Mit Clownsnase durch den Dreck des politischen Zeitgeschehens wühlen: das Aktionstheater Ensemble.
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"Schön, die Natur kann viel mehr als das Theater", sagt Schauspieler Benjamin Vanjek, zeigt auf die Wolkenmeer-Videoprojektion und stapft frustriert über die Bühne. Atemlos stößt er hervor, was seine Mama sagt, wenn er ein halbes Jahr wieder kein Engagement hat. Er schläft halt aus, und dann regnet es. Wofür er das überhaupt mache, fragt er sich und das Publikum, weil in 50 Jahren wird eh alles egal sein.

Es ist ein abrupter, direkter Start, mit dem die Uraufführung von Martin Gruber und seinem Aktionstheater Ensemble beginnt. Seit 35 Jahren befragt das Ensemble die Gegenwart und bringt diese ganz besonderen Abende auf die Bühne. Seit Jahren gilt das Ensemble als "schnelle politische Eingreiftruppe". Zum 35. Jubiläum, was streng genommen kein richtiges Jubiläum ist, feiern Gruber und sein Ensemble das Theater, ihr Theater, ihre eigene Theaterform.

All About Me. Kein Leben nach mir ist eine Koproduktion mit dem Vorarlberger Landestheater, dem Festival Bregenzer Frühling und dem Wiener Theater am Werk. Am Donnerstag feierte es Uraufführung im Landestheater Bregenz. Und ja, es ist eine Feier – im Programmheft sind Gratulationen vom Bundespräsidenten abwärts und lobende Pressestimmen abgedruckt.

Suche nach dem Glück

Sechs Personen suchen auf der Bühne nach sich und dem Glück, arbeiten sich an den Problemen der Welt und ihren Überforderungen der Zeit ab und kommen aus dem Um-sich-selber-Kreisen nicht heraus. Gruber und sein Ensemble – Isabella Jeschke, Andreas Jähnert, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanjek, dazu vier Musiker – lassen persönliche Empfindlichkeiten auf Weltpolitik treffen. Ein rasend schneller Strom, vorgetragen in atemlos-gepresstem, lakonischem Duktus. Die roten Clownsnasen, die sich die sechs überstreifen, die dann aber auch einmal schief auf der Stirn oder um den Hals hängen, suggerieren, dass sich hier nichts und niemand ernst nimmt. Doch das stimmt natürlich nicht.

Von den Unzulänglichkeiten des Theaters, von geplatzten Karriereträumen (sein schönster Theatermoment: als "Lebkuchenmann" im Weihnachtsmärchen in Bregenz, erzählt Andreas Jähnert und singt den furchtbaren Ohrwurm) geht es schnell zu Engeln und Moos, Seele und Furz, Klimawandel, Rechtsruck, Kinderlosigkeit, Kuchen, Krieg. Wie immer beim Aktionstheater werden vorgeblich persönliche, banale Anekdoten hart geschnitten mit den großen Themen, mit Musik und mit Choreografien aus wiegenden Schritten und zögernden Gesten.

Eine Nummernrevue der Einsamkeiten und der Verletzlichkeiten, ein Gefühls-Seelen-Striptease. Das ist unterhaltsam und anrührend. Und geht unter die Haut, wenn Tamara Stern erzählt, sie würde die Welt ohne das Theater nicht ertragen, manchmal helfe es, seinen Schmerz einfach hinauszuschreien, bis nichts mehr da sei. Sie schreit. Es klingt hebräisch. Und plötzlich wird aus Witz Ernst, ist da der Schmerz des Kriegs, aller Kriege. Über die Videoprojektionen an den Wänden laufen Tränen.

All About Me. Kein Leben nach mir ist eine Art Best-of 35 Jahre Aktionstheater Ensemble. Martin Gruber zeigt: Seine Art von Theater funktioniert auch heute noch. (Julia Nehmiz, 24.5.2024)