Polizisten haben ein Gewaltmonopol. Doch wenn dieses übermäßig und unangemessen zum Einsatz kommt, kann es zu rechtswidrigen Handlungen führen, die Konsequenzen für die betreffenden Polizisten nach sich ziehen können. "Das ist absolut ernst zu nehmen. Das ist eine Behörde, die uns zu beschützen hat, die unsere Verfassung zu beschützen hat und die von uns allen bezahlt wird", erklärt STANDARD-Redakteurin Colette Schmidt.

Das Gespräch fand im Rahmen des Journalismusfests Innsbruck 2024 statt. Beim Panel "Die Polizei, dein Freund und Helfer? Recherchen zu Polizeigewalt und mangelnder Kontrolle" diskutierten dort neben STANDARD-Redakteurin Colette M. Schmidt Hannah Espín Grau, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt a. M., und Gerhard Stix vom Landespolizeikommando für Tirol. Schmidt wurde erst kürzlich mit dem Concordia-Preis in der Kategorie Pressefreiheit ausgezeichnet.

STANDARD-Redakteurin Colette M. Schmidt beim Journalismusfest Innsbruck.
STANDARD-Redakteurin Colette M. Schmidt beim Journalismusfest Innsbruck.
Foto: Rachel Mabala / Journalismusfest Innsbruck

Unabhängig ermitteln

Medien in Österreich berichten immer wieder über Vorfälle extremer Polizeigewalt, die für Aufsehen in der Bevölkerung sorgen. Doch es ist schwierig, festzustellen, ob tatsächlich Grenzen überschritten werden, da auch bei diesen Vorfällen Polizisten selbst ermitteln. Der Corpsgeist innerhalb der Polizei erschwert eine objektive Beurteilung. Selbst mit Videoaufnahmen verlaufen Ermittlungen häufig im Sand. "Man braucht ganz dringend eine externe Prüfstelle mit einer Richterin oder einem Richter und Ermittlern, die nicht für die Polizei arbeiten und dadurch wirklich unabhängig sind", so Schmidt.

Seit kurzem gibt es eine eigene bundesweit zuständige Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei. Schmidt merkt an, dass diese Stelle aber nicht vollständig unabhängig agiere. Für eine konkrete Beurteilung fehlen jedoch noch Erfahrungswerte.

Beamte identifizieren

Opfern, die rechtswidriges Verhalten seitens der Polizei erfahren, fällt es oft schwer, die Beamten im Nachhinein zu identifizieren. Eine Kennzeichnungspflicht, wie sie in den meisten Ländern Europas bereits umgesetzt ist, würde hier Abhilfe schaffen. Polizisten machen sich dadurch klar identifizierbar. "Es gibt hier die gegenteilige Meinung, dass Polizisten anhand der Nummer oder des Namens verfolgt werden könnten", so Schmidt.

Das größte Hindernis einer Einsetzung der Kennzeichnungspflicht sei ihrer Meinung nach aber die Tatsache, dass die Verantwortlichen einfach nicht wollen. Die Argumente der Kritiker seien für sie nicht sehr überzeugend.

Schutz oder Überwachung?

Stimmen, die nach verpflichtenden Bodycams für Polizisten rufen, werden immer lauter. Dadurch würden die Einsätze filmisch dokumentiert und die Ermittlungen erleichtert. Die österreichische Polizei hat bereits Geräte im Einsatz, die Nutzung ist jedoch freiwillig. Schmidt spricht sich für eine verpflichtende Einschaltung aus: "Es ist sonst völlig sinnlos, denn: Die Polizisten, die übermäßige Gewalt anwenden, werden sie dann auch nicht einschalten."

Gegner der Bodycams kritisieren, dass die permanente Aufnahme zu einem Überwachungsstaat führe und die Kommunikation zwischen Polizei und Bürgern bei einer ständig laufendenden Kamera behindert würde. Zudem könnten vertrauliche Aufnahmen missbraucht werden oder in falsche Hände geraten. Die Bedenken der Kritiker hält Schmidt für berechtigt, jedoch merkt sie an: "Auch jetzt können von Bürgerinnen und Bürger Aufnahmen weitergegeben werden. Diese Gefahr gibt es immer. Aber damit das nicht passiert, braucht es klare Regeln, was mit dem Videomaterial passiert und wann es auch wieder gelöscht wird."

Polizisten als Chauffeure im Einsatz

Seit Jahren kämpft die Polizei gegen Personalmangel an. Daraus resultieren massive Überstunden für die Beamten. Allein in Wien wurden vergangenes Jahr 2,2 Millionen Überstunden verzeichnet – die höchsten Zahlen seit 2018. Colette M. Schmidt ist überzeugt, dass dieser Zustand exzessive Polizeigewalt begünstigt: "Die Arbeitsbedingungen sind vor allem für Straßenpolizistinnen und Straßenpolizisten schlecht. Die Überstunden sind eine Zumutung."

Allerdings sieht die Menschenrechtsexpertin das Problem nicht personell bedingt, eher strukturell: "Die Verurteilungen und somit auch die Kriminalität gehen zurück. Und dafür hätten wir eigentlich genug Polizisten und Polizistinnen. Es gibt aber viele Einsätze, die nicht effizient sind." Sie erinnert sich an den einen oder anderen Fall, wo Polizisten als Bodyguards oder Chauffeure für Spitzenpolitiker im Einsatz waren.

Hohe Dunkelziffer

2022 wurden in Österreich 300 Vorfälle überzogener Polizeigewalt gemeldet. Bei aktuell über 30.000 Polizisten im Einsatz wirkt die Zahl gering. Schmidt geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus: "Ich glaube, dass ganz viele, die so etwas erleben, gar nicht so weit kommen, dass sie sich beschweren, weil sie einfach keine Probleme wollen." Denn oft genüge bereits ein Wortgefecht aus, um mit einer Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt konfrontiert zu sein. In solchen Fällen haben Bürger die Möglichkeit, den Verteidigernotruf zu kontaktieren. Dieser bietet kompetente juristische Hilfe für festgenommene Beschuldigte. (Karina Gstaltmeyr, 27.5.2024)