Die Gerichtsmedizin – links der Bau von 1956, rechts das barocke Urgebäude – ist unrentabel

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Wien – Das Aufspüren vertuschter Verbrechen und verborgener Todesursachen gehört seit 70 Jahren zur Kernaufgabe des gerichtsmedizinischen Instituts in der Wiener Sensengasse. Jetzt bedrohen Finanznöte und ein scheinbar unlösbarer Streit um Gebühren die Institution, die Wurzeln bis zurück in die Zeiten Kaiserin Maria Theresias hat.

"Aus wirtschaftlicher Sicht wäre die Fortsetzung des bisherigen Umfangs an Dienstleistungen mehr als fahrlässig", sagte am Dienstag Wolfgang Schütz, Rektor der Medizinischen Universität Wien. Wie alle Universitäten wurde auch die seine in die Autonomie entlassen, was in der Finanzgebarung strenge Rechnungen erzwingt. Für die Wiener Gerichtsmedizin hat das zuletzt ein Rohbericht des Bundes-Rechnungshofes vom heurigen Sommer eingefordert. Und so gab die vergangene Woche im Ministerrat beschlossene Neuordnung der Gebührenanspruchsordnung den letzten Ausschlag für die Ankündigung, dass ab Jänner 2008 in den Räumlichkeiten des Departments für Gerichtliche Medizin Wien (DGM) keine Obduktionen mehr vorgenommen werden sollen.

Krampf um Gebühr

Besagte Verordnung deckelt die Summe für die Infrastruktur bei Obduktionen, die aus öffentlichen Geldern beigesteuert wird: von der Arbeit von Assistenten über die Gebühr zur Nutzung eines Kühlraums hin zu simplen Gummihandschuhen. All das darf zusammen nicht mehr als 130 Euro pro Fall kosten. "Damit kommen wir nicht aus. Wir müssen 560 Euro in Rechnung stellen, um kostendeckend wirtschaften zu können", erläutert Uni-Pressesprecher Bernd Matouschek.

Doch die Gummihandschuhkosten sind nur der unmittelbare Auslöser fürs angekündigte Ende in "der Sensengasse". Seit Jahresanfang 2007 sind den beamteten Wiener Gerichtsmedizinern nämlich gleich zwei Drittel ihrer Klienten abhanden gekommen. Mit der Novellierung des Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes hat die Stadt die "sanitätsrechtlichen Obduktionen" dem DGM weg in die eigene Verantwortung genommen.

Seltenere Obduktionen

Diese Obduktionen finden ohne gerichtlichen Auftrag, also ohne Verdacht auf ein Verbrechen, statt. Sie haben den Zweck, unklare Todesursachen näher zu erkunden. In Wien wurden sie bisher besonders häufig angeordnet: rund 1500-mal jährlich, dreimal öfter als in vergleichbaren europäischen Städten. "Seit heuer finden diese Obduktionen in den Pathologien unserer kommunalen Spitäler statt – und nur dann, wenn die Todesursache nicht auf anderen Wegen, etwa aus Krankengeschichten heraus, festgestellt werden kann", erläutert Renate Pommerening-Schober, Leiterin der zuständigen MA 40.

Bei der Wiener Ärztekammer stößt das auf Kritik: Eine Obduktion auf der Pathologie könne eine gerichtsmedizinische nicht ersetzen. Es bestehe die Gefahr, dass manches übersehen werde. Pommerening-Schober widerspricht: Durch sanitätsrechtliche Obduktionen hätten sich in der jüngeren Vergangenheit nur "ein bis zwei" Verdachtsfälle auf Fremdeinwirkung jährlich ergeben. Auch habe das häufige Leichenaufschneiden zu Protesten geführt: "Hinterbliebene verstanden nicht, warum ihre Angehörigen obduziert werden mussten." (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe, 14.11.2007)