Angélica Liddell thematisiert bei den Wiener Festwochen auch den Stierkampf.
Christophe Raynaud de Lage, Wiener Festwochen

Eine Frau tritt auf, die weder nett noch optimistisch ist und schon gar nicht gefrostet wie jene, die vor den Verunsicherungen der jüngsten Zeit ins Netz und nach rechts ausweichen. Diese Figur ist die spanische Theatervirtuosin Angélica Liddell, Protagonistin ihres Stücks Liebestod – Der Geruch von Blut geht mir nicht aus den Augen, dessen Österreich-Premiere am Sonntag bei den Wiener Festwochen im Volkstheater stattfand.

Um es gleich vorwegzunehmen: Am Ende gab es großen Applaus für diese Hymne an die Poesie kompromissloser Leidenschaft, die am Anfang ein paar Flüchtende und einen Ohnmachtsanfall in den vorderen Sitzreihen bewirkte, weil Liddell sich da an Beinen und Handrücken ritzt, was sie ein wenig Blut kostet.

Das Bittere und Zornige

Es ist Herzblut, ans Licht geholt von einem unverdrängten Daseinsschmerz, wie ihn Emil Cioran (Vom Nachteil, geboren zu sein) kompromisslos zu Papier gebracht hat. Wiederholt zitiert Liddell den rumänischen Philosophen, aber auch unter anderen Rimbaud. Und sie thematisiert den Stierkampf in jener spirituellen Hingabe, in der ihn der große Torero Juan Belmonte ausgeübt hat – als eine Kunst, wie sie sich in der todeserleuchteten Liebe zwischen Tristan und Isolde auf Richard Wagners Bühne zur höchsten Form verwirklicht.

Wer in der Premiere fürchtete, aus Liddells Liebestod würde ein in dramatischer Zeitlupe abgefeuerter Schuss in den Ofen des Selbstmitleids, aus dem dann eine arrogante Publikumsbeschimpfung herauspufft, lag glücklicherweise daneben. Denn hier sind Liddells Monologe, verglichen mit jenen in früheren Arbeiten, zu komplexen Meisterwerken geworden. Deren lautpoetische Elemente lassen das Bittere und Zornige dieser Reden immer wieder in ironische Übertreibungen kippen.

Bärtiger in lila Rock

Niemals jedoch gestattet sich die Performerin die Billigkeit eines direkten Witzes. Ihre rhetorischen Orgien reizen zwar manchmal zum Lachen, aber das wirkt nicht so recht befreiend. Offensichtlich verschmitzt sind nur die Tableaux vivants zu Beginn des Stücks gemeint, in denen ein Bärtiger in lila Rock einmal mit einem Dutzend Katzen an der Leine posiert und danach scheu den Monolithen aus Kubricks Film 2001: A Space Odyssey berührt.

Danach allerdings setzt sich Liddell selbst in schwarzem Kleid an einen kleinen Tisch, der in eine Stierkampfarena gestellt ist. Sie trinkt tiefroten Wein, schneidet sich in die Haut und tunkt wenig später das über ihre Schienbeine laufende Blut mit hellem Brot auf, um dieses zu essen. Wein, Brot, Blut – kein Wunder, dass die Künstlerin auch ein Weihrauchgefäß schwenkt, und zwar im Angesicht eines lebensgroßen Stiers.

Katharsis funktioniert

Das passt zum Untertitel, Der Geruch von Blut geht mir nicht aus den Augen, einem Ausspruch von Francis Bacon, dem berühmten Maler des schreienden Papstes. Im Verlauf seiner züchtigenden Reden entpuppt sich Liebestod letztendlich als zutiefst menschenzugewandtes Stück. Dessen Katharsis funktioniert, weil Liddell sich auch in einen Sturm der Selbstkritik hineinsteigert, der die instinktive Abwehr des Publikums tatsächlich in eine Zuwendung zu verwandeln vermag.

Angesichts des Liebestod-Stiers könnte man an den Rodeo-Bullen in Florentina Holzingers Performance Apollon (2018) denken und daran, dass Holzinger bei den Festwochen bald ihr neues Stück Sancta präsentieren wird. In Liddell hat die provokante, wenn auch noch etwas zu angepasste Wienerin ihre Meisterin gefunden. Auf jeden Fall kann die Spanierin ihr Publikum souveräner aus dem Sumpf der verstörten Gegenwartskultur heraus und in echte Konfrontationen leiten. (Helmut Ploebst, 27.5.2024)