So mancher Tiefseebewohner lässt schon rein optisch unweigerlich an außerirdische Lebensformen denken. Tiefsee-Anglerfische zählen definitiv dazu, sie stellen einige der ungewöhnlichsten Spezies unseres Planeten. Doch nicht nur das schräge bis furchteinflößende Aussehen dieser Tiere ist bemerkenswert: Manche Arten haben eine geradezu bizarre Fortpflanzungsstrategie entwickelt. Sie verschmelzen miteinander, und zwar buchstäblich und dauerhaft.

Anglerfisch
Groß werden bei Tiefsee-Anglerfischen nur die Weibchen (im Bild: eine Vertreterin der Art Himantolophus groenlandicus). Männchen erreichen oft nur etwa fünf Prozent der Körpergröße ihrer Artgenossinnen.
IMAGO/Avalon.red

Die Verbindung auf Lebenszeit läuft bei diesen Tiefsee-Anglern, die üblicherweise in Meerestiefen von 1000 bis 4000 Metern zu finden sind, in etwa so ab: Treffen geschlechtsreife Partner aufeinander, beißen sich die sehr viel kleineren Männchen zunächst an den Weibchen fest. Im Lauf der Zeit verwachsen die Tiere dann miteinander, bis ein gemeinsamer Blutkreislauf entsteht. Das Männchen wird zu einem samenspendenden Parasiten und ist von nun an vollständig von seiner Partnerin abhängig, es lebt gleichsam als externer Wurmfortsatz des Weibchens weiter.

Männlicher Anhang

Dabei muss es nicht unbedingt bei einem einzigen Männchen bleiben, auch Weibchen mit mehreren männlichen "Fortsätzen" wurden schon dokumentiert. Die Verschmelzung wird für die Männchen im Lauf der Zeit noch kostspieliger: Sie verlieren ihre Organe und schließlich ihr Gesicht. Immerhin gibt es aber auch Trennungen bei einigen Spezies dieser Tiefseefische. Manche Partner lösen sich voneinander, lange bevor es zum totalen Gesichtsverlust kommt.

Biologinnen und Mediziner interessieren sich seit langem für das Immunsystem dieser doch recht sonderbaren Tiere. Die Fische schaffen es offensichtlich, die gegenseitigen Abstoßungsprozesse bei der Gewebefusion, wie sie etwa aus der Organtransplantation bekannt sind, zu umgehen. Ein genaueres Verständnis dieser Fähigkeit könnte das Potenzial für medizinische Behandlungen bergen, etwa bei Menschen mit Immunerkrankungen.

Flucht in die Tiefe

Warum sich die ungewöhnliche Fortpflanzungsweise mancher Tiefsee-Angler aber überhaupt entwickelt hat, beleuchtet nun ein internationales Forschungsteam im Fachblatt Current Biology. Demnach könnten der Sexualparasitismus und weitere Merkmale den Tieren dabei geholfen haben, die Tiefsee überhaupt zu erobern – und zwar vor dem Hintergrund einer globalen Katastrophe: Vor rund 55 Millionen Jahren kam es zu einer extremen Erderwärmung und Versauerung der Ozeane, die ein Massenaussterben auslöste. Zu dieser Zeit dürfte es bei den Tiefsee-Anglerfischen zu rapiden Anpassungen gekommen sein, die ihnen die Migration aus seichteren Gewässern und ein Leben in der rettenden Tiefsee erlaubten.

Ein extrem seltener Fund sorgte vor einigen Tagen im US-Bundesstaat Oregon für Aufsehen: Ein pazifischer Fußballfisch (Himantolophus groenlandicus) wurde angespült.

"Unsere Ergebnisse zeigen, wie sich die Tiefsee-Angler aus Vorfahren entwickelt haben, die mit modifizierten Flossen über den seichten Meeresboden liefen", sagt Chase D. Brownstein von der Yale University, einer der Studienautoren. "Unsere Daten zeigen, dass das erst in jüngerer Zeit passierte, als angenommen – erst nach dem Aussterben der Dinosaurier." Nach der Wanderung in die Tiefsee kam es demnach zu einer rasanten Diversifizierung dieser Fische, die sich unter völlig neuen ökologischen Bedingungen abspielte. Eines der neu auftretenden Merkmale dürfte die Artenvielfalt der Tiefsee-Angler begünstigt haben: der Sexualparasitismus.

Lücken im Stammbaum

Für ihre Studie rekonstruierten die Forschenden die Evolutionsgeschichte der Tiefsee-Angler. Dazu analysierten sie die genetischen Daten von mehr als 100 Spezies und verglichen heute lebende Tiere mit fossilen Funden. Einen eindeutigen Stammbaum zu erstellen gelang zwar nicht, da sich die verschiedenen Linien so schnell voneinander entfernten, dass die Beziehungen nicht vollständig geklärt werden konnten. Das Team fand jedoch Hinweise darauf, dass die Ursprünge des sexuellen Parasitismus mit dem Übergang in die Tiefsee zeitlich zusammenfielen.

Furchterregender Tiefsee-Anglerfisch mit geöffnetem Maul und prominenten Zähnen.
Auch die Art Caulophryne jordani setzt auf Sexualparasitismus.
imago/Bluegreen Pictures

Genau genommen entstand diese Fortpflanzungsstrategie aber aus der Kombination mehrerer unterschiedlicher Merkmale, die sich bei den Fischen entwickelten, wie die Forschenden schreiben. Erst der extreme Geschlechts­dimorphismus mit viel kleineren Männchen sowie die genetischen Änderungen, die das beispiellose Immunsystem der Tiere hervorbrachten, machten das parasitäre Liebesleben möglich.

Eine recht naheliegende Hypothese für das Aufkommen dieser ungewöhnlichen Fortpflanzungsmethode gibt es auch: In den dunklen Tiefen der Weltmeere trifft man den Richtigen oder die Richtige nicht gerade oft. Wer das Glück einer passenden Begegnung hat, lässt es nicht so leicht wieder los. "Es wird angenommen, dass sexueller Parasitismus für das Leben in der Tiefsee, dem größten und gleichförmigsten Lebensraum der Erde, von Vorteil ist", sagt Brownstein. "Sobald ein Individuum in dieser riesigen Weite einen Partner gefunden hat, ermöglicht das eine dauerhafte Bindung, die ein entscheidender Vorteil zu sein scheint." Für Partnerwechsel oder Bindungsängste bleibt da jedenfalls wenig Spielraum. (David Rennert, 23.5.2024)