G. Jarzyna über das polnische Theater: "Eine kulturelle Leitwährung!"

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Wien - Englische Könige und Thronanwärter gebärden sich in James Goldmans Der Löwe im Winter wie moderne Makler: Sie manipulieren einander und beobachten im Kampf um die Macht ihre aktuellen Börsennotierungen.

Der polnische Starregisseur Grzegorz Jarzyna (39) sieht die Broadway-Könige auf schmalem Grat balancieren: "Sie wären gerne souveräne Subjekte", erklärt er in makellosem Englisch. "Doch leider verwechseln sie Macht und Liebe miteinander! Die Manipulierer werden folgerichtig zu Manipulierten. Die Macht entwertet ihre schönsten menschlichen Regungen."

Jarzyna, der in Warschau das Teatr Rozmaitosci leitet, glaubt die Sphäre des Politischen von lauter Illusionen erfüllt: "Was hat man uns nicht alles erzählt, als Polen entschied, am Feldzug im Irak teilzunehmen!" Aber den Polen könne man viel erzählen: Obwohl sich die Intellektuellen zumeist als kosmopolitisch verstünden, sei das Land von Unsicherheit und Minderwertigkeitsängsten geprägt.

Das Klima am Burgtheater empfinde er als wohltuend "international": "Du hast es auf der Probe mit vielseitigen Künstlern zu tun! Sie lassen sich hochkonzentriert auf den Text ein - und sie erscheinen nicht mit vorgefertigten Meinungen zur Arbeit." Dafür seien sie extrem anspruchsvoll: "Du bist gezwungen, als Regisseur die letzten Kräfte zu mobilisieren!"

Das Warschauer Theaterklima beschreibt Jarzyna als "vital": "Der Kollaps des Kommunismus war für uns junge Theatermacher eine echte Chance. Am Anfang hat niemand von Kultur geredet; das eröffnete für uns Freiräume. Wir haben keine Theaterrevolution angezettelt, sondern eine ,Evolution' erlebt. Heute ist das Theater die kulturelle Leitwährung geworden: Es wird in den Medien diskutiert und zeitigt schöne Früchte."

Es sei eine ganze Generation junger Dramatiker vorhanden, die auch vor gesellschaftlich heiklen Themen nicht zurückschrecke. Jarzyna beschäftigte sich bereits vor zehn Jahren mit modernen Klassikern wie Witold Gombrowicz oder Stanislaw Witkiewicz - Autoren, die den Konservativ-Klerikalen noch heute gegen den Strich gehen.

An Polens Theatern habe man man ganz bewusst Texte von Sarah Kane oder Marius von Mayenburg importiert - mit weitreichenden Folgen für die "heimische" Produktion. "Es wurde endlich über Jugendthemen gehandelt: von Suchtmitteln, von der neuen Armut." Mit dem zwischenzeitlichen politischen Rechtsruck standen auch ideologische Fragestellungen wieder verstärkt auf der Agenda.

"Wir haben alle Fragen auf der Bühne abgehandelt: zunächst die Kirche - die Kirche regiert nach wie vor das Land! Wir haben uns ,vorgearbeitet' - hin zu kontroversen Fragen. Wir sind glücklicherweise medial unterstützt worden - also können wir heute auch über Kindesmissbrauch handeln und zum Beispiel Vinterbergs Das Fest spielen. Obwohl die Familie in unserem Land nach wie vor heilig ist!"

Jarzyna, der in Wien ebenso gerne inszeniert wie in Berlin, sieht keine Alternative zur Internationalität: "Polen, das sich immer als Opfer begriffen hat, muss sich auf die europäische Gesellschaft ganz einfach einlassen!" (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 11. 2007)