Elisabeth Schweeger hat die künstlerische Leitung der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut inne und ist sich sicher, dass ein buntes Zimmer in ihrer Arbeits- und Schlafwohnung sie nur ablenken würde.

"Es schaut nicht so aus, aber ja, das ist mein Wohnzimmer. An der Möblierungsdichte kann man gut ablesen, wie viel Zeit ich heuer zum Wohnen habe und wie sich Wohnen in Bad Ischl für mich definiert: Lesen, Networken, Organisieren, Koordinieren und Aufstellen von Projekten. In der Mitte steht ein alter Fernsehtisch, zum Ablagemöbel zweckentfremdet, Glasplatte drauf, fertig.

Schweeger sitzt an einem Schreibtisch mit Glasplatte in einem ansonst leeren Raum. Auf dem Tisch liegen Bücher, die Wände sind weiß, der Boden aus rotstichigem Holz.
Kulturhauptstadt im Kopf: Elisabeth Schweeger im "Nichtwohnzimmer" ihrer Arbeitswohnung in Bad Ischl.
Herman Seidl

Rundherum ist alles weiß. Ich könnte niemals in einem bunten Zimmer mit Kunst an den Wänden arbeiten, das würde mich ablenken und geistig fertigmachen. Meine Kulturhauptstadt ist im Kopf.

Eigentlich wohne ich ja seit Ewigkeiten in Wien, das hier ist eine reine Arbeits- und Schlafwohnung. Gefunden habe ich die Wohnung im Internet. Soviel ich weiß, war das früher mal ein Wohnheim, errichtet irgendwann in den 1950er-Jahren. Die Wohnung ist hell, ich schaue hinaus auf den Kurpark, direkt vor meinem Fenster ist die alte Oscar-Straus-Villa, was will man mehr. Ich habe eine tolle Küche, obwohl ich eh keine Zeit habe zu kochen, ein Nichtwohnzimmer und ein Schlafzimmer mit Bett. Und das ist ein Luxus, denn ich habe als Intendantin und Kuratorin schon oft auf Luftmatratzen wohnen müssen.

Zwei bunte Figuren im Renaissance-Stil stehen vor einem Toaster und einer Schreibtischlampe.
Elisabeth Schweeger ist mal da, mal dort. Ihr berufliches Zuhause ist dort, wo sie gerade tätig ist.
Herman Seidl

Spannend finde ich, wie sich der eigene Zuhause-Begriff im Laufe des Lebens immer wieder verändert, denn ich bin ja eine Straßenkötermischung aus Wien, Tirol, Vorarlberg und Montenegro, die Familie ist überall, und ich selbst bin auch mal da, mal dort. Ich denke, mein privates Zuhause ist Wien, mein berufliches und künstlerisches Zuhause aber ist immer dort, wo ich gerade tätig bin. Im Moment also Bad Ischl.

Im 19. Jahrhundert, muss man wissen, hat das Salzkammergut Europa tief geprägt. Es war ein Kunst-, Kultur- und Salzhandelszentrum, ein Epizentrum jüdischer Lebenskultur. Brahms, Bruckner, Wittgenstein, Girardi, Nestroy, Lehár, Tauber, Herzl, Straus mit einem S, Strauss mit Doppel-s und sogar Mark Twain, sie alle waren hier. Bad Ischl ist mehr als nur Kaiser und Zauner – wobei, nichts gegen Zauner, eine famose Konditorei, Zaunerstollen, einfach lecker. Ich würde sagen: In Bad Ischl ist man gezwungen, sich mit unterschiedlichen, schönen und hässlichen Facetten österreichischer Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen.

Auf einem Fensterbrett liegen Fotos von einer Ausstellung, daneben ein Schild mit der Aufschrift:
Das private Zuhause von Elisabeth Schweeger ist in Wien. Im Laufe ihres Lebens hat sich der Zuhause-Begriff aber immer wieder verändert.
Herman Seidl

Als man mir die Leitung der Europäischen Kulturhauptstadt angetragen hat, war klar: Da will ich hin! Ich habe für einen Job, den ich annehme, fünf Kriterien, die mir wichtig sind, und mindestens drei davon müssen erfüllt sein. Sie lauten: Passt die Arbeit? Ist das Umfeld okay für mich? Wie kann ich das Publikum miteinbeziehen? Wie sieht die Kommunikation mit der Presse und der Politik aus? Und was kann ich selbst aus dem Job lernen? Im Fall von Bad Ischl war meine Vermutung, dass alle fünf Kriterien hoch erfüllt werden. Und das wurden sie auch.

Das Programm der Kulturhauptstadt Salzkammergut liegt in Buchform auf dem Glastisch.
Das Haus, in dem Elisabeth Schweeger ihre Arbeitswohnung hat, war früher einmal ein Wohnheim. Dass sie ein Bett hat, nennt sie einen Luxus, "denn ich habe als Intendantin und Kuratorin schon oft auf Luftmatratzen wohnen müssen".
Herman Seidl

Kunst, das ist die Aufforderung, sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Und mit der Europäischen Kulturhauptstadt wollen wir alle, die wir hier tätig sind, die Politiker und Politikerinnen dazu bringen, das Salzkammergut mit einer anderen Brille wahrzunehmen und das enorme Potenzial dieser Region anzuerkennen. Ein Freund von mir hat mir vor ein paar Monaten ein Bild geschenkt, so einen richtig kitschigen Ölschinken von August Müller: Mann und Frau im herbstlichen Wald, weißes Tuch in der Hand, es fließen die Tränen. Das Bild trägt den Titel Abschied aus dem Salzkammergut. Es hängt quasi als permanente Warnung im Wohnzimmer. Von genau diesem Bild müssen wir uns verabschieden.

Schweeger zeigt das Gemälde, das sie im Text beschrieben hat.
Das Bild "Abschied aus dem Salzkammergut" hängt im Wohnzimmer als Warnung, sagt Schweeger – von diesem Bild der Region müssten wir uns verabschieden.
Herman Seidl

Wenn meine Arbeit hier beendet ist, möchte ich für ein paar Wochen nach Patagonien. Da ist es still und menschenleer, und die Pinguine reden einem nicht drein, sondern liegen einfach nur auf dem Felsen oder watscheln durch die Gegend. Das will ich auch, bevor ich als unruhiger Geist wieder in mein nächstes Projekt eintauchen werde." (PROTOKOLL: Wojciech Czaja, 27.5.2024)