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Ritterliche Gefühle im Prater: Pasquale (Markus Schäfer), Orlando (Kurt Streit) und Eurilla (Juliane Banse) im Theater an der Wien.

Foto: Reuters/Prammer
Dirigent Nikolaus Harnoncourt setzt auf Kontraste und hat ein solides Ensemble zu führen.

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Wien - Schade, dass die britische Heiterkeitstruppe Monty Python längst DVD-Geschichte ist. Deren geistreich-derber Umgang mit dem stolzen Mittelalter ist ja filmmäßig etwa durch Ritter der Kokosnuss oder Jabberwocky (von Terry Gilliam) verewigt. Und so wäre aus diesem Ideenfundus auch manch Pointchen fürs Regietheater abzuzweigen gewesen, zweifellos auch für Haydns Orlando Paladino.

Immerhin: Regisseur Keith Warner ist Brite, also sicher nicht frei von Sozialisationen durch Python-Eindrücke. Und wandert so jemand - Ideen suchend - durch Wien und kommt er gar bis zum Wurstelprater, dann kann es wohl kaum anders kommen, als es in der Tat kam - gefunden war ein witzig-groteskes Konzept; schließlich findet sich Haydns Ritterstory mitten in einem Unterhaltungspark wieder, der den Betrachter ein wenig zum Kind macht und ihm die Möglichkeit gewährt, diese skurrile Story ernst zu nehmen. Weil es eben so unernst (und ein bisschen Monty-Python-mäßig) zugeht auf der Bühne. Zwar ist in diesem Werk, das Haydn aus Anlass eines dann doch nicht stattgefundenen Besuchs von Großfürst Pawel Petrowitsch (später Zar) für Esterháza ersonnen hat, viel von Liebe und Eifersucht die Klangrede, also von Ernstem und Zeitlosem.

Weg mit Gedächtnis

Allein, wie die Geschichte vom herumwütenden Orlando als eine von Zauberin Alcina (solide: Elisabeth von Magnus) gelenkte ihren Lauf nimmt, freut man sich schließlich im dritten Akt, die Unterwelt als Hochschaubahn zu erkennen, von der Caronte (grimmig: Markus Butter) herabgleitet, um Orlando durch Stirnbefeuchtung mittels Lethewasser das Gedächtnis auszulöschen.

Der Zweck des brutalen Eingriffs: Es soll der bis dato seine Umwelt geistesumnachtet Bedrohende seine Zuneigung zu Angelica vergessen. Und siehe da: Seinem "Feind" Rodomonte (vokal etwas behäbig: Jonathan Lemalu) begegnet Orlando plötzlich ganz freundlich, zieht aber mit diesem gleich wieder gegen "Wilde" zu Felde. Wie auch immer. Schon zuvor war reichlich Wurstelprater-Flair zu sehen. Holzschafe und -pferde, Grottenbahnfiguren, Spiegelkabinette und reichlich gruselwirksamer Trockeneisnebel beschäftigen das Auge, während die Figuren ihr Herz ausschütten. Und weil Warner nicht genug von Wien bekommt, darf auch die Psychoanalyse nicht fehlen. Es glänzt die Zauberin als gestrenge Seelentherapeutin, die auch eine Couch im Angebot hat.

Gut organisiert

Warner hat sich aber nicht damit begnügt, bei der Ausstattung (Ashley Martin-Davis) Lustiges zu bestellen, die Protagonisten ansonsten aber allein mit ihren Operngesten zu lassen. Sehr bewusst und behutsam ist das irrwitzige Treiben organisiert, im Labyrinth der unterhaltsamen Requisiten spielen sich ironisch eingefärbte Seelendramen ab. Klar: Subtextsuche hat hier Pause, alles mutet an, als wären Wurstelprater-Puppen lebendig geworden, um Menschen in Seelenpein zu geben, im Vergnügungspark der Emotionen.

Wobei: Orlando selbst (souverän und intensiv: Kurt Streit) und die Turtelnden - Eurilla (tadellos: Juliane Banse) und Pasquale (virtuos humorig: Markus Schäfer) - beleben das Prater-Konzept. Nur bei der ausschließlich Lyrisch-Trauriges singenden Angelika (mit tragfähiger Stimme: Eva Mei) und dem ironiefrei schmachtenden Medoro (passabel: Bernhard Richter) will der Ansatz von Warner nicht ganz greifen.

Das kann im Orchestergraben nicht passieren. Zwar wirkt der Concentus unter Nikolaus Harnoncourt bis zur Pause etwas saft- und kraftlos. Mit Fortdauer des Abends jedoch kommt zu der kontrastreichen Arbeit, die auf ruppig akzentuierte Heiterkeit ebenso Wert legt wie auf seidenpapierartigen Klang des Poetischen, jene Intensität zum Vorschein, die man sich von Anbeginn an gewünscht hätte. Die Produktion kann dennoch im Haydn-Jahr (2009) getrost wiederkommen. (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 11. 2007)