Harald A. Friedl: In den Aïr-Bergen leben Tuareg der Kel Ewey als Hirten, Karawaniers und Gartenbauer.

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Inge Sohm: Meschui ist ein im Lehmofen gebratenes Lamm.

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Die Sonne tauchte die ganze Landschaft in ein wunderbares Rot mit verschiedensten Farbschattierungen. Foto von Stefan Wochinz. Mehr "Ich war da"-Einsendungen der Userinnen und User in der Ansichtssache Sand im Sucher.

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"Yalla!", sagt Ramdan, "los geht's", und drückt der Besucherin den Führstrick seines Dromedars in die Hand. Und dann geht es los. Die Bilder von gemächlich dahinschaukelnden Karawanen erweisen sich nach den ersten überquerten Dünen als romantischer Blick aus der Ferne. In der Wüste wird nicht geschlendert, dort wird mehr als nur flott gegangen. Doch nun bleibt nichts anderes übrig, als zu versuchen, mit Ramdan Schritt zu halten, der sich rasch als liebenswürdiger Weggefährte herausstellt. Er trägt die Wasserflasche, hebt Muschelschalen und winzige Schneckenhäuschen aus dem Sand auf und verschenkt sie.

Düne auf, Düne ab

Als er schließlich zu singen beginnt, ist nach dem ersten Lied klar: Die Melodie gibt genau den richtigen Rhythmus fürs Gehen vor. "Jetzt Sie", sagt Ramdan. "Am Brunnen vor dem Tore", passt, wie sich herausstellt, nicht optimal zwischen die in der Mittagshitze leuchtenden Dünen der marokkanischen Sahara. Die Hoffnung, mit dem gemächlichen Lied ein wenig das Tempo rauszunehmen, erfüllt sich nicht. Es geht weiter im Eilschritt Düne auf, Düne ab. Wo wir denn zu Mittag lagern werden? "Dort drüben", sagt Ramdan und umfasst mit der Bewegung seines Armes den gesamten Horizont.

Wie die Touareg

"Dort drüben" sind wir schließlich doch schneller als befürchtet, und als die restlichen sechs aus unserer Gruppe am Lagerplatz für die Mittagspause eintreffen, sitzt die Schnellste erschöpft, aber stolz schon eine ganze Weile mit den marokkanischen Guides im Schatten einer Tamariske und isst eine Orange. "Sie marschieren gut, wie die Touareg", sagt Ramdan. Immerhin, der Mann weiß genau, was man nach einem Marsch im echten Nomadentempo gerne hören möchte.

Wunsch nach Stille

"Kraftquellen entdecken", heißt das Seminar von Silvana Kederst, zu dem wir in die Sahara gereist sind. Und das kann auch bedeuten, dass man den Ehrgeiz entwickelt, mit den einheimischen Guides Schritt halten zu wollen. Kederst arbeitet als Unternehmensberaterin und Coach und reist selbst seit vielen Jahren immer wieder in die Wüste - nach Marokko, Tunesien, Syrien. Vor zwei Jahren ist sie 40 Tage allein zu Fuß durch die Sahara im Niger gegangen. Während der Tage in der Wüste bietet sie Einzelgespräche an, Gruppenübungen und Aufstellungen - ganz nach Wunsch und Bedarf der Teilnehmer. "Die Kraft und die Stille der Wüste schaffen eine innere Klarheit und Ruhe, und das macht Verborgenes in uns sichtbar", sagt Silvana Kederst. Das Gehen in der Wüste unterstütze diesen Prozess noch zusätzlich. Die Motive, an dem Wüstenseminar teilzunehmen, sind innerhalb der Gruppe durchaus unterschiedlich. Eines hat uns jedoch alle sechs in die Sahara gezogen: der Wunsch nach Stille. Tatsächlich fällt in der großen Ruhe mit jedem Schritt der Alltag mehr und mehr ab.

"Tombuctou 52 jours"

Unsere Wege führen durch Dünen und über steinige Pisten, wir überqueren steinharte Ebenen. Bekleidet mit dem traditionellen Wüsten-Outfit: Gandoura und Schesch. In Zagora, jener Stadt, die früher Ausgangspunkt zahlreicher Transsahara-Karawanen war und in deren Zentrum noch heute der Wegweiser "Tombuctou 52 jours" steht, haben wir uns vor der Fahrt in die Wüste eingekleidet. Die Gandoura, das wadenlange Hemd, in Marokko meist aus blauem Stoff mit reicher goldbrauner Stickerei um den Halsausschnitt und an den Ärmeln, ist bequem und luftig. Der Schesch, sechs Meter Stoff, die im Stil der Tuarag um den Kopf gewickelt werden, ist der beste Sonnenschutz. Wird der Sand einmal von einer kräftigen Brise aufgewirbelt, genügt ein Handgriff, und der Schesch kann über Mund und Nase gezogen werden. Und jener Teil, der lose über die Schulter hängt, ist der ideale Fliegenschutz. Wenn einen die Plagegeister während des Mittagsschläfchens quälen, legt man das Stoffstück einfach über das Gesicht.

