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Martina Serafin als Lisa und Neil Shicoff als ihr Verführer Hermann in der von Vera Nemirowa besorgten Neuinszenierung von "Pique Dame" an der Staatsoper.

Foto: APA
Neil Shicoff brilliert als Hermann, Anja Silja als dominierende Gräfin.
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Wien – Um den Erpressungsversuchen, denen Peter I. Tschaikowsky seitens seiner Frau wegen seiner Homosexualität ausgesetzt war, zu entgehen, hat sich der Komponist im Jänner 1890 nach Florenz abgesetzt und bis Juni desselben Jahres seine Oper Pique Dame komponiert.

Nach dem Wunsch des damaligen Direktors des St. Petersburger Mariinsk-Theaters, der das Werk bei Tschaikowsky in Auftrag gab, hätte diese Pique Dame eine zweite Carmen werden sollen, aber prachtvoller.

Ob es der Wunsch des Staatsoperndirektors war, dass diese Neuproduktion der Pique Dame gar so zahm ausfällt, ist nicht zu ermitteln. Jedenfalls hat Vera Nemirova, welcher der Ruf einer provokanten Regisseurin vorausgeht, im Traditionshaus am Ring ein solches Übermaß an inszenatorischem Wohlverhalten an den Tag gelegt, dass selbst eingefleischten Gegnern des Regietheaters die Protestrufe in der Kehle erstickten.

Sie hat die Story von Hermann, der durch Glücksspiel den sozialen Aufstieg schaffen möchte, in einem von Johannes Leiacker gestalteten Innenraum eines barocken Palais beinahe betulich nacherzählt.

Zurückhaltende Regie

Auch in ihrer Zurückhaltung gegenüber Anspielungen auf die russische Gegenwart, mit der sie sich dem plutokratischen Proletariat gegenüber als äußerst schonungsvoll erweist, bildet sie auf diese Weise eine ruhige Folie, von der sich die handelnden Personen kraft ihrer Stimme und vor allem durch ihre persönliche Ausstrahlung wirksam abhoben.

Hier ist vor allem Neil Shicoffs Hermann zu nennen. Mit katzenhaft lauernder Attitüde macht er Lisa ihrem Verlobten abspenstig. Und ebenso schleichend nähert er sich der alten Gräfin, die während seiner Attacken, mit der er ihr das Geheimnis der drei glücksbringenden Karten entreißen will, der Schlag trifft.

Hermann und die Gräfin sind die beiden Kraftzentren des Abends. Nicht nur in ihren Aktionen, sondern auch musikalisch. Anja Silja ist eine dominante Gräfin, und Neil Shicoff weiß überdies das ariose Parlando, zu dem Tschaikowsky die Emotionen mit kunstvoller Melodik gestaltet, nicht nur mit seinem unvergleichlichen Timbre einzufärben, sondern auch szenisch auf überzeugende Weise zu beleben.

Martina Serafin als Lisa wirkt, auch wenn vom Publikum mit Applaus überschüttet, etwas enttäuschend. Sie scheint dieser zentralen Partie weder musikalisch noch darstellerisch trotz schöner Momente ganz gewachsen. Sie ist es doch, deretwegen Hermann alle Risken seiner im Selbstmord endenden Spielerexistenz auf sich nimmt. Sie ist es, die die Handlung in Gang bringt und in Gang hält. Das hat sie nur ansatzweise glaubhaft gemacht. Auch stimmlich wirkte sie in nicht unwesentlichen Passagen überanstrengt. Seiji Ozawa ist wieder an das Pult der Wiener Staatsoper zurückgekehrt und hat diese Pique Dame mit einem dynamischen Grauschleier versehen. Ganz gegen seine sonstigen Usancen vermied er bei den Forte-Stellen die Extreme und konnte nicht vermeiden, dass die Begleitung der Stimmen mitunter brüchig wirkte.

Wie das Orchester überhaupt nicht seinen besten Tag zu haben schien. Vor allem das Blech klang etwas derb und die von Tschaikowsky mit so viel Delikatesse eingesetzten Holzbläser schienen diese nicht immer im vollen Umfang zu erwidern.

Guter Einspringer

Merkwürdiger Weise hat Markus Eiche, der für den erkrankten Boaz Daniel als Jeletzki einsprang, von den kleineren Partien den besten Eindruck hinterlassen. Er hat den Fürsten, von dem sich Lisa zugunsten Hermanns lossagt, mit sehr viel Intensität gespielt und auch gesungen.

Vor allem seine große Arie – gewissermaßen ein Pendant zur Arie des Fürsten Gremin in Eugen Onegin – hat er mit allen Farben, zu denen sein Bariton fähig ist, ausgestattet.

Albert Dohmen hingegen bot in der wohl kleineren Partie des Hermann-Freundes Tomski eigentlich nur seriöses Mittelmaß. Als das, wohl auch mit all ihren guten Seiten, lässt sich diese Premiere auch insgesamt bezeichnen. Daraus lässt sich auch erklären, dass die Publikumsreaktionen unter dem Siedepunkt blieben.

Einzig, als Neil Shicoff als erster, noch bei dunklem Zuschauerraum, vor dem Vorhang erschien, hörte es sich nach wahrer Begeisterung an. (Peter Vujica, DER STANDARD/Printausgabe, 30.10.2007)