Vizekanzler Wilhelm Molterer sagt Ja zu Schulversuchen auf Länderebene, aber Nein zu einem Einheitsmodell.

Fotos: DER STANDARD/Corn
Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer ist dezidiert gegen eine Gesetzesänderung für die "Neue Mittelschule". Michael Völker sprach mit ihm über Schul- und Asylpolitik.

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STANDARD: Wie es ausschaut, lässt die ÖVP die SPÖ in der Schulpolitik ausrutschen. Es gibt keine Zustimmung der ÖVP zu einer Gesetzesänderung, damit wird die „Neue Mittelschule“, früher Gesamtschule genannt, nicht kommen. Ist das Ihr letztes Wort?

Molterer: Wir haben hier eine sehr klare Position, die wir von Beginn an unverändert artikuliert haben: Ja, wir wollen auch Neues probieren. Wenn es im Sinne der Wahlfreiheit und im Sinne der Erfahrungssammlung notwendig ist und es gute Argumente dafür gibt, dann soll man diese Ideen versuchen. Aber wir haben auch sehr klar dazu gesagt, es kann nicht unter Aufgabe von zwei Prinzipien gehen. Erstes Prinzip ist für uns die Wahlfreiheit. Zweitens, das darf nicht zulasten der Mitbestimmung der Schulpartner gehen. Wir sind bereit, auf Basis des bestehenden Schulversuchsparagrafen alle Modelle, die die Bundesländer vorschlagen, zu verwirklichen. Es muss in jedem Fall aber die Mitsprache von Eltern, Schülern und Lehrern gesichert sein. Ich halte nichts davon, von oben etwas zu verordnen, was unten nicht gewollt wird.

STANDARD: Bildungsministerin Claudia Schmied argumentiert, dass ohne Gesetzesänderung der rechtliche Rahmen für einen breiten Schulversuch fehlt, die „Neue Mittelschule“ daher nicht möglich ist. Außerdem würden zu viele Schulpartner, nämlich auch jene, die gar nicht betroffen sind, mitreden können.

Molterer: Ich habe Claudia Schmied schon vor Wochen angeboten, wenn es notwendig ist, den Schulversuchsparagrafen selbst zu novellieren. Aber bei der Mitbestimmung bin ich sehr grundsätzlicher Meinung. Es macht mich hellhörig, wenn die Mitbestimmung infrage gestellt ist. Dann liegt der Verdacht nahe, dass es zu diesem neuen Modell keinen Konsens gibt. Wenn es ihn nicht gibt, dann bedeutet das, dass es die Mehrheit der Leute nicht will. Die Linie der Volkspartei ist glasklar und hat auch damit zu tun, dass ich in einer verpflichtenden einheitlichen Schule keine Zukunftsperspektive sehe. Schmied und Hahn werden noch Gespräche führen. Aber unsere Linie kann keine Überraschung sein, wir haben sie von Beginn an vertreten.

STANDARD: Warum fürchtet sich die ÖVP so sehr vor einem Modell, wo Zehn- bis Vierzehnjährige gemeinsam unterrichtet werden, und die Entscheidung, wer in die Hauptschule, wer in die AHS kommt, erst mit 14 getroffen wird?

Molterer: Wir fürchten uns nicht, wir haben eine Überzeugung. Vielfalt und vor allem die Freiheit zu wählen sind mir ganz wichtig. Daher Ja zu den verschiedenen Modellen, die wir anschauen können. Aber es gibt nicht nur eine Anordnung. So wie es nicht nur einen Typ von Schülern gibt. Die Bundesländer sollen verschiedene Modelle ausprobieren können. Mit einer vorgefassten Meinung heranzugehen und zu glauben, es könne nur eine einzige Lösung geben, ist falsch. Es darf kein Einheitsmodell geben. Ich verstehe die SPÖ absolut nicht. Warum soll es nur dieses eine Modell der Gesamtschule geben? Es soll dieses Modell geben und es soll andere geben. Das jetzt über das Knie zu brechen, wie Schmied das will, verstehe ich nicht. Offen gesagt habe ich den Eindruck, dass die SPÖ-Zentrale über sie zu verfügen beginnt. Das wäre schade. Ich traue Hahn, Neugebauer und Schmied zu, das zu lösen. Wenn man Schmied lässt.

STANDARD: Aber nicht über eine Änderung des Schulorganisationsgesetzes, wie die SPÖ das will.

Molterer: Erwin Pröll traut sich zu, sein Modell auch über den Schulversuchsparagrafen zu verwirklichen. Das zwingt uns zum Dialog mit den Schulpartnern. Damit wird der Respekt vor den Eltern, Lehrern und den Schülern zum Ausdruck gebracht.

STANDARD: So wie Sie die SPÖ jetzt auflaufen lassen, fürchten Sie nicht, dass die SPÖ wenig Bereitschaft zeigen wird, über Ihr Steuermodell des Familiensplittings zu verhandeln?

Molterer: Ich lasse niemanden auflaufen, das ist nicht meine Art, Politik zu machen. Ich will, dass sich die bessere Lösung im Interesse der Kinder durchsetzt. Ich drehe jetzt einmal den Spieß um: Wenn uns die SPÖ auflaufen ließe, wenn es um die Familien geht, müsste ich den Schluss ziehen, dass die SPÖ gegen die Mehrkindfamilie ist. So primitiv bin ich nicht. Die ÖVP wird aber, wenn es um die Familien geht, besonders um jene Familien mit mehreren Kinden, nicht die Segel streichen. Die SPÖ will unseren Ansatz offensichtlich nicht verstehen. Eine Familie mit mehreren Kindern hat es schwerer und das wird im Steuerrecht derzeit nicht ausreichend berücksichtigt. Das Familiensplitting würde einer Familie mit mehreren Kindern natürlich Verbesserungen bringen. Darum mache ich es ja.

