Stillstand in der Koalition: Kanzler und Vizekanzler ließen sich am Mittwoch beim Ministerrat gar nicht blicken.

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Beim Thema Schule regt sich nun parteiinterne Kritik am "Retro-Kurs" der ÖVP, Neugebauer als Verhandler sei das "falsche Signal".
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Wien - Gereizte Stimmung im Kanzleramt. Schon vor Beginn des wöchentlichen Ministerrats lieferte sich SPÖ-Sozialminister Erwin Buchinger ein Wortgefecht mit einem Adlatus von ÖVP-Wirtschaftsministers Martin Bartenstein. Als Buchinger später Interviews gab, funkte wieder eine Bartenstein-Mitarbeiterin dazwischen. "Ich rede jetzt einmal mit den Journalisten", motzte Buchinger zurück.

Nicht das einzige Scharmützel bei der großen Regierungsrunde am Mittwoch. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und sein Vize Wilhelm Molterer (ÖVP) verzichteten sogar auf ihren üblichen Auftritt vor den Medien - weil es keine nennenswerte Einigung gab, von der sie hätten berichten können.

Bloß die rote Unterrichtsministerin Claudia Schmied und der schwarze Wissenschaftsminister Johannes Hahn gaben über die verfahrene Situation bei der Schulreform Auskunft. Dabei sprachen die kleinen Gesten Bände über den Zustand der großen Koalition. Mit verschränkten Armen und versteinerter Miene stand Schmied neben ihrem "Mitbewohner" im Ministerium am Minoritenplatz.

Am Sonntag wollen Schmied und Hahn weiterverhandeln. Aus der ÖVP sickerte durch, dass auch ÖVP-Bildungssprecher Fritz Neugebauer an der Verhandlungsrunde teilnehmen werde. Hahn betonte, er und Neugebauer würden in dieser Angelegenheit "Hand in Hand" gehen. Schmied scheint von der Gegenwart Neugebauers weniger angetan: "Verhandlungspartner kann man sich eben nicht aussuchen", kommentierte sie knapp.

"Retro-Kurs"

Selbst in der ÖVP regt sich mehr und mehr Kritik an Neugebauer. Vor allem in Industriekreisen wird heftig über den - wie es heißt - "Retro-Kurs" der Partei genörgelt; die ÖVP setze mit Beamtengewerkschafter Neugebauer das "falsche Signal". Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl sagt im Gespräch mit dem Standard: "Wir wissen, dass die Differenzierung in der Schule viel zu früh erfolgt. Was wir brauchen, ist eine Bildungsevolution. Es gibt in der ÖVP genügend reformatorisches Potenzial." Es sei "absolut zulässig", Schulversuche zu den verschiedenen Modellen durchzuführen. Leitl: "Ich vertraue jetzt ganz auf Bildungsminister Hahn. Er ist ein moderner, unabhängiger Bildungspolitiker, und ich traue ihm zu, dass er eine entsprechende Regierungsvorlage macht." Erst dann sollten sich alle - Bildungssprecher, Personalvertreter, Eltern- und Schülervertreter - mit ihren Einwänden zu Wort melden.

Auf keinen grünen Zweig kommen SPÖ und ÖVP auch bei den Pensionen. Seit Sommer drängt Buchinger auf eine Verlängerung der so genannten Hacklerregelung, die Personen mit besonders langer Versicherungsdauer einen früheren Pensionsantritt erlaubt - und holt sich bei der ÖVP regelmäßig einen Korb.

Um nicht ganz mit leeren Händen dazustehen, arbeitete der Sozialminister einen Kompromiss aus: Statt der Perpetuierung der Hacklerregelung setzte er lediglich ein paar geringfügige Verbesserungen für einzelne Pensionistengruppen auf die Agenda. Abermals vergeblich, wie sich nun beim Ministerrat herausstellte. "Die ÖVP sagt konsequent Nein", klagt Buchinger. "Weil einfach keine Notwendigkeit besteht", argumentieren ÖVPler. Sozialdemokraten hingegen vermuten, dass der Koalitionspartner den "linken" Buchinger justament anrennen lassen wolle.

In die Länge dehnte sich das obligate Frühstück zwischen Kanzler und Vize vor dem Ministerrat vor allem wegen der im Tabakgesetz geplanten Beschränkungen für Raucher. Auch hier keine Einigung. Dabei sollten sich Gusenbauer und Molterer in dieser Frage durchaus verstehen: Beide haben offiziell zu rauchen aufgehört. (von Andrea Heigl, Gerald John und Walter Müller/DER STANDARD, Printausgabe, 25.10.2007)