gerichtssaal umfunktionierte Wiener Theater Odeon. Als Kooperationspartner bei dem Projekt wird DER STANDARD an den Prozesstagen zudem live von den Verhandlungen tickern und einen Livestream des Geschehens auf der Website zeigen (Tickets fürs Odeon sind für alle Prozesse bereits ausverkauft). Was verhandelt wird, sind drei brandaktuelle Themen: Im letzten Prozess soll es um "Die Heuchelei der Gutmeinenden" gehen (Stichworte: "radikale Klimabewegung" und "Cancel-Wahn“), im zweiten um „Anschläge auf die Demokratie" (Stichworte: "nationalistischer Extremismus" und „FPÖ“).

Impfdebatte und Schulen

Den Auftakt macht "Die verwundete Gesellschaft", Inhalt sind die Corona-Pandemie und deren Folgen – oder eben "Narben". Es soll in dem Prozess unter Vorsitz von Irmgard Griss, der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, um die Impfdebatte, "Verlassenheitsgefühle", die Belastung von Long-Covid-Patienten und Schülerinnen ebenso wie um wirtschaftliche Auswirkungen gehen. Eine Frage lautet: Wie verhältnismäßig waren die Schutzmaßnahmen?

Das Urteil, das am Ende steht, hat natürlich keine rechtlich verbindliche Kraft. Die Akteure sind aber echte, reale Betroffene und Beteiligte, etwa Ex- Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), der Verfassungsexperte Heinz Mayer, Mediziner Gerald Gartlehner oder Aktivistin und Kolumnistin Daniela Brodesser. Auf Anklägerseite wird Rechtsanwalt und Ex-Jetzt-Nationalratsabgeordneter Alfred Noll sie befragen. Zu besprechen gibt es über die naheliegendsten Themen hinaus genug weitere: Wie sehr hat das Agieren in der Pandemie einen Vertrauensverlust in die Politik befeuert, eine Skepsis gegenüber Medien nach sich gezogen, Wissenschaftsskepsis Vorschub geleistet? Nicht nur "verwundet", sondern auch polarisierter als zuvor soll die österreichische Gesellschaft danach sein. Es soll eine "gesellschaftspolitische Grundsatzdiskussion" werden.

Los geht der erste Prozess am Freitagabend mit der Eröffnungssitzung (19.30 Uhr), am Samstag folgen zwei Fälle (11 und 15 Uhr), am Sonntag Fall 3 (11 Uhr) sowie die Schlusssitzung (17.30 Uhr). (Michael Wurmitzer, 24.5.2024)