Radikal oder marginal? Ein STANDARD-Montagsgespräch über die latente Krise der Grünen

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Wien - "Seit der Pensionsreform müssen alle länger arbeiten. Auch Alexander Van der Bellen" - so weist Eva Glawischnig Spekulationen über einen Rücktritt des 63-jährigen grünen Parteichefs zurück. Mühsam hätten sich die Grünen Glaubwürdigkeit erarbeitet, meint die dritte Nationalratspräsidentin. Und Van der Bellen sei "ein Paradebeispiel" für diese Tugend.

Ob nicht ein Politiker, der "in Großvaterdimensionen entrückt ist", langsam abtreten sollte, hatte Standard-Kolumnist Gerfried Sperl zuvor zum Auftakt des Montagsgesprächs zur latenten Krise der Grünen gefragt. Seit der Wiener Gemeinderat Christoph Chorherr im Juni eine personelle Erneuerung gefordert hat, köchelt innerparteilich die Debatte. Jüngster Höhepunkt: das Streitgespräch zwischen EU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber und Parteistrategen Dieter Brosz im Standard: Voggenhuber prangerte "geheime Machtzirkel" und "fehlendes "Feuer" an.

"Voggenhuber ist der Geist, der stets verneint", sagt Glawischnig, "das soll er sich auch erhalten." So manche Kritik hält sie für "diskussionswürdig", doch der Vorwurf, bei den Grünen regiere ein demokratisch nicht legitimiertes "Küchenkabinett", sei schlicht "untergriffig". Es gäbe so viele interne Abstimmungen wie nie zuvor, versichert Glawischnig: "Da wird mit einer Polemik über Strukturen hinwegefahren", die gerade dazu dienten, Leute einzubinden.

Die Kritik an der mangelnden Leidenschaft kann Glawischnig eher nachvollziehen: "Die fehlt in der gesamten Politik." Allerdings sei dies auch der Preis für einen konstruktiveren Stil der Grünen, die nun keine reine Protestpartei mehr sein wollten.

"Ruhiger, angepasster, professioneller" seien die Grünen, knüpft der Meinungsforscher Peter Hajek an, "und auch erfolgreicher", weil sie nicht mehr als "Bürgerschreck"-Partei gelten würden. Allerdings sieht der Demoskop Probleme bei der "Transformation zur Mittelpartei" herandräuen.

"Die Grünen bringen wenige zuversichtliche Themen", meint Hajek, oft dominiere das "Rohrstaberl", nach dem Motto: Tu dies nicht, tu das nicht! Keine sonderlich populäre Position, denn Umweltschutz werde hierzulande nach dem Floriani-Prinzip betrachtet: Die Leute fänden das Thema super - aber nur, wenn es sie nicht selbst betreffe. "Ein bisschen mehr Populismus", empfiehlt Hajek den Grünen deshalb: "Man muss nicht päpstlicher als der Papst sein."

Energisch widerspricht dieser Ansicht Thomas Blimlinger, Vorsteher im siebten Wiener Bezirk, und zitiert als abschreckendes Beispiel Oskar Lafontaines berüchtigte Ausfälle gegen "Fremdarbeiter" in Deutschland. "Populismus muss nicht immer rechts sein", kontert Hajek.

Blimlinger, der als Neubauer Bezirksvorsteher 43 Prozent der Stimmen hinter sich eint, bleibt freilich dabei. Als Grüne müsse man sich nicht nur den Problemen stellen, sondern den Leuten auch "Wahrheiten zumuten", wie etwa: "In einem dicht verbauten Bezirk bedarf es keines Autos."

Der Kritiker Voggenhuber habe zwar oft Defizite, wenn es um die Umsetzung der eigenen Verbesserungsvorschläge gehe. Seine Forderung nach "mehr Radikalität" teilt Blimlinger aber: "Da hat Voggenhuber einfach recht."

Janina Hawelka, als Geschäftsführerin des Autohauses Hawelka so etwas wie ein natürlicher Gegner grüner Umweltpolitik, kann dem nicht zustimmen: "Man sollte nicht alles so radikal sehen, mir gefällt die Panikmache nicht". Das Auto werde, obwohl bei weitem nicht ärgster Luftverschmutzer, als "das Böse" abgestempelt, meint Hawelka und warnt vor "ad hoc"-Maßnahmen im Umweltschutz: "Man muss der Industrie Zeit geben, sich darauf vorzubereiten."

Emotionell wird die Debatte, als die Praxis der grünen Zentrale zu Sprache kommt, Abgeordnete per SMS zu briefen. Harmlose Infos oder verbindliche Sprachregelung? Eine vorgeschriebenes Wording sei "ein Mittel einer autoritären Partei", argumentiert Moderator Sperl - wogegen Parteivizechefin Glawischnig protestiert. Sie sei "dankbar", die jeweilige grüne Position zu einem aktuellen Thema per SMS zu bekommen. Mit "stalinistischen Methoden", wie von Kritikern unterstellt, habe das nichts zu tun.

Indirekt Recht gibt sie dem Moderator hingegen, als dieser zweimal auf den Zigarettenkonsum des grünen Parteichefs Van der Bellen anspielt ("Ein Kettenraucher, der grün ist, ist schon komisch"). Glawischnig: "Ich bin eh dafür, dass er aufhört." (Gerald John/DER STANDARD, Printausgabe, 19.9.2007)