STANDARD: Apropos Familiensplitting. Zynisch gesagt, wurde das auch bei der Familie Zogaj in Oberösterreich angewandt. Der Vater und die Geschwister sitzen jetzt im Kosovo, die 15-jährige Arigona und ihre Mutter sind in Frankenburg. Wie soll das weitergehen?

Molterer: Ich habe klargestellt, dass erst einmal das Urteil des Verfassungsgerichtshofs zum Niederlassungsantrag abzuwarten ist. Abgesehen davon, werden die Landeshauptleute eine Beurteilung darüber abgeben, für welche Familien es einen humanitären Aufenthalt geben soll. Klar ist aber: Recht muss Recht bleiben. Wenn wir Asylland bleiben wollen, worin wir große Tradition haben, müssen wir konsequent bleiben. Das Instrument des Asylrechts darf dann nicht für andere Zwecke missbraucht werden.

STANDARD: Sie sagen ja selbst, dass die Landeshauptleute jetzt Fälle sammeln, in denen es ein Aufenthaltsrecht geben kann, unabhängig davon, wie das Asylverfahren ausgeht. Das passiert ganz nach Gutdünken.

Molterer: Weil es ein Argument gibt, das wir aufgegriffen haben. Dadurch dass die Verfahren sehr lange – ich sage auch zu lange – gedauert haben, ist ein Grad an Integration entstanden, den wir zusätzlich berücksichtigen wollen. Der Kriterienkatalog ist neu, dazu stehe ich. Ein automatisches Bleiberecht kann es aber nicht geben, weil dadurch das Asylrecht ausgehöhlt würde. Darin bin ich mir mit SPÖ-Vorsitzenden Gusenbauer absolut einig.

STANDARD: Hätte die 15-jährige Arigona nach diesem neuen Kriterienkatalog die Möglichkeit, in Österreich zu bleiben? Gut integriert ist sie ja.

Molterer: Das ist jetzt Sache der Landeshauptleute, die fragen die Bürgermeister, die fragen die Leute vor Ort, das ist auch klug so. Die Linie der ÖVP ist ganz klar: Wir haben diese Gesetze verhandelt, Asylrecht, Fremdenrecht, Niederlassungsrecht, die SPÖ hat sie in der vorigen Legislaturperiode mitbeschlossen. Es gibt keinen Grund, diese Gesetze zu ändern.

STANDARD: Jetzt stellt Österreich den Asylwerbern aber einen Instanzenzug zur Verfügung, indem es möglich ist, dass ein Verfahren länger als fünf oder sieben Jahre dauert.

Molterer: Dieses System ist nicht richtig. Daher wird es in den nächsten Tagen eine Beschlussfassung in der Bundesregierung geben über die Einsetzung des Asylgerichtshofs mit einer sehr klaren Regelung, was Instanzenzüge betrifft. Dass ein Verfahren sechs, sieben Jahre lang dauert, ist nicht in Ordnung.

STANDARD: Was macht man mit den Leuten, die länger als sieben Jahre in Österreich sind, gut integriert und nicht straffällig geworden sind? Bundespräsident Fischer hat für diese Fälle ein Bleiberecht gefordert.

Molterer: Der Herr Bundespräsident wäre gut beraten, wenn er sich auch in diesem Themenbereich an den Fakten orientiert. Ich weiß, das ist eine sehr emotionale Diskussion. Aber jetzt arbeiten die Landeshauptleute anhand des Kriterienkatalogs erst einmal die Fälle auf und verschaffen sich einen Überblick.

STANDARD: Tut Ihnen das persönlich nicht leid, wenn Sie dieses Mädchen sehen?

Molterer: Wissen Sie, die Frage ist: Wofür sind Politiker verantwortlich? Wir sind angelobt, die Gesetze einzuhalten. Ein Gesetz, das man selbst verhandelt, selbst beschlossen hat, stellt man nicht einfach infrage. Es wird das Argument gebracht, es sei in diesem Fall die Familie geteilt. Das stimmt. Aber sagen Sie mir: Wenn ein österreichischer Familienvater straffällig wird, hat sich jemals jemand die Frage gestellt, ob eine Familie zerrissen wird, wenn er eine Haftstrafe antreten muss?

STANDARD: Das ist etwas anderes. Erstens wurde dieser Vater nicht straffällig, sondern er ist illegal eingereist und hat hier einen Asylantrag gestellt. Zweitens ist die Abschiebung keine rechtliche Form der Strafe.

Molterer: Der Rechtsstaat muss aber schon bewerten: Ist der Aufenthalt in Österreich legal oder nicht? Wenn dieses Kriterium nicht mehr gilt, dann ist eine ganz essenzielle Voraussetzung für Integration, für Zuwanderung und Asyl nicht mehr gegeben. Nicht mit mir. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, zu sagen, es ist etwas legal, es ist etwas illegal, und die Konsequenzen zu setzen – wo ziehen Sie da die Grenze? Nur weil es eine öffentliche Diskussion gibt, darf man das Thema nicht mehr nach Legalität oder Illegalität unterscheiden? Wo ich sicher eine ganz scharfe Grenze ziehe: Legal ist legal, illegal ist illegal. Wenn wir diese Wahrheit in Österreich nicht mehr aussprechen können, wo landen wir dann? (DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.10.2007)