Beschreibung psychotischen Bewusstseins: Rudi Widerhofer, Nina Reichert.

Foto: drama Graz/ Klammer
Als Koproduktion mit dramaGraz bringt das frisch renovierte Theater im Keller eine mehr als beeindruckende Realisierung von Sarah Kanes 4.48. Psychose in der zweisprachigen Fassung von Regisseur Ernst M. Binder (Deutsch von Durs Grünbein). Im letzten Werk der britischen Autorin, die sich 1999 jung das Leben nahm, einer hellsichtigen Beschreibung eines psychotischen Bewusstseins, werden Wahn, Erkenntnis und künstlerische Reflexion eins. Um 4.48 Uhr, wenn die Wirkung der Medikamente nachlässt, offenbart die klirrende Schlaflosigkeit den inneren Krieg, und die Depression äußert sich als die eigentliche Wahrheit. Regisseur Binder spaltet die komplexe Stimme des Ichs in drei Frauengestalten, die von Anita Gramser, Nadia Brachvogel und Ninja Reichert in ihrer Diversität großartig interpretiert werden. Als insistierenden Kontrapunkt setzt er den Text des Psychiaters (Rudi Widerhofer) im englischen Wortlaut dagegen und hebt das ungleichgewichtige Verhältnis von Arzt und Patientin durch dessen Nacktheit auf. Die professionelle Abgrenzung des Therapeuten, die medizinischen Zuschreibungen bilden genau jene Provokation des psychotischen Wesens, die es in seiner maßlosen Subjektivität als Bestätigung der eigenen Anti-Vernunft sucht und bekämpft. What do you offer? Aus scheinbaren Defiziten wie Angst und Scham werden Wut, List und schließlich der markerschütternde Schrei um Zuwendung. Die Sehnsucht geliebt zu werden, bleibt im leeren Bühnenraum von Carlos Schiffmann zurück. Josef Klammers dumpfer Herzschlagmusik kann man sich ebenso wenig entziehen wie der lichten Dunkelheit der Produktion. (frak /DER STANDARD, Printausgabe, 11.09.2007)