"Wer beim Menschen spart, spart auch bei der Menschlichkeit."

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"Die Ärzte wurden vor ein paar Jahren aus dem Dialog ausgeschlossen", kritisiert der Präsident des Hausärzteverbandes, Christian Euler, selbst Hausarzt in Rust im Burgenland. Er will den Aktionstag am 8. November nützen, um seine Patienten, über die Konsequenzen, die sich durch die Reform des Gesundheitssystems ergeben, aufzuklären.

Im Gespräch mit derStandard.at tritt er für mehr Transparenz und Mitspracherecht der Ärzte bei Verhandlungen ein, fordert einen Dialog, bei dem nicht auf die Ärzte "geschissen" wird, und zeigt sich enttäuscht von der "verstrickten" Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky. Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.

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derStandard.at: Wird Ihre Praxis am 8. November geschlossen bleiben?

Euler: Ich bin Landarzt - der Donnerstag ist prinzipiell mein freier Tag. Ich habe aber vor, am 8. November im Sinne von Aufklärung zu agieren. Ich möchte einen kurzen Vortrag für meine Patienten in Rust über die Bedenken, die wir Ärzte haben, halten und die Vorgangsweise der Ärzte erklären.

derStandard.at: Der Streikbeschluss der Ärztekammer ist laut ÖGB-Präsidenten Hundstorfer vorschnell gefallen. Er findet, der Dialog soll gesucht werden.

Euler: Mich regt die Aufforderung zum Dialog furchtbar auf, denn die erste §15-Verordnung vor mehreren Jahren hat die Ärzte aus dem Dialog ausgeschlossen. Die Ärzteschaft hat in den Gesundheitsplattformen kein Gewicht. Uns zum Dialog aufzufordern ist also blanker Zynismus. Der Dialog findet nur gnadenhalber statt. Seit drei Jahren ist festgeschrieben, dass beim Dialog auf die Ärzte geschissen wird.

Wenn die Gesundheitsministerin mit dem Präsidenten der Ärztekammer verhandelt, dann ist das so eine österreichische Lösung: "Ja rufen Sie mich an, wir lösen das." Aber es geht darum, dass die festgeschriebenen Strukturen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen ein ernsthaftes Gespräch nicht zulassen und zwar mit Absicht.

derStandard.at: In einer Aussendung beschreiben Sie die Konsequenzen durch die Reform des Gesundheitssystems, etwa die Armutsfalle für chronisch Kranke oder die Ausbeutung der Angehörigen von Pflegeberufen. Was genau fordern Sie?

Euler: Ich will, dass kompetente Leute die Sache in die Hand nehmen und über Reformen im Gesundheitssystem nachdenken. Ich habe nichts dagegen, wenn die Sozialversicherung die eine finanzierende Hand ist. Weil dort gibt es Leute die wirklich kompetent sind, sicherlich mehr als die Landespolitiker.

Ich will, dass endlich einmal Kostenwahrheit auf den Tisch kommt. Es läuft ja alles auf Verschleierung hinaus. Ich fordere eine ehrliche Absicht und eine Diskussion mit offenem Ausgang. Wir inszenieren ja jetzt faktisch ein Frage-Antwort-Spiel, obwohl die Antwort schon feststeht: es muss eingespart werden, koste es was es wolle. Und gespart wird beim Personal. Wer aber beim Menschen spart, spart auch bei der Menschlichkeit: Die Burn-Out-Rate etwa beim Pflegepersonal ist ein Wahnsinn. Die Schwestern rennen auf hundert Prozent - jeden Tag, jede Stunde.

derStandard.at: Entspricht Gesundheitsministerin Kdolsky Ihren Vorstellungen von Kompetenz?

Euler: Ich glaube nicht, dass sie sehr viel Bewegungsspielraum hat. Sie ist zu verstrickt. Ich habe mir mehr erhofft, weil ich mir gedacht habe, dass ein Mensch, der als Arzt gearbeitet hat, einen klareren Blick haben müsste.

derStandard.at: Es gibt viele negative Stimmen zu den Ärztestreiks. Was sagen Sie zu den Befürchtungen des Patientenanwalts, dass der Streik "einzig und allein die Patienten" trifft?

Euler: Es wird am 8. November nicht schlimmer werden als an jedem Wochenende. Wir werden einen Bereitschaftsdienst aufrechterhalten und niemanden im Stich lassen, der dringend Hilfe braucht. Und das funktioniert seit Jahren - auch wenn die Gesundheitsministerin daran zweifelt. Es werden einzig und allein die Routine-Arbeiten hinten angereiht. Wenn sich Patienten in Not fühlen, werden sie behandelt.

derStandard.at: Können Sie nachvollziehen, warum der Aufschrei bei den Bürgern gerade dann so groß ist, wenn Ärzte streiken wollen?

Euler: Ich habe von meinen Patienten noch gar nichts gehört. Noch keiner hat irgendeine Sorge gehabt. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir hier am Land leben. Das Vertrauen, das die Patienten hier noch in die Ärzteschaft haben, lässt sich durch eine Streik- Ankündigung nicht erschüttern. Bürokraten allerdings, für die Vertrauen ein absolutes Fremdwort ist, lassen sich viel mehr verschrecken.

derStandard.at: Was wird sich nach dem 8. November ändern?

Euler: Nichts. Ich glaube nur, dass die Verantwortlichkeiten klar dargelegt sind. Aber die jetzt unterschriebene §15a-Verordnung wird für die nächsten sechs Jahre gelten. An der Marschrichtung wird sich nichts ändern, aber wir Ärzte werden sagen können, wir waren nicht dabei.

Wenn die Gesundheitsministerin sagt: "Das ist mit den Ärzten besprochen, die Ärzte sitzen mit an einem Tisch", dann steigt mir die Gänsehaut auf. Es stimmt nicht. Wir sitzen vielleicht alibihalber am Tisch, haben aber nichts mitzureden. Daran wird sich auch nichts ändern. (derStandard.at, 12.10.2007)