Lagerfeuer

Fünf Stunden lang wird jeden Tag marschiert, zweieinhalb bis drei Stunden am Vormittag, danach gibt es ein Picknick und eine ausgedehnte Siesta unter einem Baum. Jeder geht in dem Tempo, das für ihn am besten passt, darauf legt Kederst großen Wert. Wer mag, kann jederzeit auf sein Dromedar steigen, für jeden ist ein Reittier mit dabei. Am Nachmittag sind wir nochmals zwei Stunden unterwegs. Wenn die Letzten am frühen Abend den Lagerplatz erreichen, ist das braune Nomadenzelt schon wieder für die Nacht aufgestellt, und das Lagerfeuer brennt. Hussein, der 24-jährige Koch mit dem runden Bubengesicht schnipselt schon Gurken, Paprika und Paradeiser für den köstlichen Salat und hackt Zwiebel für den Eintopf klein.

Wüstentee

"Saha!", sagt Ahmed und hebt sein Teeglas hoch - "Gesundheit!" "Saha", erwidern alle. Ahmed ist mit seinen 35 Jahren der älteste unserer Begleiter und somit auch der Ranghöchste. Der schmale, freundliche Mann mit den fröhlichen Augen gibt die Route der Karawane vor, ihm fällt auch die ehrenvolle Aufgabe zu, den unvergleichlichen Wüstentee zuzubereiten. Sobald das Lagerfeuer brennt, wird ein Stückchen davon entfernt eine Schaufel Glut in den Sand gelegt, die Ahmed mit einem Blasebalg aus rotem Leder anfacht. Dann setzt er in einer Emailkanne ein halbe Hand voll Tee mit Zuckerstückchen auf, die er zuvor mit einem Blechhäferl von einem großen Zuckerhut abgeschlagen hat. Die ersten beiden Gläser Tee sind dunkelgrün und trüb und werden weggeschüttet. Mit sanften Bewegungen schenkt Ahmed immer wieder Tee in ein Glas, leert ihn dann wieder in die Kanne zurück, bis er schließlich aus großer Höhe den Tee in die kleinen Gläser füllt und die erste Runde ausgeteilt wird. Dreimal wird aufgegossen, dreimal wünscht man einander "Saha". Das erste Glas Tee, sagt man in der Wüste, schmecke bitter wie das Leben, das zweite süß wie die Liebe und das dritte sanft wie der Tod.

Gleichförmiger, gelassener Rhythmus

In der Wüste verlaufen die Tage in einem gleichförmigen, gelassenen Rhythmus. Am frühen Abend muss ein Lagerplatz für die Nacht gefunden sein. Nachdem die großen Packtaschen von den Dromedaren abgeladen worden sind, führt sie Ramdan, der für die Tiere verantwortlich ist, ein Stückchen beiseite, wo sie grasen können. Die Vorderbeine der Tiere werden am Abend zusammengebunden - gerade so wenig, dass sie sich noch bewegen können, aber eng genug, dass sie sich nicht aus dem Staub machen können. Dennoch, wenn Ramdan im Morgengrauen die Dromedare holen geht, muss er oft weit marschieren, weil es die Tiere während der Nacht doch über etliche Dünen geschafft haben.

Die Wüste ist eine gute Lehrmeisterin - auch in den ganz handfesten Dingen. Man weiß schnell, wie tief man das Loch unter dem Schlafplatz buddeln muss, damit man in der Nacht die ideale Schlafposition findet. Ob man seinen Schlafsack besser oben auf der Düne oder am Fuß einer Düne ausbreitet. Und ganz wichtig: Wie viele Dünen Mindestabstand man zu den Schnarchern der Gruppe einhalten sollte, denn in der Stille der Sahara verhallt selbst das zarteste Sägen nicht ungehört.

Sehnsucht nach der Sahara

Auf die Suche nach sich selbst muss man sich in der Wüste nicht begeben - man kann sich dort nämlich nicht verpassen. Nach einem Tag ist alles Unwesentliche verschwunden. Ohne Uhr, ohne Handy, ohne Notebook sinkt die innere Drehzahl rasch. Doch es ist nicht bloß das Fehlen jeglicher Ablenkungen und Irritationen, es sind vor allem die atemberaubende Kulisse der Sahara und die Stille, die einen in Balance bringen. Die Dünen mit ihren weichen Formen. Der Sand, dessen Farbe im Verlauf des Tages von Ockergelb zu einem rötlichen Braun wechselt, und das Licht, das bei Sonnenuntergang einen ganz eigenen Roséton annimmt, bevor sich der Sternenhimmel, so hell und funkelnd, wie man ihn nur in der Wüste sehen kann, über die veränderliche Landschaft spannt. Was bleibt? Das Gefühl, ganz bei sich gewesen zu sein, und die Sehnsucht nach der Sahara. (DER STANDARD/Rondo/16/11/2007)