Nils Frahm, versunken in die Welt elektronischer Klänge, die der Hamburger mit seinen Klavierideen mixt.
IMAGO/ZUMA Wire

Er hört gern Conlon Nancarrow, jenen US-Komponisten, der auch für rasendes Selbstspielklavier Stücke schrieb. Auch der Klassiker der Avantgarde György Ligeti befindet sich in seiner Hörzone wie auch Musikerfinder John Cage, der die Emanzipation von Geräusch und Stille originell propagierte.

Gleichzeitig aber findet der Hamburger Nils Frahm, es sei die Eingemeindung seiner Musik in den Trend der Neoklassik unpassend. Tatsächlich hat dies etwas von einem – natürlich marketingmäßig lukrativen – Missverständnis. Es verzwergt Frahm zum Bewohner jenes Vorzimmers, in dem junge Hörende an die Klassiker der Klassik herangeführt werden. Im Hauptraum würden dann Größen wie Beethoven und Bruckner warten. Im Guardian wurde Frahm einst aber gar schon als "Neuerfinder der Klassik" bezeichnet.

Sein Tag des Klaviers

Er selbst allerdings fühlt sich eher der Popkultur und dem Underground zugehörig, auch wenn er am Wochenende im Linzer Brucknerhaus (25.5.) und im Wiener Konzerthaus (26.5.) auftritt. Zwar hat er 2015 einen speziellen Klaviertag ausgerufen, den Piano Day, welcher am 88. Tag eines Jahres begangen wird, was ein Verweis auf die Anzahl der Klaviertasten ist. Nur allerdings, weil er Klavier spielt, ein Retter der Klassik? Weder er noch das altehrwürdige Genre haben es nötig.

Wer Nils Frahm live gehört hat, erkennt, dass hier einer seine individuelle Welt baut, eine klangmalerische Zwischenwelt, in der er nicht nur vom Klavier eingekreist wirkt. Da sind auch Fender Rhodes und einige Synthesizervarianten zugegen. Auch arbeitet Frahm mit Samplings und Loops, wenn er sich langsam mit langen Tönen und freundlichen Kadenzen eingroovt, um schließlich auch einmal ins Improvisatorische zu kippen.

Sein eigenes Clubbing

Sein Stilmix, der viel mit repetitiver Minimal Music und Ambient zu tun hat, wirkt dabei authentisch und unprätentiös – wie Frahm selbst. Fremd ist ihm dieser Gestus eines unter Kreativschmerzen entrückt produzierenden Großkünstlers. Anders die bekanntesten Vertreter der Neoklassik: Loungeartige Klangwolken und Meditationsmusik finden sich etwa bei Max Richter oder Ludovico Einaudi pathetisch zu Meisterwerken hochgelobt. Seine Ideenbescheidenheit präsentiert etwa Einaudi am Klavier versunken, als entrücktes Medium im Schaffensrausch, obwohl er dabei oft nur musikalische Basisbausteine in die Tasten haucht.

Frahm hält sich von solch unfreiwilligen Klassikkarikaturen fern. Seine bisweilen epischen Stücke sind Atmosphären, die in kleine Spontanexkurse und elektronisch befeuerte Grooves münden. Entrückt wirken kann er, aber die Haltung bleibt frei von anmaßendem Klassikpathos, Frahm wirkt wie ein Instrumentalist bei seinem privaten Soloclubbing.

In Zeiten des Streamings, das die Ungeduld des Hörens befeuert, den schnellen Kontakt zum Refrain, ist seine Welt fast eine Gegenwelt der Entschleunigung und der Besinnung auf das Hören als solches. (Ljubiša Tošić, 24.5.2025)