Demonstration für Transrechte.
Werden Forderungen von Transpersonen oder nichtbinären Menschen laut, holt man sich Scheinargumente aus den 1950er-Jahren.
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Wenn Menschen wie die Künstler:innen Nemo oder Maia Kobabe eine breite Bühne betreten, lassen Hass und Häme nicht lange auf sich warten. Nemo hat bekanntlich den heurigen Song Contest gewonnen, von Maia Kobabe wurde soeben ein vieldiskutierter Comic übersetzt.

Beide sind nonbinär, sie definieren sich weder als nur männlich oder nur weiblich. Mehr braucht es nicht, und es hagelt in Onlineforen oder Social Media Kommentare wie "nonbinär – da lese ich gar nicht weiter" oder es heißt, sie hätten "Frauen und Mädchen auf dem Gewissen".

Es ist nicht die große Masse, die so etwas von sich gibt, aber es ist ein konstanter Hass und streut Misstrauen, das sich seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft bahnt. Mit Scheinargumenten, die schlicht Vorurteile sind. Mit angeblichen Sorgen, die nur Überlegenheitsfantasien ausdrücken – und die sich in autoritären Staaten bereits in konkreten Gesetzen gegen die Sichtbarkeit aller, die nicht Hetero- und den klassischen Geschlechterrollen entsprechen, niederschlagen.

Stillschweigen statt "Werbung"?

Zum Beispiel der Vorwurf der "Propaganda". Dieser beinhaltet, allein durch die Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit oder Nonbinarität würde aggressive Werbung dafür gemacht werden. Klingt altbekannt? Ist es auch, denn genau so ging schon die homophobe Erzählung aus den 1950er-, 1960er- oder 1970er-Jahren: Die Sichtbarkeit von Homosexualität bedrohe demnach die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft. Panik! Deshalb bitte, liebe Lesben und Schwule, wenn schon, dann still und heimlich.

In Russland belässt man es nicht bei einer homophoben "Bitte", sondern installierte 2013 ein Gesetz gegen "Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen". Sich als queere Person nicht zu verstecken ist somit ebenso strafbar wie eine positive Darstellung, etwa in Büchern, vom queeren Leben. Man könnte meinen, dieses unsägliche "Sichtbarkeit steckt an" wäre endlich passé. Aber nein, es erlebt derzeit durch die stärkere öffentliche Präsenz von nichtbinären Menschen, Transpersonen oder intergeschlechtlichen Menschen auch in nicht autokratisch geführten Staaten ein Revival.

Das kürzlich auf Deutsch erschienene Buch Gender Queer. Eine nonbinäre Biografie ist dafür ein gutes Beispiel. Es rief Rechte bis Ultrakonservative auf den Plan, die für Büchereien, Buchhandlungen oder Schulen eine Zensur des Buches forderten – und sie hatten oft Erfolg. Gender Queer ist derzeit das meistzensierte Buch der USA. Auch in Europa wird Kobabes Comic angefeindet. Allein weil darin Kobabes Geschichte erzählt wird, eine Geschichte einer harten Identitätsfindung angesichts einer Genderdysphorie. Eine Identitätsfindung, die für Kobabe aber letztlich befreiend war. Und womöglich auch für andere. Nein, trotzdem ist es keine Werbung – es ist kein Stillschweigen, und das ist mehr als wünschenswert.

Doch hinter dieser "Werbung", die manche dennoch darin sehen, stehe Frauenhass. So lautet ein zweites angebliches Argument. Nichtbinäre würden alles Weibliche hassen, Transmänner sowieso, und Transfrauen würden "echte" Frauen, also Cis-Frauen, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren, bedrohen.

Interessanterweise ist dies vor allem in Social Media oft von Accounts zu lesen, die nie oder kaum über frauenpolitische Themen posten, sondern vor allem Rants gegen Transmenschen – insbesondere Transfrauen. Denn die seien nur trans, so heißt es, um sich Zugänge zu Frauenräumen zu verschaffen und dort mit sexualisierter Gewalt gegen Cis-Frauen zu wüten. Hierzu werden Fälle von Gewalttaten durch Transpersonen zusammengetragen und herumgeschickt.

Systematische Gewalt

Die britische Feministin Laurie Penny sagt dazu: "Einer marginalisierten Gruppe Menschenrechte zu verwehren unter dem Vorwand, dass ein Mitglied der Gruppe eines Tages eine Straftat begehen könnte, ist der Kern von Vorurteilen."

Systematische Gewalt gegen Cis-Frauen geht im Übrigen nicht von Minderheiten wie Transmenschen aus, sondern von Cis-Männern. Und systematische Gewalt gibt es auch gegenüber sexuellen Minderheiten, Nonbinären oder Transmenschen. Staaten, die tödliche Gewalt an diesen Gruppen erfassen, registrierten in den vergangenen zwölf Monaten 327 Tötungsdelikte. Über die Hälfte der transgeschlechtlichen, nichtbinären Menschen gibt laut der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte an, Suizidgedanken zu haben.

Wir gewinnen für Frauenrechte nichts, wenn kleinen marginalisierten Gruppen die Solidarität versagt wird. Im Feminismus ist der Kampf gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht zentral – und dafür braucht es den Zusammenhalt aller, die ihre Liebe und ihr Leben unabhängig von ihrem sozialen Geschlecht und biologischen Geschlechtsmerkmalen leben wollen und auch müssen. Alles andere ist Unterdrückung. (Beate Hausbichler, 27.5.2024)